Filmkritik zu The Hateful 8

  

Tarantions jüngstes Werk „The Hateful Eight“ ist ein beeindruckendes Beispiel an filmschaffendem Handwerk und ein oberflächlich extrem hässlicher Film. Er ergeht sich in Gewalt, ist in seiner Weltsicht nihilistischer denn je, angefüllt mit verbalen Grausamkeiten, hat keinen einzigen sympathischen Charakter und scheint unbedingt sagen zu wollen: „Seht her Tarantino-Fans und -Kritiker, eure tiefsten Ängste über meine Filme sind wahr geworden. Fickt euch!“

tarantinos hateful eight header

Ab dem 28. Januar könnt ihr The Hateful 8 im Kino anschauen.

„There won't be many coming home.“

Angesiedelt einige Jahre nach dem us-amerikanischen Bürgerkrieg treffen in „The Hateful Eight“ ein Gruppe von Verbrechern und verbrecherisch brutalen Vertretern des Gesetzes in einer eingeschneiten Hütte im winterlichen Wyoming aufeinander. Tarantino nimmt sich zunächst sehr viel Zeit den Kern seines Casts zu versammeln. In beiden Versionen von „The Hateful Eight“ braucht es schon etwas über eine halbe Stunde Kutschfahrt bis der passionierte Schnauzbartträger und Kopfgeldjäger John "The Hangman" Ruth (Kurt Russell in bester John Wayne Manier), seine Gefangene, die gefürchtete Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) und ihr Kutscher O.B. (James Parks) zusammen mit dem zukünftigen Sheriff von Red Rock Chris Mannix (Walton Goggins) und dem ehemaligen Sklaven, ehemaligen Kriegshelden/Kriegsverbrecher und nun ebenfalls Kopfgelder jagenden Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) Unterschlupf vor einem aufkommenden Schneesturm in Minnie's Haberdashery suchen.

In der kleinen Hütte, deren Außenmaße, verglichen mit den Innenmaßen in typischer Tarantino-Art an eines der Zelte aus dem Harry-Potter-Universum erinnert, haben sich allerdings bereits ein paar weitere Reisende ausgebreitet: der Pelzträger und kryptische Mexikaner Bob (Demian Bichir) als Vertreter der angbelich verreisten Besitzer, der blasierte und affektierte Henker von Red Rock (Tim Roth), der selbstgefällige und selbstbetitelte Kuhschubser Joe Gage (Michael Madsen, wie immer sein Michael-Madsen-Ding durchziehend), sowie ein ehemaliger General der Konföderierten (Bruce Dern). Schon während der Kutschfahrt verbreitet sich Misstrauen und offene Ablehnung unter den Charakteren und zwischen ihnen und dem Publikum. Die giftige Mischung wird (je nach Version) bis etwa der Hälfte des Filmes durch Paranoia, Hass und der Erzählung von Mord und Vergewaltigung weiter befeuert. Einzig die teilweise Entwaffnung der Anwesenden durch den stets um sein Kopfgeld besorgten und frauenschlagenden Ruth verhindert offenen Gewaltausbruch und minimiert den Bodycount zunächst auf einen Toten. Doch es braucht nur ein paar Becher Kaffee plus X um die Lage endgültig eskalieren zu lassen. Die Besucher der Hütte kotzen in Folge dessen ihre Eingeweide wahlweise auf den Hüttenboden oder anderen ins Gesicht, schlagen sich die Zähne aus, hacken Arme ab, knüpfen sich auf und schießen einander die Hoden ab.

Western trifft Snuff-Film: The Hateful Eight

Hässlichkeit, in Ableitung von Hass, steht im Vordergrund. Die Charaktere sind, bis auf Kollateralschäden, asoziale Psychopathen, die die Protagonisten von „Reservoir Dogs“ in den Schatten stellen wollen. Sicherlich lässt sich ihr Umgang mit der einzigen Frau im Raum und ihr Verhältnis zu dem N-Wort mit so etwas wie „historischer Genauigkeit“ rechtfertigen, aber mit der hat es Tarantino in der Vergangenheit nie genau genommen. Aber diese Hässlichkeit ist fungiert als Fassade für den eigentlichen Film. Denn auch wenn „The Hateful Eight“ in vielen Belangen an Italo-Western und Spätwestern angelehnt ist, so bezieht sich Tarantino auf einen ganz anderen Film. Als der Cast das erste Mal zusammentraf, führte Tarantino seinen Darstellern eine Zusammenarbeit von Ennio Morricone und Kurt Russel aus den 80ern vor, den Sci-Fi-Horror-Klassiker „The Thing“. Beide Filme weisen eine Reihe von Parallelen auf: eine isolierte Versammlung an Charakteren sieht sich plötzlich mit einer Situation konfrontiert, in der niemandem mehr zu trauen ist, die Luft vergiftet sich mit Paranoia, eine Flucht ist auf Grund der grausamen Elemente nicht möglich. Carpenters Remake des gleichnamigen Films aus den 50er Jahren funktioniert als Parabel auf die Jagd nach Kommunisten in den USA, Tarantinos Western erweckt an vielen Stellen den Eindruck, nicht nur ein „Fuck You“ in Richtung der übermächtigen und die Filmkunst erdrückenden Hollywood-Maschinerie zu sein, sondern tiefste Kritik an dem Aufbau der us-amerikanischen Gesellschaft zu üben. Es braucht eben immer wieder nur einen Funken zusätzlicher Paranoia um dafür zu sorgen, dass sich diverse Gruppierungen auf allerlei Ebenen an die Gurgel gehen, verbal bis hin zur offenen Gewalt. Natürlich kann derlei mit viel Mühe in fast jeden Actionfilm oder Thriller hineininterpretiert werden, bei einem immer wieder auch gesellschaftspolitisch in Aktion tretenden Künstler wie Tarantino ist dies jedoch nicht von der Hand zu weisen.

