Filmkritik zu "Kind 44"

  

Es ist, nachdem man einen Film gesehen hat, immer leicht zu behaupten, ein anderer Regisseur hätte die Aufgabe sicherlich besser bewältigt. Im Falle von „Kind 44“ wäre dies Ridley Scott gewesen. Der Altmeister war zunächst für den tonangebenden Stuhl vorgesehen gewesen. Nun ist es an seiner Statt Daniel Espinosa (Safe House, Easy Money), der sich für ein 50 Millionen Dollar teures Fiasko verantworten muss. Allerdings wäre es falsch alleine ihm die Schuld zuzuschreiben.

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Stalins finsteres Schreckensreich

Der Bestseller von Tom Rob Smith gleichen Namens jedenfalls trifft keine Schuld. Zumindest keine filmische. Allerdings hätte man sich, bei der Stimmung in den letzten Jahren, an wenigen Fingern ausrechnen können, dass „Kind 44“ beziehungsweise „Child 44“ kein Film ist, mit dem sich auf dem russischen Markt auch nur ein Wodka gewinnen lässt. Vor wenigen Wochen dann wurde für den Film sogar ein kompletter Boykott und ein Vorführverbot in Russland ausgesprochen. Als Grund dafür wurde unter anderem angeführt, dass „Kind 44“ Mütterchen Russland zu Stalins Zeiten darstelle, wie eine moderne Version des Nazgul Reiches Mordor. Unterm Strich haben die Tolkien-Fans unter den russischen Beamten dem Publikum ihres Landes nun tatsächlich etwas Gutes getan, denn „Kind 44“ ist nun leider kein Film, der einen Besuch wert ist.

Dabei ist es einer, der vor den besten Voraussetzungen stand. Tom Rob Smith Romanvorlage ist eine, die fast ideal erscheint und nahezu darum bettelt verfilmt zu werden. „Kind 44“ lebt und atmet an sehr vielen Stellen eine düstere und plastische Atmosphäre, die Russland Mitte der 50er Jahre mit anschaulichem Leben erfüllt. Über die Handlung mag man sich streiten. Schon bei der Veröffentlichung des Bestsellers haben viele Kritiker angemerkt, dass das Buch nach und nach in eine immer stärker werdende Beliebigkeit auf Seiten der Handlung verfällt. Und einen Hang zur anti-russischen Propaganda musste sich auch die Romanvorlage nachsagen lassen.

Letzteren Tonfall hat die Verfilmung zumindest deutlich übernommen. Drehbuchautor Richard Price (Kopfgeld) aber hat sich zudem dafür entschieden die Rolle des Mörders einem völlig anderem Charakter als im Buch zukommen zu lassen. Obendrein einem, der auch im Film kaum vorkommt und es insgesamt auf 10 Minuten Leinwandpräsenz bringt. Weite Teile des Buches (und der Handlung) fußen nun aber auch auf den komplexen Konstellation zwischen den Charakteren. Diese wird durch den Austausch des Mörders plötzlich nichtig — und dem Film fehlen nicht nur wichtige Drehmomente, sondern obendrein auch noch eine schlüssige Motivation in mehr als nur einem Charakter.

