Filmkritik zu Creed - Rocky's Legacy

  

Es bedarf keines Abschlusses in „Rocky“-Lore um „Creed“ wert zu schätzen, aber für diejenigen, die in die Abenteuer von Sylvester Stallones Boxer mit dem einprägsamen Namen und Philadelphia als Heimat investiert haben, ist Ryan Cooglers Film einer, der sich extrem in emotionalen Dividenden auszahlt. „Creed“ ist in vielen Belangen eine Art Reminiszenz an den ersten Rocky aus dem Jahre 1976 und die Art, wie er uns Rocky Balboa ans Herz wachsen ließ, wird es Neulingen schwer machen diesem Charme zu widerstehen. Aber „Creed“ ist weit mehr: es ist ein würdiges letztes Kapitel einer Ära, das dennoch viel zu entdecken und an Unterhaltung bietet und endlich wieder aufzeigt, was für ein wunderbarer Schauspieler Sylvester Stallone ist, so er mit dem richtigen Regisseur zusammenarbeitet.

szenebild creed Rocky 01

Creed - Rocky's Legacy ist ab dem 14. Januar 2016 in den Kinos zu sehen.

Spiegelgefecht

Cooglers Geschichte, geschrieben in Zusammenarbeit mit Aaron Covington, spiegelt ohne direkt den Erzählbogen von „Rocky“ wieder. Wir haben den jungen, aber auf eine Art bescheidenen Boxer, seinen Mentor, die Frau, die ihm ans Herz wächst und seine stärkste Stütze wird. Wir haben den berühmten Boxer, der unserem Helden einen Kampf und die Chance seines Lebens gewährt. Gerüstet mit diesen Elementen beginnt „Creed“ mit ihnen zu spielen, dreht sie und tänzelt um unsere Erwartungen herum, nur um uns mit einem oder zwei Finten, gefolgt von schnellen Haken zu überraschen. Es ist zwar sehr leicht zu erahnen, wohin uns „Creed“ schicken möchte, dies ändert aber nichts an der Durchschlagskraft und der emotionalen Wucht des Films. „Creed“ will die breite Masse ansprechen und macht dafür alles richtig, in dem sich der Film einfach all die Zeit nimmt, der er braucht um seine von Charakteren getriebene Schlagkraft aufzubauen. So sind es sowohl extrem effektiv gestaltete Sequenzen, als auch rührende und urkomische Momente, die allesamt von hochgradig talentierter Hand auf beiden Seiten der Kamera inszeniert werden.

Cooglers „Creed“ ist eben ein Liebesbrief an „Rocky“ und der mit den Filmen verbundenen Lore, ganz wie „Star Wars: Episode VII“ dies an „Episode IV“ ist, der es dennoch schafft seine ganz eigene Erzählung aus all den Anleihen und Verweisen zu kreieren. Im Fall von „Creed“ ist Dreh- und Angelpunkt Adonis Creed (Michael B. Jordan). Ryan Coogler fängt seine eigenen Absichten perfekt in einer frühen Konversation zwischen Rocky und Donnie (so nennt sich Adonis Creed selber) ein. Sie umrahmt im Hintergrund ein Bild des Kampfes zwischen Rocky und Adonis Vater Apollo Creed. Coogler platziert seine beiden Protagonisten so, dass das Gesamtbild sowohl als Blick in die Vergangenheit, als auch in die Zukunft fungiert: es ist Rockys Vergangenheit und Apollos Zukunft, es ist Adonis Gegenwart und Zukunft, und Rocky Existenz schwebt dazwischen und verbindet alles. Zudem ist sie ein Ende, das macht der in die Jahre gekommene Stallone optisch deutlich, im krassen Kontrast zu sich selber im Rahmen hinter sich. Der Weg führt aus der Vergangenheit in die Zukunft, aber die Geister der Vergangenheit kommen mit uns.

Creed und die Sünden der Väter

Und so beginnt „Creed“ dann auch mit Donnies Vergangenheit, in der der junge und verwaiste Adonis Johnson im Jugendgefängnis Besuch von Apollo Creeds Witwe Mary Anne (eine strenge Phylicia Rashad) erhält. Sie adoptiert das Problemkind, das Ergebnis einer Affäre, die Apollo kurz vor seinem tödlichen Kampf mit Drago in „Rocky IV“ hatte. Donnie wird zwar von Mary Anne wie ihr eigener Sohn aufgezogen, aber er kann sich nie aus dem Schatten seines illegitimen Vaters lösen. Heimlich boxt er in Mexiko, nur um 12 Stunden später wieder im Büro zu sitzen.

Dass Donnie, im Gegensatz zu Rocky, einen Bürojob hat ist schon ein erstes Spiel mit den dem Film zu Grunde liegenden Bausteinen und eine Umkehr des Klischees „Niemand, der Geld hat, hat jemals Profiboxen angefangen“. Doch Donnie will sein finanzielles Erbe und sein Geld nicht. Er will seinem Vater nacheifern, obwohl Mary Anne ihn vor den Konsequenzen warnt: „Du wirst die einfachsten Aufgaben nicht mehr erledigen können, keine Treppe mehr bewältigen, dich nicht einmal mehr selber waschen können“. Donnie wirft alles hin und sucht in Philadelphia Rocky Balboa auf.

