Filmkritik: Der Spion und sein Bruder

  

Zu seinen Glanzzeiten war Sacha Baron Cohen von anarchistischer Brillanz. In „Der Spion und sein Bruder“ fühlt man sich, nicht nur bedingt durch den dummen Fußballfan Nobby (Cohen), an die britische Nationalelf erinnert. Fußball von der Insel gilt, auch dank einer hohen Nummer an Söldnern, als erstklassig. Die Herrschaften in den Three Lions jedoch als lahm, unkreativ und wenig ausdrucksstark — von wenigen Glanzmomenten einmal abgesehen. Cohen scheint sich daran ein Beispiel genommen zu haben. „Der Spion und sein Bruder“ ist maximal die B-Version von Cohens Können, in weiten Teilen sogar noch darunter.

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Der Spion und sein Bruder ist ab heute (10.03.2016) überall im Kino zu sehen.

Null-Null-Nichts

Besonders in „Borat“, Sacha Baron Cohens Angriff auf politische Klischees und grenzdebile Wahrnehmungen rund um den Globus, lotet er bis zum Erbrechen die Geschmacksgrenzen aus. In einer der berühmtesten Ringkampfszenen des satirischen Kinos zelebriert Cohen die sicher abstrakteste Darstellung von Homoerotik. Borat und sein Produzent liefern sich ein Duell als Ringkämpfer. Die Szene lässt die Fremdscham überkochen. Und sie endet einfach nicht. Hier führt Cohen dem Zuschauer wunderbar seine eigene Intoleranz in bester Eulenspiegelmanier vor. Aus unerfindlichen Gründen beschränkt sich Cohen in „Der Spion und sein Bruder“ plötzlich nur noch auf die oberflächliche Peinlichkeit und den Ekel. Diese retten den Film zwar immer wieder wie durch den Schock einer Adrenalinspritze vorm Versagen, helfen aber kaum die komplette Laufzeit durchzuhalten. Dabei kann eine parodistischer Attacke auf das Agentenfilmgenre sehr gut funktionieren. „Kingsman“ ist dafür das beste Beispiel. Aber „Transporter“-Regisseur Louis Letterier versucht derart gezwungen die Genre-Vorbilder von James Bond bis „Mission: Impossible“ zu veralbern und die Gepflogenheiten der englischen Unterschicht durch den Buckfast zu ziehen, dass es schmerzt, als hätte man zu viel von jenem Tonic Wein getrunken. Das Endergebnis ist ein hauptsächlich schwachsinniges Feuerwerk in Sachen Genital- und Fäkalhumor. Allerdings muss die Ausdauer bewundert werden, mit der dieses abgeschossen wird. Immer wenn die Hoffnung aufkeimt, den Höhepunkt erklommen zu haben, legt irgendwer noch einen obendrauf. Ironischerweise kommen so die wenigen Volltreffer zustande. Aber wer ständig aufs Tor schießt, der wird unweigerlich auch irgendwann treffen.

Von Proleten und Pistolen

Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist der einfältige Hooligan Nobby Butcher (Sacha Baron Cohen). Dieser lebt mit Freundin Dawn (Rebel Wilson) und elf Kindern im nordenglischen Grimsby. Seinen Bruder Sebastian (Mark Strong) hat Nobby vor 28 Jahren, nach dem Tod ihrer Eltern, im System von Adoption und Kinderheimen verloren. Während sich Nobby um Sinn und Verstand jubelt, trinkt und im Angesicht englischer Fußballtradition leidet, ist Sebastian ein Profikiller des britischen MI6 geworden. Als der den Auftrag erhält ein Attentat auf Rhonda George (Penelope Cruz) zu verhindern, treffen sich die ungleichen Brüder wieder, wobei die tollpatische Gallagher-Kopie Nobby eine Verkettung von Ereignissen auslöst, deren Endergebnis ist, dass der Chef der Weltgesundheitsorganisation sich eine Kugel einfängt. Plötzlich sitzen Nobby und Sebastian im selben Boot und befinden sich auf der Flucht. Ihre einzige Hoffnung für ein halbwegs normales Leben ist es die wahren Hintermänner ausfindig zu machen. Ganz im Stile des üblichen Buddy-Action-Kinos treffen in Nobby und Sebastian die konträrsten Charaktere seit Tango & Cash aufeinander. Nobby ist ein nordenglischer Vollgasprolet im Three-Lions-Trikot, Badelatschen an den Füßen und Säuferspeck am Bauch. Zu seinen liebsten Hobbys gehört es sich im Pub von Grimsby brennende Feuerwerkskörper in den Allerwertesten stecken. Auf der anderen Seite der energiegeladenen Sebastian, ein drahtiger Vorzeigeathlet, der niemals eine Miene verzieht und zum Lachen einen Bunker aufsucht. Diese Zweiteilung will zu sehr unterschiedlichen Erzählebenen führen: Einerseits verkauft sich „Der Spion und sein Bruder“ ein handfester Actioneer, in dem Regisseur Leterrier („Die Unfassbaren“, „Kampf der Titanen“) die Rasanz seiner bisherigen Genrearbeiten zu übertrumpfen versucht, andererseits lehnen sich die Grimsby-Szenen mit ihrer Karikatur des vermeintlichen gesellschaftlichen Bodensatzes eher an Cohens früheren Film „Ali G in da House“ an.

Neben den Grimsbys ist kein Platz

Neben Cohen als fast institutionell beschränkter Proll und Mark Strong („Kingsman“) als sein gradliniger Bruder, bleiben für die anderen Darsteller kaum Raum. Penélope Cruz („Zoolander 2“), Isla Fisher („Visions“) und Rebel Wilson („Pitch Perfect 2“) gehen ziemlich unter. Im Grimsbys Sufftempel finden sich sogar mit Johnny Vegas, John Thomson und Rick Tomlinson ein paar der lustigsten Angelsachsen ein, doch auch die haben nichts zu tun. Es bleibt zu hoffen, dass ihre Szenen Opfer eines übermütigen Cutters geworden sind und es eventuell beim Home-Release noch Chance für die drei gibt. Der Grund für diese Beschränkungen wird sicherlich in mehr Raum absurde Einfälle zu finden sein, die mit ziemlich platten Bezügen zum Zeitgeschehen einhergehen: Donald Trump, „Harry Potter“ Daniel Radcliffe, die FIFA, HIV und AIDS, die Gallagher-Brüder. Mal wird es durchaus kritisch, meist sehr albern, relevant ist nichts davon, der Film hat anders als Cohens frühere Arbeiten kein erkennbares Ziel. Leider sorgt all das für wenig tatsächliches Leben auf der Leinwand. Wenn aber alles zum Schlimmsten steht, dann kommt Cohen plötzlich mit einer elefantösen Bukkake-Partys um die Ecke und rettet für ein paar Minuten, bevor es weiter hinabgeht, wie im Jägerbomb-Rausch weit nach Sperrstunde.

Fazit

„Der Spion und sein Bruder“ ist geschmacklos, ziellos und besticht durch ungebremste Idiotie. Wer komplettem Fäkalhumor mit Bauchlandungsgarantie etwas abgewinnen kann, der wird seine helle Freude haben. Wer aber wirklichen Sacha Baron Cohen Witz erwartet, wird eine bittere Enttäuschung erleben. Wirklich überzeugend ist nur Mark Strong. Ein Vergleich mit „Kingsman“ ist unbedingt zu vermeiden.

Bewertung: 2 von 5 Sternen.**

Filmkritik von Julius, 10.03.2016