Filmkritik zu Black Mass

  

Mit „Black Mass“ kehrt Johnny Depp endlich wieder in eine Rolle zurück, die sich nicht wie eine Repetition von vorherigen anfühlt. Auch wenn ganz klare Parallelen zu seiner Herkunft zu erkennen sind. Dass aber der Film in dem Depp endlich wieder klar punkten kann kein gewöhnlicher ist und keiner, den jeder von Beginn an versteht, war beinah abzusehen.

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Kinostart für Black Mass ist am 15.10.2015. Trailer, Bilder, Poster u.v.m. hier.

Eine Bereicherung des Gangstergenres

„Black Mass“ ist auf den ersten Blick eine verworrene Geschichte um einen der erfolgreichsten Gangster der USA. James „Whitey“ Bulger regierte die Old Colony von Boston mit Hilfe des FBIs und ging seinen Häschern erst lange Zeit später durch Zufall in die Fänge. Die Vorlage in Buchform ist eine bittere Dokumentation der Umstände, die dies ermöglichten. „Black Mass“ aber ist bizarr, verwirrend und am Rande des Wahnsinns — zumindest bist zu dem Punkt an dem sich der Zuschauer auf die Wellenlänge des Films einstellen kann. Dann ist er der Film der endlich seit „Eastern Promisses“das Gansgster-Genre bereichert.

Erratische Aussagen durch großartige Münder

Der grobe Plot des Films hingegen verspricht nichts dergleichen. Die Autoren Jez Butterworth und Mark Mallouk sind sogar so frech, dass sie die eigentliche Erzählung im Hintergrund — nämlich Zeugenaussagen von Whiteys Männern — als Entschuldigung für Lücken nutzen. Die Aussagen werden zu einer Art Voice-over, die sich wie Bauholz über Löcher im Asphalt legt. Grob, aber es hilft und irgendwann hat man sich auch dran gewohnt. Zusätzlich fassen die Aussagen mehr zusammen als das sie erzählen und so rast der Film förmlich durch die Fakten. Wir treffen Bulger und die beiden Männer, die ihm zu seiner Macht verhelfen: Seinen Bruder Senator William Bulger (Benedict Cumberbatch) und seinen Jugendfreund FBI Agent James Connolly (Joel Edgerton). Wir sehen fassungslos oder es nicht in Tiefe komplett begreifend zu, wie Connolly einen wahnsinnigen Plan fasst um sich bei Whitey für einen Dienst aus Kindertagen zu bedanken und durch den er das FBI zu Bulgers unwissender Armee im Gebietskampf gegen die italienische Mafia macht. Uns begegnet Whiteys Frau Lindsey Cyr (Dakota Johnson) ihr gemeinsamer Sohn Douglas Cyr (Luke Ryan). Und natürlich lernen wir Bulgers Gang kennen unter ihnen Jesse Plemons, Rory Cochrane, und der große W. Earl Brown, der es geschafft haben muss den Geist von Warren Oates in sich zu beschwören. All ihre Leistungen sind hervorragend, haben jede einen bleibenden Moment. Aber ihre Charaktere bleiben alle irgendwie ungreifbar. Wie Geister und Gäste treten sie mal in Erscheinung, mal verschwinden sie einfach aus der Erzählung, nur um dann doch wieder überraschend aufzutauchen. Einzige Ausnahme bildet Peter Sarsgaard. Er schafft es das erbärmliche Leben eines übernervösen Koksers in nur vier kurzen Szenen zusammenzufassen.

Das Böse unter der Sonne

Als Zuschauer von „Black Mass“ kommt man nicht um hin, sich zu fragen, ob der finstere und schlecht gelaunte Tonfall des Films passt. Das Verhalten des FBI über lange Jahre wirkt einfach zu absurd und wird wunderbar durch Kevin Bacon als Connellys Vorgesetzten zusammengefasst, wenn dieser begreift, dass irgendein Betrug mit seiner Abteilung durchgezogen wird, den er aber einfach nicht greifen kann. Dass das aber tatsächlich passiert ist, findet sich in den Ermittlungsakten des wahren Falls wieder. „Black Mass“ nun macht Connelly zu einem der größten Wiesel der Filmgeschichte in einem Film, den viele auf typische Gangsterthemen wie Gewalt, Ehre und Loyalität reduzieren. Regisseur Scott Cooper (bekannt für „Crazy Heart“ und „Auge um Auge“) erzählt aber noch mehr. Seine Geschichte hat etwas biblisches. Sie beschäftigt sich mit dem Gedanken, dass das Böse nur deswegen erblühen kann, weil es für uns alle charismatisch und entschlossen wirkt. Sie gibt eine Antwort darauf, warum wir es in der U-Bahn zulassen, dass jemand über Stationen seine Freundin verbal misshandelt und warum sich keiner wehrt, wenn vier Männern mit Paketschneidern ein Flugzeug entführen. Bulgers Terror, der über 20 Jahre währte, wird als genau so ein Moment präsentiert. Alle Beteiligten scheinen komplett machtlos ihm gegenüber. Johnny Depp erfüllt diesen lebenden Alptraum mit dem nötigen Format. Und dies unter soviel Make-Up, würde er als Bulger neben seinem Abbild bei Madame Tussaud's stehen, niemand würde ihn für Johnny Depp halten. In seiner Performance liegt etwas von Nosferatu oder einem Ghoul. Seine Augen sind von hellem Blau, aber sie sind kalt und tot. Seine Haut ist immer wächsern, seine Zähne gelb. Der Film und Kameramann Masanobu Takayanagi stellen ihn oft in Blickwinkeln dar, die diesen monströsen Eindruck unterstützen. Immer wieder scheint er aus Schatten zu treten oder selber einer zu sein. In einer Szene liegt er auf seinem Sofa und starrt, ohne einmal zu blinzeln die Decke an, während die Kamera immer näher an ihn heran zoomt: Dracula im Sarg. Es geht jedoch auch subtiler. Relativ spät im Film klopf Bulger, diabolischer wie kaum zuvor, an das Schlafzimmer einer Frau, die grade „Der Exorzist“ liest. Oder es geht unübersehbar auf die Augen des Zuschauers: Als Bulger auf einem Parkplatz Informanten erschießt, scheint er wie ein Drache aus der Sonne zutreten. Als er die Szene wieder verlässt scheint ihm die harte Sonne den Heiligenschein zu verleihen, den sie schon Leatherface verlieh. Johnny Depps Whitey Bulger ist keine reale Person, sie ist ein Bild und eine Idee. Eines das er selber erschaffen hat, denn du musst als Gangster immer noch brutaler sein als alle anderen sein und eines, das sich in den Köpfen seines Umfelds verankert hat. Die Leistung von Depp fügt seiner Sammlung an einmaligen Charakteren endlich ein neues Bild hinzu. Eine im Stile von den Horror-Ikonen der 30er und 40er Jahre. Und eine ob der Menge des Make-Ups, die sich in der Nachbarschaft von Lon Chaney, Peter Sellers und Orson Welles einfindet.

Fazit

„Black Mass“ hat viele gute Momente, aber seine Art der Erzählung als gewaltige Schwäche. Es ist völlig verständlich, wenn jemand aus dem Film kommt und enttäuscht wirkt. Es gibt kaum Spannungsbogen, es ist ein bisweilen erratisch wirkendes Konstrukt. Wer es aber schafft sich auf den Film einzulassen, wer Johnny Depp in Höchstform erleben und ein extrem akkurates Szenenbild erleben möchte, der und die wird mit „Black Mass“ sehr glücklich werden.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.****

Filmkritik von Julius, 14.10.2015