Dort will er den alten Freund seines Vaters davon überzeugen ihn zu trainieren. Der hat aber überhaupt keine Lust, nicht einmal der Umstand, dass Donnie Apollos Sohn ist, lockt ihn. Um Neulinge auf den Stand der Dinge zu bringen berichtet Rocky über den Kampf, der Apollo Creed das Leben kostete. Dennoch betont Rocky, dass er müde ist. Er hatte seine Zeit. Und wir kaufen Stallone das ohne Frage ab. Donnie lässt nicht locker und zieht Rocky langsam in seine Ecke, trotz neidischer Blicke in Mickeys (Rockys alter Trainer) ehemaligem Boxclub. Dank Rockys Auftreten bekommt Donnie im großen Finale die Gelegenheit gegen den Liverpooler Profiboxer Pretty Ricky Conlan (Tony Bellew) anzutreten, der sich selber im Kampf mit der eigenen Vergangenheit befindet.

Parallel dazu versucht Donnie bei seiner Nachbarin Bianca (Tesse Thompson), einer schwerhörigen Sängerin und Komponistin, zu punkten, deren laute Musik Donnie vom bitter benötigten Schlaf abhält. Genau wie Rockys Adriana ist Bianca ein komplexer Charakter, deren Ziele und Wünsche nicht durch die Hingabe zum Helden gewandelt werden. Thompson ist in „Creed“ noch besser als in „Dear White People“. Sie singt eigene Stücke und liefert sich mit Johnson so schnelle verbale Schlagabtäusche, wie er sie sonst nur mano-a-mano im Ring erfahren muss. Coogler kostet seine Liebesgeschichte aus und badet „Creed“ in der glühenden Romanze. Aber er nutzt geschickt die Szenen der Liebe als Parallele zum Kampf. Wenn die beiden nebeneinander liegen und Donnie einen schnelle Kuss erbeutet, dann ist dies nur eine erste Hürde und spätere romatische Szenen fühlen sich dank dieses ersten kleinen Sieges wohlverdient an.

Der Schmerz von Verlust und Niederlage

„Creed“ erinnert uns in vielen Momenten, dass es in „Rocky“, auch in den schwächsten und absurdesten Momenten, immer um Verlust ging und wie sich diese Verluste auf die Akteure auswirken, wie sie durch sie wachsen. Bianca will, bevor sie ihr Gehör gänzlich verliert, immer bessere Musik machen, aber sie ist bei weitem nicht der einzige Charakter in „Creed“, der mit Verlusten zu kämpfen hat und zu kämpfen haben wird. Der Ursprung von „Creed“ liegt in dem wohl dümmsten Teil der Serie und dennoch verbindet ihn „Creed“ mit den anderen Teilen zu einer Gesamthandlung und hebt ihn so empor. Dies geschieht aber erst komplett durch eine wunderbare Ansprache seitens Rocky über Verlust, Liebe und Konsequenzen. Dieser Moment wird durch weitere schlechte Neuigkeiten, die Rocky kurz davor erhält, verstärkt und es ist beachtlich, wie subtil Stallone sein Spiel ab diesem Punkt zu wandeln beginnt. Plötzlich werden Beiläufigkeiten, wie das Abnehmen seines Hutes zu Gesten von tragischer Wucht. Coogler verstärkt dies noch zusätzlich dank der Bilder, die Cinematographin Maryse Alberti abliefert: immer wieder fängt sie die Gesichter der Charaktere ein und weiß darüber viel zu erzählen.

Am effektivsten aber ist „Creed“ wenn die Kamera still steht und es zulässt, wie die Schauspieler langsam Verbindung zu uns aufnehmen. Dank der Bildkonzeptionen, meist sind es nur zwei Schauspieler in einem Bild, werden wir sehr schnell intim mit dem Geschehen auf der Leinwand, prägen uns Details ihrer Gesichter ein und schließen sie ins Herz. Jeder Schlag tut danach um so mehr weh, ob er nun physisch oder psychisch ist.

„Creed“ gibt uns aber auch einen neuen Helden und diesen stellt Jordan auf exzellente Art dar. In Zusammenarbeit mit Coogler wusste Johnson schon in „Nächster Halt: Fruitvale Station“ zu überzeugen und hier zaubert er ein wunderschönes Abbild eines jungen Menschen auf der Suche nach der eigenen Identität auf die Leinwand. Wieder und wieder inszeniert Coogler ihn in traumhaften Anleihen an „Rocky“, verleiht ihm aber auch sein ganz eigenes Bild, seine eigenen Ecken und Kanten. Johnson füllt all dies mit sehr viel Talent aus.

Fazit

„Creed“, wenn auch in den USA schon seit letztem Jahr zu sehen, gehört jetzt schon zu den besten Filmen des Jahres und legt für kommende Sportlerdramen die Latte extrem hoch. Was „Southpaw“ zu viel an griechischer Tragödie à la Sutter hatte, macht „Creed“ an jeder Stelle richtig. Der würdigste Nachfolger der „Rocky“ Franchise, der sowohl Lust auf mehr macht, als auch hoffen lässt, dass er einfach ein würdiger Abschluss ist.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.*****

Filmkritik von Julius, 06.01.2015