Filmkritik "Escobar — Paradise Lost"

  

Als Regisseur und Schauspieler Andrea Di Stefano auf dem Filmfestival in Telluride  "Escobar — Paradise Lost“ 2014 erstmalig der Öffentlichkeit präsentierte, machte er in seinem Vortrag zu dem Film eine Pause. Denn im Publikum saß niemand anderes als Fancis Ford Coppola. Ein sehr berechtigte Pause, denn sein „kleiner“ Film ist deutlich von denen des Altmeisters inspiriert und liefert einen Antagonisten, der an den ein oder anderen Charakter aus „Der Pate“ oder „Apocalypse Now“ positiv erinnert. Dieser ist eben niemand anders als „Der König des Kokain“.

escobar szene

El Patrón

Pablo Escobar ist ein Mann, um den sich Legenden ranken. Und dabei ist eigentlich (fast) alles über den Zaren der „Narco Trafficantes“, den „King of Cocaine“ bekannt. Sicherlich ist ein nicht unwesentlicher Teil seines posthumen Ruhmes „Blow“ geschuldet. Hier tritt „El Padrino“ als Geschäftspartner von George Jung (Johnny Depp), gespielt von Cliff Curtis auf. Mehrere Projekte um „Don Pablo“ sind seit einigen Jahren in der Mache. So plant Oliver Stone seit 2008 an seinem Film „Escobar“. Dieser wurde zwar wegen der Dreharbeiten an seinem Geroge W. Film „W.“ auf Eis gelegt, aber bis heute äußert Stone nachhaltiges Interesse den Film in den nächsten Jahren zu verwirklichen. Als besonderen Grund gibt er dafür übrigens nicht nur „Scarface“ an, sondern ausgerechnet Ari Gold. Der „Entourage“ (diesen Sommer kommt das Finale der Kultserie endlich in die Kinos) Charakter, gespielt von Jeremy Piven, versucht nämlich seinem Kumpel Vincent Chase (Adrian Grenier) mit allen Mittel die Rolle als „El Sar de la Cocaina“ im fiktiven Film „Medellín“ zu verschaffen. Bevor übrigens die Frage aufkommt: Mir werden bis zum Ende dieser Filmkritik die Kampf- und Spitznamen von und für Pablo Emilio Escobar Gaviria nicht ausgehen.

Mit „Escobar — Paradise Lost“ kommt nun ein Film daher, der in vielen Maßstäben ein B-Film ist. Das Budget ist verhältnismäßig gering gewesen, geschätzte 17 Millionen US-Dollar. Im Vergleich zu „normalen“ Hollywood Produktionen hat die französisch-belgisch-spanische Produktion ein recht wenig Geld in der Hinterhand. Zudem ist es das Debüt von Andrea di Stefano (Eat Pray Love) als Regisseur. „Pablo Escobar“ kommt auf den ersten Blick dann noch als wirrer Mix aus Action, Romanze, Melodrama, Thriller und Reisegeschichte daher. Aber genau dieser schräge Mix funktioniert deutlich besser als er sollte. Was auch „El Doctor“ zu verdanken ist. Dieser wird nämlich von niemandem anders als Oscarpreisträger Benicio Del Toro gemimt. Und das mit der zu erwartenden Wucht und Präsenz.

Verlorene Unschuld

Es fällt nicht schwer sich auszumalen, was für eine Präsenz Escobar zu Lebzeiten gehabt haben muss. Del Toro stellt ihn kurz vor seinem Sturz dar. Eine Art Pistolero-Version von King Lear. Schwer, bärtig, zerzaust, die Stimme leise und verhalten, aber dennoch bedrohlich. Ein Mann, der nicht mit lautem Ton reden muss um gehört zu werden. Und ein Mann, der nicht freiwillig ins Seitenaus tritt. Der Film setzt allerdings genau dort ein. Nur wenige Tage bevor „El Magico“ seine Haft in dem von ihm selber errichteten Luxusknast „La Cathedral“ in Medellín antreten muss. „Escobar“ hat bereits in diesen ersten Momenten einen hohen Punkt erreicht (und erreicht ihn ab der Mitte erneut), denn Del Toro hängt wie ein bedrohlicher, allgegenwärtiger Schatten über den kommenden (in der Vergangenheit liegenden und noch stattfindenden) Ereignissen, die den eigentlichen Hauptcharakter Nick (Josh Hutcherson) zu absolut verzweifelten Handlungen treiben werden. Denn ein Mann wie Escobar, wenn er in der Klemme zu sitzen scheint und bereits sein Comeback plant, macht keine Gefangenen. In Mitten des innersten Zirkel dieser Kreuzung zwischen Colonel Kurtz und Don Corleone sitzt allerdings Nico, ein junger, blasser Kanadier, den es nach Kolumbien verschlagen hat.

Wie er schließlich in dieser misslichen Lage gelandet ist, beginnt dann „Escobar“ zu erzählen. Alles beginnt eigentlich in bester Aussteigermanier am Strand. Hier wollen Nick und sein Bruder (Brady Corbet) eine Surfschule errichten. Den Dorfschlägern gefällt das nicht besonders und Nick verliebt sich in die schöne und sirenenhafte Maria (Claudia Traisac). Die wiederum lässt ihn erst abblitzen, verfällt dann aber doch dem naiven Touristen. Sie allerdings ist die Nichte von Escobar.

Immer tiefer wird Nico (so nennt ihn der „Onkel“) in den Sog um den selbsterklärten Robin Hood gesogen und schlussendlich als einer der wenigen Vertrauten mit der Aufgabe betraut einen Teil des immensen Reichtums des Drogenfürsten vor den gierigen Fingern der Regierung zu verbergen.

Hier wird dann auch eine der wenigen Schwächen des überdurchschnittlichen Erstwerks offenbar. Denn der Antagonist Escobar hält ganz offensichtlich nichts von losen Enden. Nick allerdings gehört zu eben diesen. Dem Zuschauer ist das sehr schnell klar, Nick jedoch scheint Ewigkeiten für diese Erkenntnis zu brauchen. Es hilft Hutchersons Performance, dass seine Rolle wohl wirklich ein naiver Typ ist, den die wunderschönen Augen von Maria alles Übel, alle Leichen und Morde immer wieder vergessen lassen. Bis es eben nicht mehr geht. Und wenn es dann zu spät ist, dreht „Pablo Escobar“ noch einmal richtig auf. Bis zum sentimentalitätsfreien Ende treibt der Film seinen Hauptakteur durch technisch beeindruckend erzählte Actionsequenzen, die von der Ausweglosigkeit immer unter Druck gehalten werden.

Fazit

„Escobar“ hat eine Menge zu bieten. Der scheinbar recht unerwartete Erfolg in den USA in wenigen, ausgewählten Kinos und der VOD Veröffentlichung kommt nun dem deutschen Publikum zu Gute. Wer Filme wie „Blow“ oder „Traffic“ mag, aber nicht auf ein wenig Nicolas Sparks oder „The Beach“ verzichten möchte, wird hier voll auf seine Kosten kommen. Als durchgehendes Bonbon gibt es dazu Benicio Del Toro in einer Rolle, die ihm wie auf den Leib geschnitten scheint. Kinostart ist am 09.07.2015.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.****

Filmkritik von Julius, 07.05.2015