Filmkritik zu "El Clan"

  

Argentiniens Vorzeigeregisseur Pablo Trapero („Carancho,” „White Elephant”) hat sich für seinen aktuellen Film einen realen Fall herausgesucht, der so erschreckend erscheint, dass man ihn gar nicht für tatsächlich geschehen halten möchte. Diesen aber erzählt er aus Sicht der Täter in „El Clan“ mit all seinen grauenhaften Details nach. Das Ergebnis ist ein kraftvoller, Hollywood in Nichts nachstehender Thriller über eine gut situierte Familie, die ihre vermögenden Nachbarn entführt, um von ihren Verwandten Lösegeld zu erpressen. 30 Jahre nach der Festnahme der Puccios ist „El Clan“ in Argentinien ein riesiger kommerzieller Erfolg geworden. Eine halbe Millionen Kinobesucher in den ersten vier Tagen — und dies alles vor den Vorführungen in Venedig und Toronto.

el clan szenebild

El Clan ist ab dem 03. März 2016 in unseren Kinos zu sehen.. Bild oben: Szene aus dem Film


Ein Psychopath von Format

Ein wichtiger Faktor für den Erfolg in Argentinien ist sicherlich die Transformation des charismatischen Stars Guillermo Francella („The Secret in Their Eyes”) in einen eiskalten Psychopathen, der all die grausamen und korrupten Praktiken der gestürzten Diktatur seines Landes scheinbar unbehelligt in den ersten Tagen der jungen argentinischen Demokratie weiterführt. Seine Begründung: Lange wird es diese nicht geben. Ein wenig erinnert dies an die Generation unserer Großeltern, die ihre Parteiausweise im Keller versteckten, für den Fall, dass alles wieder „so wie vorher“ wird, wenn die Alliierten einmal weg sind. Das, was Trapero in „El Clan“ aber dann erreicht, ist, dass sich der Zuschauer plötzlich als unfreiwilliger Komplize von Entführungen wiederfindet. Argentinier werden hier sicherlich einen finsteren Teil der Geschichte ihres Landes wiederfinden, vom Fall Puccio bis zum größeren politischen Zusammenhang. Beides wird für Kinobesucher, die mit dem Thema nicht vertraut sind in einem fesselnden, jedoch leider wenig erklärenden Prolog zusammengefasst.

Denn Entführungen haben in Argentinien einen für Westeuropäer eventuell nicht ganz verständlichen Hintergrund. Sie wurden lange Zeit als Werkzeug der Kontrolle durch das Regime von Jorge Rafael Videla genutzt. Erst sein und seines Regimes Sturz 1981 beendete die Serie von staatlich sanktioniertem Kidnapping und brachte zu Tage, dass rund 81.000 Dissidenten diesen Verbrechen zum Opfer gefallen waren. Nur hörten mit dem Ende dieser Diktatur die Entführungen nicht auf. Der ehemalige Geheimdienstler Arquimedes Puccio (Francella) setzte seine jahrelange Erfahrung und Ausbildung als eben staatlicher Entführer dahingehend ein, reiche Ziele auf offener Straße in seine Gewalt zu bringen und in seinem Haus solange festzuhalten, bis deren Familien Lösegeld zahlten. Davon ausgenommen all jene Opfer, die das Anwesen der Puccios nicht lebend verließen.

Der Polizeichef von San Isidro schaute weg. Mutmaßlich hatte er selber Puccio in der Vergangenheit, zu Zeiten der alten Regierung, mit genau solchen Aufgaben betraut. Er ging sogar soweit Puccio zu decken. Dies gibt Francellas selbstgerechter Performance nur noch mehr fesselndes Feuer. Puccio stand über dem Gesetz, wusste dies und das nutzt „El Clan“ hervorragend aus. Traperos Co-Autoren Esteban Student und Julian Loyola zeigen nicht nur die Verbrechen, sondern schaffen für die furchterregende Kontrolle, die Puccio über seine eigene Familie ausübt, genug grausamen Raum. Auch wenn die Entführungen sicher das sensationelle Element in „El Clan“ sind, so kommt das Verhältnis von Puccio zu seinem ältesten Sohn Alejandro (Peter Lanzani) nur kurz dahinter.

