Filmkritik zu The First Avenger: Civil War

  

Im gefühlt unmittelbaren Anschluss an „Batman v Superman: Dawn of Justice“ muss sich „First Avenger: Civil War“ den Schuh des direkten Vergleichs antun. Oder umgekehrt, denn Marvels bisher erwachsenster Film kommt in allen Belangen (außer massiver Grautonbandbreite) als die besserer Superhelden gegen Superhelden Revue weg. „First Avenger:Civil War“ ist tatsächlich nicht nur ein reiferer Film als seine Vorgänger, er bietet auch beachtlich viel Substanz, beweist dramatische Kohärenz und eine thematische Geschlossenheit, ganze ohne irritierende Subplots.

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Ab dem 28. April 2016 im Kino zu sehen: The First Avenger: Civil War

The First Avenger: Schuster und ihre Leisten

Die Regie haben erneut mit viel Bravour und Liebe Joe und Anthony Russo übernommen. Beide hatten bereits im Vorgänger „The Winter Soldier“ auf den gleichen Plätzen Talent bewiesen. Das Drehbuch stammt von Christopher Markus und Stephen McFeely, die seit dem ersten Teil „Captain America: The First Avenger“ mit an Bord sind. Aus dieser Zusammenarbeit heraus präsentiert sich der jüngste Teil als ganz starkes Argument dafür, auf ein eingespieltes Team zu setzen. Das Ergebnis ist nicht nur eine Fortführung der Handlung, sondern eine Kulmination. „Captain America: Civil War“ gräbt tief in der Geschichte der eigenen Reihe, schürft dennoch auch in fremden Gewässern (unter anderem dem von Hulk und Iron Man) und bringt komplett neue Bälle ins Spiel.

So beginnt die Handlung dann auch erwartungsgemäß in der Vergangenheit. Winter Soldier James „Bucky“ Buchanan (bis auf wirklich wenige Sekunden ein tief brütender Sebastian Stan) wird von russischen Hydra-Anhängern im eiskalten Sibirien aus noch eiskälterem Dornröschenschlaf erweckt und im Jahr 1991 auf eine streng geheime Mission geschickt.

Die Details dieser Mission bilden ein wichtiges Rätsel, welches nur nach und nach enthüllt wird. Für aufmerksame Zuschauer entschlüsselt sich dieses Mysterium eventuell ein wenig zu früh, für diejenigen, die die Filme des MCUs bisher nicht allzu oft gesehen haben, wird es eine dramatische Auflösung in den letzten Minuten ergeben.

Zurück in der Gegenwart sieht sich Steve Rogers (Chris Evans) alias Captain America auf einer Routinemission mit einem alten Bekannten aus S.H.I.E.L.D Tagen konfrontiert. Ihr Zusammentreffen in Lagos unter Beteiligung von Natasha Romanoff/Black Widow (Scarlett Johansson), der telekinetisch begabten Wanda Maximoff/Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) und dem passionierten Tiefflieger Sam Wilson/Falcon (Anthony Mackie) läuft jedoch anders als geplant. Die US-Regierung, vertreten durch den inzwischen aus dem Militärdienst ausgeschiedenen Thaddeus Ross (William Hurt), will den Avengers in Folge dessen den Saft abdrehen und sie drängen, sich unter UN-Aufsicht zu stellen.

Iron Man Tony Stark (Robert Downey Jr.) hat sich noch immer nicht von den seelischen Narben der beiden Avengers Filme erholt (insbesondere „Age of Ultron“). Er ist direkt für die Unterzeichnung der Resolution. Ihm zur Seite steht natürlich direkt seine treue Nummer 2 Lt. James Rhodes/War Machine (Don Cheadle) und nach kurzer Abwägung das philosophierende Retortenbaby, der Infinity-Stein tragende Vision (Paul Bettany). Während Natasha und Wanda noch schwanken, steht für Rogers aber fest: Sich einer Behörde zu unterstellen gibt zu viel der Autonomie auf und verhindert die Möglichkeit zu handeln, wenn es wirklich Handlungsbedarf gibt. Als es dann zu einem Anschlag auf die UN in Wien kommt und sich der Winter Soldier als der Attentäter herausstellt, verhärten sich die Fronten extrem. Captain America, wie der Zuschauer, vermutet mehr dahinter und hat Zweifel, für Iron Man aber war diese tödliche Attacke der letzte Streich des Tiefgefrorenen außer Dienst.

