Filmkritik zu Spotlight

  

Am 6. Januar 2002 sprang die Abonnenten des Boston Globes die Schlagzeile „Kirche deckte jahrelang Missbrauch durch Priester“ förmlich an. Die darunter stehende Geschichte war nach allen Belangen, in Umfang und Wucht, massiv. Geschrieben worden war sie durch Michael Rezendes, einem Reporter aus den Reihen des investigativ arbeitenden Spotlight Teams des Globes. Weitere Berichte zu dem Thema folgten durch Spotlight und der Nachhall dieser journalistischen Ermittlungen sorgten für den Rücktritt des damaligen Erzbischofs von Boston Kardinal Bernard Law (der post(en)wendend durch Johannes Paul II. einen neuen Job in Rom erhielt). Für die Damen und Herren des Spotlight Teams gab es 2003 einen Pulitzer Preis und nun einen Kinofilm.

spotlight szene

Spotlight - der Film ist ab dem 25. Februar 2016 in den deutschen Kinos zu sehen

Spotlight: Mitten ins Druckerschwarz

Tom McCarthys hervorragender Film „Spotlight“, von McCarthy in Zusammenarbeit mit Josh Stinger geschrieben, erzählt nun genau die Ereignisse und Entwicklungen, die zu der Schlagzeile jenes 6. Januars führten. „Spotlight“ ist ein großartiges journalistisches Drama, ganz im Stil von Klassikern wie „All The President's Men“ („Die Unbestechlichen“ mit Robert Redford und Dustin Hoffman) und „Zodiac“ (der mit Jake Gyllenhaal, Robert Downey junior und Mark Ruffalo). Ähnlich wie diese Meilensteine widmet sich „Spotlight“ der erdrückenden (und bisweilen langweiligen) Ermittlungsarbeit mit Hingabe, weiß dies aber mit einer guten Portion Cary Grant und Rosalind Russel à la „Sein Mädchen für besondere Fälle“ zu würzen, wenn die Akteure wieder einmal mit erhitzten Gemütern in ihre Telefone brüllen. Gen Ende von „Spotlight“ gibt es sogar ein Bild, in dem laufende Druckerpressen den die Handlung treibenden Artikel aufs Papier bringen. Ein selbst in Zeitungsfilmen völlig veraltetes Bild ganz nah am Klischee gelegen. In „Spotlight“ aber ist dies ein höchst emotionaler Moment, kann sich doch der Zuschauer gut vorstellen, welche Wunde die Wucht der Schlagzeile in die schwer katholische Gemeinde von Boston schlagen wird. Allein dies ist schon ein Merkmal dafür, wie gut „Spotlight“ ist.

Spotlight an für Team Spotlight

Das Spotlight Team besteht in „Spotlight“ aus Walter „Robby“ Robinson (Michael Keaton) und drei Reportern, Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und Matty Carroll (Brian d'Arcy James). Dazu kommt noch John Slattery als der stellvertretende Chefredakteur Ben Bradlee Jr.. Alle Protagonisten kommen aus Boston, alle haben ihre ganz eigenen Verbindungen zur allgegenwärtigen katholischen Kirche. Als ein neuer Redakteur dem Team vorgesetzt wird, wird dieser (Marty Baron gespielt von Liev Schreiber) direkt als Fremder und Außenseiter angesehen. Er ist es aber, der das Team erst auf die Geschichte bringt und auf Nachforschungen drängt. In Lievs sehr zurückgenommen Spiel geht dieser Umstand beinah unter, aber dies gilt in „Spotlight“ für seine gesamte Performance. Dabei sind es auch seine Rolle und seine Darstellung, die dem Film so viel an Echtheit verleihen. Gen Ende sitzt er mit dem Rotstift bewaffnet an dem fertigen Artikel, streicht Wort um Wort und murmelt kopfschüttelnd zu sich selber und dem Team: „Adjektive“. Volltreffer.