Identifikationsprobleme in El Clan

Auch wenn es „El Clan“ nicht wirklich gelingen will, dass sich der Zuschauer mit Alejandro identifiziert, so bleibt er der Punkt, der in seinen Handlungen nachvollziehbar erscheint. Immer jedoch, wenn er so etwas wie Unabhängigkeit von seinem Vater zu erreichen scheint, taucht der grausame Patriarch auf und zieht in wieder zurück in seine Kontrolle. Einige dieser dazu wichtigen Details werden am europäischen Publikum vorbeigehen, da auch sie wieder eher für Landsleute von Alejandro völlig nachvollziehbar sein dürften. Ohne diese komplette Verbindung verlieren schockierende Momente, wie die Erkenntnis, dass er lediglich als Köder bei frühen Entführungen fungiert etwas an Wucht. Wobei die verbleibende Schärfe noch immer eine deutliche ist.

In genau dieser Szene erreicht „El Clan“ das virtuose Flair von Scorsese und De Palma. Klassischer Rock verbindet sich mit dem Donnern von Motoren. Trapero setzt über den Verlauf von „El Clan“ Musik immer wieder als ironisches und verstörendes Element ein — ähnlich wie Spike Lee in „Summer of Sam“. Wenn die Puccios ihr letztes Opfer, kaum reicher als sie selber, in ihre Gewalt bringen ist es David Lee Roth Song „Just a Gigolo“, der den Soundtrack bildet.

Der Zuschauer als Mitwisser

Wenn dann das Ende naht — und dieses ist ab der ersten Minute absehbar — bleibt immer noch die schockierende Antwort auf die Frage, wie sich eine komplette Familie durch ihr Oberhaupt für grausame Verbrechen einspannen lässt. Alejandro möchte zwar eigentlich heiraten und ein Geschäft eröffnen, aber Arquimedes will, dass er „das Familienunternehmen“ weiterleitet. Sein Sohn, in Gegenwart von Freunden und Freundin Monica (Stefania Koessl) stark und selbstbewusst, verkommt in der Präsenz des Vaters zu einem willenlosen Kind. „El Clan“ bindet den Zuschauer in exakt dieser Position. Die Kamera ist extrem nah am Geschehen, jede Pore ist erkennbar. Ein überladenes Soundkonzept hämmert auf die Ohren. Alles fühlt sich sehr klaustrophobisch und verschwörerisch an. Selbst wenn die Mitglieder des Clans nicht einfach so ihre Familie verlassen konnten, so machen sie sich doch alle zu Mittätern.

Das Ergebnis ist nur in Nuancen von einem Horrorfilm entfernt — einem wie Carpenter ihn zu Glanzzeiten geschaffen hätte. Der Zuschauer sieht sich förmlich verpflichtet sich mit den Tätern zu identifizieren. Während Entführungen ablaufen und das gequälte Stöhnen der Opfer zu vernehmen ist, schneidet Trapero grausam auf Alejandros erregtes Keuchen während eines Tête-à-Tête auf dem Rücksitz seines Wagens um.

In einigen Belangen weißt „El Clan“ Parallelen zu Johnny Depps „Black Mass“ auf. Auch hier ist es ein Monster, dass den Zuschauer für sich einnimmt. Nur ist die Kälte in Francellas blauen Augen nicht die von Kontaktlinsen, sondern eine selbstgewählte.

Fazit

„El Clan“ verbindet mit sehr viel Talent einen Thriller, ein Stück Zeitgeschichte (mit den entsprechend detaillierten Kostümen) und menschlichen Horror. Hier kommen nicht nur Krimifans auf ihre Kosten, sondern jeder (und jede), die mit viel Kopf in der Erzählung, sich gerne fassungslos in die Kinosessel gedrückt fühlen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen****

Filmkritik von Julius, 24.02.2016