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Kistenweise Tricks in den Ärmeln

Früh schon beweist „Captain America: Civil War“ eine reflektierende Reife, die vielen anderen Actionstreifen abgeht. Selbstkritisch wird sich mit den Opfern der Avengerseinsätze auseinandergesetzt. Jedes Mal, wenn Häuser einstürzen oder Autos explodieren sterben Menschen. Zwar war der Gedanke von kollateralem Schaden auch ein wichtiges Thema in „Batman v Superman“, aber dieser verlor sich schnell im Handeln desjenigen, der dies strafen will und dem apokalyptischen Finale. „Captain America: Civil War“ hingegen hat dieses tonangebende Element immer in den Augen und strickt darum eine sehr intelligente und fesselnde Geschichte. Die Drehbuchautoren reichen die Flammen von Verlust und Konsequenz sogar klug an den eigentlichen Schurken (ein wunderbar mit Fingerspitzengefühl spielender Daniel Brühl) weiter. Nicht mal ihm schwebt die Vernichtung der Welt vor, sondern ein viel persönlicherer und verständlicherer Plan — eben ein menschlicher.

Und wenn es zwischen Team Captain America und Team Iron Man knallt, fühlt man sich nicht betäubt. Es ist erfrischend, da niemand umhin kommen wird, die Kreativität dieser Szenen zu bewundern. „Everyone’s got a gimmick,” stöhnt einer der Heroen während der großen Schlacht pünktlich zur filmischen Zäsur. Aber dies erweist sich für „Captain America: Civil War” als extremer Gewinn. Was den Streiter auf beiden Seiten den Schweiß in die Anzüge treibt, ist für den Zuschauer einfach nur unterhaltsam. Spinnennetz gegen Superarm, Ant-Mans (humorvoll wie eh und je: Paul Rudd) Kreativität nötigt Beifall ab und nur Jeremy Renner als Hawkeye wirkt traurig einfallslos. Grade in diesen Konfrontationen (und wer bisher allen Informationen zu „Captain America: Civil War“ ausweichen konnte, verstehe dies als SPOILERWARNUNG) sind es die Neulinge im Feld, die sich hervortun. T’Challa/Black Panther (ein fescher und extrem gut platzierter Chadwick Boseman), sowie die jüngste Wiedergeburt von Spider-Man, besetzt mit dem britischen Frischling Tom Holland („The Impossible,” „In the Heart of the Sea”). Letzterer gibt den noch schwer nachpubertierenden Übernerd Peter Parker in bester Szenendiebmanier wunderbar wieder.

Beachtlicher Tiefgang

Die amtlich angebrachte Action wird von den Russos mit viel Talent aufbereitet und nimmt im Verlauf des Films an Größe zu. Erste Szenen haben etwas von „Bourne“, mitsamt handgehaltener Kamera, danach wird es mehr und mehr zu einem rasanten „Mission Impossible“ mit Superhelden und erst im letzten langen Akt tritt das tatsächliche Superhelden-Thema hervor. Dies soagr mit noch mehr Bodenständigkeit als im überragenden „Winter Soldier“. Viel beeindruckender aber ist es, wie „Captain America: Civil War“ mit den eigenen Fragestellungen umgeht. Was ist wichtiger, die Sicherheit oder die Freiheit aller? Ist Heldentum oder Verantwortung das, was am Ende des Tages zählt? Und was sagen die Entscheidungen der einzelnen Charaktere über diese aus? Verluste werden auf allen Seiten eingefahren und zu den vorhandenen Narben kommen neue hinzu — darunter auch welche, die sicher bis zum Beginn des „Infinity Wars“ noch nicht verheilt sein werden.

Natürlich kommt auch der Humor, bei aller Ernsthaftigkeit, nicht zu kurz. Allerdings im Vergleich zum fast schon nervenden Witzfeuerwerk in „Age of Ultron“ nimmt sich auch hier „Captain America: Civil War“ zurück. Um ein nicht zu tiefes Brüten zu verhindern, sind die erheiternden Momente aber auch bitter notwendig, denn den Teamchefs Iron Man und Captain America ist die Bedeutung ihrer Freundschaft und der drohende Verlust stark anzumerken. Captain America war bisher nie eine der wirklich interessanten Figuren der Franchise und Chris Evans nicht der charismatischste Darsteller, allerdings hilft „Civil War“ seiner Figur sehr stark weiter. Er wirkt nicht mehr nur wie ein angestaubtes Relikt, wie ein aberwitziger Anachronismus, sondern wie ein Ideal aus einer anderen Zeit, von der man noch etwas lernen kann. Um einen anderen Charakter dazu zu zitieren: „Compromise where you can. And where you can’t, don’t.”

Fazit

In sehr leichtfüßigen 140 Minuten zaubern die Russos einen schwer unterhaltsamen, hochwertigen und smarten Streifen auf die Leinwand. Sicher finden sich Kritikpunkte, manche Effekte könnten noch besser sein, die ein oder andere Anspielung weniger direkt und nicht jedem wird der filmische Sprung zwischen Action im Stile von „Mission: Impossible“ zu typischem MCU gefallen, aber dennoch wird wohl kaum jemand den Saal unzufrieden verlassen.

Bewertung: 5 von 5 Sternen***** (!!!!!!!)

Filmkritik von Julius, 20.04.2016