Das Team selber hat sein Räume in einem engen Kellerbüro. Hier sitzen Charaktere zusammen, die sich gegenseitig häufiger sehen, als ihre Familien. Persönliche Eigenheiten jenseits des Jobs beschränken sich auf ein Minimum: Sacha geht jeden Sonntag mit ihrer Großmutter in die Kirche, ein Ritual das ihr mehr und mehr inneren Schmerz bereitet. Rezendes Ehe beginnt zu zerbrechen. Matty hat eine Handvoll Kinder und im Verlauf des Films gemahnt ein dicker Magnet an der Tür des Familienkühlschranks den 11. September nicht zu vergessen — samt der üblichen Flagge der USA. Kurze Details, die uns genügend Anhaltspunkte zu diesen Menschen geben.

Zunächst konzentriert sich dieses Team auf einen ehemaligen Priester, John J. Geoghan, dem vorgeworfen wird vor einigen Jahren viele Kinder missbraucht zu haben. Aber Baron drängt darauf, dass die Geschichte größer ist als nur ein schwarzes Schaf im Talar. Er will das ganze System entlarven. Dass Korruption eine wichtige Rolle in der Vertuschung gespielt hat, ist offensichtlich, doch die wichtige Frage ist: steckt auch der Kardinal mit unter der Decke? Baron erfährt schon bei seinem ersten, obligatorischen Treffen mit Kardinal Law, dass dieser einfach davon ausgeht, dass der Globe mit ihm und der Kirche zusammenarbeiten wird.

Zur gleichen Zeit befragen Sacha und Michael die mittlerweile erwachsenen Opfer. Diejenigen,die sich in die Öffentlichkeit trauen sind zu tiefst traumatisiert und finden keine Worte um das zu beschreiben, was ihnen widerfahren ist. Ihnen zur Seite stehen zwei Anwälte (gespielt von Billy Crudup und Stanley Tucci), die sich mit den Machenschaften Kirche auf einer ganz anderen Ebene auseinandersetzen müssen.

Detailversessen

McCarthy und sein komplette Team, vom Bühnenbildner über den Location Scout bis zum Casting Director für Komparsen, schaffen es bis ins kleinste Detail ein absolut überzeugendes Boston zu schaffen. Laut vielen Aussagen aus der US-Presse sogar eines, dass sich für eingefleischte Bostoner als echt anfühlt. Es ist aber nicht nur die Stadt, es sind in erster Linie die Charaktere und die Leistungen der Schauspieler, die den Film als so natürlich erscheinen lassen. Mit nur wenigen Pinselstrichen werden Menschen erschaffen, wie man sie auf der Straße trifft und deren Handlungen schlüssig wirken. Auch wenn es schwer fällt, aus der Gesamtleistung noch Highlights herauszupicken, so wären dies im Fall von „Spotlight“ sicherlich Mark Rufallo und Michael Keaton. Es ist besonders Rufallo, der sein Spiel über den Verlauf des Films anpasst. Er entwickelt sich vom ruhigen Ermittler zu einem fast rasenden Verrückten, der durch Gerichtsgebäude rennt, Taxen verfolgt und seinen Chefredakteur anschreit.

„Spotlight“ zeigt einfach eine tiefere Wahrheit, eine Stufe des psychologischen Traumas durch Missbrauch, die sich nicht nur auf die Opfer, sondern auf Gläubige rund um den Globus ausgewirkt hat. „Spotlight“ nimmt den Glauben dieser Menschen ernst, berührt das Thema aber dennoch nicht mit Samthandschuhen. „Spotlight“ zeigt aber auch, wie zerbrechlich Glauben im Angesicht solcher Taten aus Reihen einer Kirche sein kann.

Fazit

Für die Welt der Nachrichten waren die Jahre 2001 und 2002 der Beginn eines Umbruchs, der noch lange nicht sein Ende erreicht zu haben scheint. Allzu oft scheint die Luft für Journalisten immer dünner zu werden. Aber es gibt ihn noch, den guten Journalismus mit fundierten Artikeln, jenseits von tendenziösen Meldungen. „Spotlight“ ist ein Film, der deutlich macht, wie wichtig diese Arbeit ist — und stellt sie spannend dar. Wer glaubt, ein Raum voller schweigender Menschen über Kirchenakten könnte nicht fesselnd sein, den und die wird „Spotlight“ eines Besseren belehren. Im Gesamtwert einer der besten Filme des vergangenen Jahres.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.*****

Filmkritik von Julius, 05.01.2016