Aber es ist in Sachen Tarantino auch immer wichtig sein Gesamtwerk zu betrachten. Ähnlich wie im Fall von Woody Allen spielen Tarantinos Streifen in einer Art Paralleluniversum zum unsrigen. Die Verbindungen sind wieder einmal typische Easter Eggs, von Red Apple Tabacco (vorhanden in allen Filmen bis auf „Reservoir Dogs), Ahnenschaft zu der Protagonisten aus „Inglourious Basterds“ und dem Auftauchen von Sätzen, die in Tarantions Welt geflügelte Worte zu sein scheinen. Von den Namen missliebiger Videothekenbetreiber aus der eigenen Vergangenheit und weiteren Anleihen in Form von filmischen Zitaten und Selbstzitaten einmal abgesehen. In Tarantions Parallelwelt, dies machten die Vorläufer zu „The Hateful Eight“ mehr als einmal deutlich, ist Gewalt nicht das letzte Mittel, sondern ein probater und anerkannter Problemlöser.

70 mm Innenleben

Den Cast hat Tarantion, wie von ihm nicht anders erwartet, tadellos besetzt. Selbst in den Nebenrollen findet sich viel Gefühl und einiges an Spielfreude. Sicherlich mag ein Blick auf die Namensliste der Darsteller im Bezug auf den Titel von „The Hateful Eight“ bei mathematisch begabten Personen ein Stirnrunzeln hervorrufen, aber bei Tarantino kann sich eben niemand wirklich sicher sein, für sein Kinoticket auch das zu bekommen, was das Filmplakat verspricht.

Tarantino lies seinen Kameramann Robert Richardson („Django Unchained“, „Inglourious Basterds“, „Shutter Island“, „Kill Bill: Vol. 1 &2“, „U-Turn - Kein Weg zurück“, „Platoon“ und viele weitere Klassiker) „The Hateful Eight“ komplett auf 70 mm drehen. Allein deswegen lohnt sich schon ein Besuch in einem der wenigen Lichtspielhäuser Deutschlands, die die entsprechende Version anbieten (Zoo Palast Berlin, Savoy Hamburg, Lichtburg Essen, Schauburg Karlsruhe). Die 70 mm Version ist zudem mit über 3 Stunden Laufzeit auch noch 20 Minuten länger und deutlich besser herausgearbeitet, als die digitale Version. Die abschließende Wertung bezieht sich somit auch auf das eigentliche Kunstwerk analoger Natur. In der digitale Variante würde die Wertung bei 4 von 5 Sternen liegen.

Dass aber auf 70 mm gedreht wurde ist in Anbetracht der Lokalität(en) von „The Hateful Eight“ ein weiteres „Fuck You“. 70 mm kommt eigentlich immer dann zum Einsatz, wenn es um die spektakuläre Darstellung von Landschaft geht. Trotz aller Digitalität wird das Format deswegen auch noch immer verwendet, zuletzt bei „Star Wars Episode VII“. „The Hateful Eight“ bietet davon weniger als eine Handvoll. Diese sind zwar schön anzusehen, rund 80 Prozent der Handlung allerdings spielt in geschlossenen Räumen oder Ruth Kutsche. Handwerklich ist Richardsons Kameraführung tadellos.

Abgerundet wird der Film durch den bereits preisgekrönten Soundtrack von Altmeister Ennio Morricone, gespickt mit den „The White Stripes“ und musikalischen Eigenzitaten von Morricone aus John Carpenters „The Thing“.

Fazit

Tarantino wollte es seinen Zuschauern noch nie besonders einfach machen. Im Fall von „The Hateful Eight“ aber verlangt er förmlich danach den Film mehr als einmal zu sehen. Wer sich darauf einlässt und sich die Zeit nimmt, „The Hateful Eight“ langsam sacken zu lassen, wird einen der besten Tarantino Streifen seit langem erleben. Wer auf schnellen Filmgenuss aus ist, wird hier eine bittere Enttäuschung erleben, wenn Gewalt und Beleidigungen diverser Personenkreise hart aufgenommen werden oder eben nur einen sehr schmutzigen Western ohne Helden zu sehen bekommen.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.***** (70mm Version) / 4 von 5 Sternen für die digitale Version.****