Schauspielerisch solide Arbeit

Am Cast jedenfalls liegt es nicht. Diese machen durch die Bank eine gute Arbeit. Allerdings ist der Film mit der originalen Tonspur sogar für englische Muttersprachler schwer zu verstehen. Wie es häufiger bei Hollywoodproduktionen vorkommt, die in einem „fremden Land“ spielen, hat nun in „Kind 44“ jeder einen russischen Akzent. Besonders schlimm ist dieser bei der Rolle des Generalmajor Kuzmin (Vincent Cassel). Ich persönlich hab ihn kaum verstanden. Dabei wird der Mann sicher etwas zu sagen gehabt haben. Immerhin ist der Generalmajor. Aber auch Tom Hardy als Protagonist der Handlung und linientreuer Geheimdienstoffizier Leo Demidow beleibt der auf die Dauer schwer nervende Zungenschlag nicht erspart. Aber immerhin gibt er sich alle Mühe durch die Handlung zu führen. In dieser dreht es sich zum einen um die Jagd auf Regimefeinde, bei der Leos Partner Wassili (Joel Kinnaman) auch für stalinistische Verhältnisse etwas sehr engagiert zu Werke geht und die bis in Leos direktes, persönliches Umfeld zu führen scheint. Auf der anderen Seite dreht sich alles um den tot aufgefundenen Sohn von Leos Kollegen Andrejew (Fares Fares). Der ist offensichtlich ermordet worden. Allerdings gibt es im stalinistischen Russland keine Mörder, denn dies käme einem Versagen des Systems gleich und genau das ist absolut ausgeschlossen.

Der Cast ist bis in die Haarspitzen stark besetzt. Noomi Rapace spielt Raisa, Leos Frau und eine mutmaßliche Mitverschwörerin der Systemgegner, Gary Oldman im späteren Verlauf Leos neuen Vorgesetzten General Mikhail Nesterov.

Das Versagen des Films aber wird, beginnend mit dem Drehbuch, durch den Schnitt verstärkt. In Hollywood gibt es ein Sprichwort. Gemäß diesem wird ein Film dreimal geschrieben. Einmal als Drehbuch, einmal am Set und einmal am Schnitttisch. Mit geschickten Umschnitten lassen sich viele Fehler in Handlungen wieder ausbügeln, so sie nicht am Set selber deutlich geworden sind. Im Fall von „Kind 44“ aber macht vieles den Anschein, dass am Schnitttisch nur noch mehr Verwirrung hinzugefügt wurde. Anstatt beispielsweise sich auf wenige Fragen bei Leos Verhören zu konzentrieren und den Ermittler als den zielstrebigen Offizier und von blindem Gehorsam angefüllten Kriegshelden der er ist, werden wichtige Szene aufgeblasen und wollen einen Charakter vermitteln, dessen Ausmaß der Film überhaupt nicht stemmen kann. Dann wiederum gibt es Stellen, die viel zu zerstückelt und viel zu grob sind. Sehr deutlich kommt dies in den mit Handkamera gefilmten Actionsequenzen hervor. Diese sind völlig chaotisch und schlicht und ergreifend nicht verständlich.

Fazit

Das große Rätsel im Fall von „Kind 44“ heißt Espinosa. Wenn einem Regisseur scheinbar alle Fäden entglitten sind, dann stellt sich bei einer 50 Millionen Dollar Produktion die Frage, warum das niemandem aufgefallen ist. Sicher gab es schon größere Flops und und schlechtere Filme, dennoch wäre es bei „Kind 44“ sehr leicht zu vermeiden gewesen. Allein eine hundertprozentige Umsetzung des Buches, angelegt an den wahren Fall des Mörders Andrei Chikatilo, hätte „Kind 44“ aufgewertet. Normalerweise gab es bereits im Vorfeld zu Filmen, die auf diese Art scheitern, Gerüchte um hektische Drehbuchänderungen, Szenen die zigfach neu und nachgedreht wurden und Terminverschiebungen zugunsten von ausgedehnten Umschnitten. „Jupiter Ascending“ war dafür ein prominentes Beispiel in der jüngsten Vergangenheit. Bei „Kind 44“ jedoch war nichts dergleichen bekannt geworden. Was dann bleibt ist eine in vielen Dingen verschwendete Gelegenheit.

Bewertung: 1 von 5 Sternen. *

Filmkritik von Julius, 25.05.2015

Kind 44 - ab dem 04. Juni im Kino

Kind 44 ist ab dem 04. Juni in den deutschen Kinos zu sehen. Weitere Informationen, Bilder, Poster und den Trailer findet ihr hier.