"Findet Nemo 2: Findet Dorie" Filmkritik — Schon wieder Pipi in den Augen

  

Wenn ein Film Bestnoten in allen Wertungen bekam, ein zufriedenstellendes Ende vorweisen konnte und für sich alleine als modernes Meisterwerk gilt, stellt sich zu Recht die Frage, warum man nach knapp dreizehn Jahren eine Fortsetzung rausbringen sollte. Die Gier nach Geld? Übermut im Oberstübchen? Oder einfach nur pure Langeweile? Zum Glück gibt es auch andere mögliche Antworten und "Findet Dorie" gibt sie euch.

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In den deutschen Kinos ist "Findet Dorie" ab dem 29. September 2016 zu sehen.

Findet Dorie 2 - Alte Geschichte, neue Ideen?

Könnte man meinen, nicht wahr? Erst hört der Sohn nicht auf den Vater und eröffnet damit die Geschichte einer abenteuerlichen Rettungsaktion und jetzt plötzlich fällt dem Doktorfisch Dorie ein: "Ach, ich hab ja Eltern. Wo die sich wohl so rumtreiben!? Gehen wir sie suchen!". Klingt doch schon irgendwie nach Käse auf unserem Würstchenbrot, oder? Aber fangen wir am Anfang an; was genau erwartet euch?

Pixar eröffnet den Film, wie man es seit Jahren aus verschiedenen Projekten der Traumwerkstatt gewohnt ist. Ein Blick zurück in der Zeit und eine tieftraurige Hintergrundgeschichte. Wir erfahren Einzelheiten über die Kindheit des allseits beliebten Vergissmeinnicht Dorie. Fetzen dieser gefühlvollen Erinnerung finden durch einen gewissen Auslöser ihren Weg zurück in das Gedächtnis der blauen Publikumsheldin und damit erinnert sie sich an etwas, dass sie nie vergessen wollte und durfte: sie hat Eltern.

Ihr pessimistischer Freund Marlin kann durchaus nachvollziehen, wie es ist, etwas über alle Maße zu vermissen und so willigt er ein, Dorie bei ihrer Suche ohne Erinnerung zu helfen. Ihr Weg führt dieses Mal aber nicht quer durch den Ozean, sondern direkt in das Marine Life Institut in Kalifornien. Neue Figuren, Gags, Pleiten, Pech und Pannen mit inbegriffen.

Einfach schwimmen ...

Soviel also zu den Eckdaten dessen, was euch im Kino erwartet. Doch viel wichtiger brennt die Frage in unseren Mägen, ob das Ganze nur ein Scheingerüst ist und ausgelutschte Suppe vom Vortag neu verwertet oder ob sich die Drehbuchautoren wirklich Mühe gegeben haben und uns etwas ganz Neues präsentieren können. Vor der Antwort sei aber bitte angemerkt, dass es natürlich Ähnlichkeiten gib. Übereinstimmungen, wenn man so will. Das lässt sich nie zur Gänze vermeiden.

Aber es ist mir — als Fan des ersten Teils — ein besonderes Vergnügen mitzuteilen, dass "Findet Dorie" nur sehr, sehr wenige Fehler zu verzeihen ersucht. Es gibt durchaus ein/zwei Szenen, die etwas arg an den Haaren herbeigezogen wurden und es ist ebenfalls Fakt, dass der eine oder auch andere sich vielleicht daran stört, dass die Figuren noch ein bisschen weniger "normale" Fische sind, als sie eh nie waren.

Doch als Gesamtwerk bietet der Animationsfilm von Pixar nicht das Alte im neuen Gewand, sondern eine gefühl- und humorvoll erzählte Geschichte, die zu keiner Zeit versucht, wie mit dem Daumen in der Apfelsine, auf die Tränendrüse zu drücken, jedoch gleichzeitig ein bewundernswertes Gleichgewicht zwischen kindlichem Humor und Themen für Erwachsene hält. Dabei wirkt die Geschichte lediglich an einem einzigen Moment, als könne sich die Fortsetzung von ihrem Vorgänger nur schwerlich trennen. Die restlichen fast 90 Minuten sind neu und frisch, ohne ihren Ursprung zu verleugnen und diesem geschickt, aber nicht überdeutlich, Tribut zu zollen.

Das ist ein Drahtseilakt, der nur wenigen glückt, doch hier und heute ist Pixar dies gelungen. Neue Figuren sind originell, alte werden nur in äußerst geringer Zahl und mit wenig Zeitaufwand zurückgeführt. "Findet Dorie" will etwas eigenes sein und doch eine klare Fortsetzung. Auftrag ausgeführt.

Bildschön, fast zeitlos

Es ist bemerkenswert, wie es Pixar gelungen ist, in den Animationskünsten eine solche Schippe drauf zu legen und dem geneigten Kinogänger trotzdem das Gefühl zu geben, er würde just in diesem Moment "Findet Nemo" gucken; nur halt viel länger. Es scheint, der Stil habe sich kein bisschen geändert und die Figuren von damals seien eins zu eins übernommen worden. Das löst eine Verbundenheit zu dem ersten Film aus, die der Fortsetzung direkt zu Beginn viel Sympathie einbringt.

Aber gleichzeitig ist es schlichtweg nicht wahr. "Findet Dorie" sieht um viele Meilen besser aus als sein Vorgänger. Die Lichteffekte, die Liebe zum Detail … Es ist schwer, negative Worte zu finden, da dieser Animationsfilm einfach äußerst beeindruckend aussieht. Dazu erneut fantastische Musikuntermalung von Thomas Newman, der schon in "Findet Nemo" zu hören war und Synchronsprecher, die wie die menschliche Faust auf das animierte Auge passen. In der deutschen Synchronisation gibt es durchaus ein paar Schwächelattacken — aber das kann auch pure Meinung sein.

Der Kurzfilm "Piper"

Pixar-Fans konnten es sich bereits denken und natürlich gibt es auch vor "Findet Dorie" wieder einen kleinen Mini-Animationsfilm von wenigen Minuten. In "Piper" (Bild unten) lernen wir ein kleines Strandläuferküken kennen, dass zum ersten Mal selber Futter suchen soll und dabei seine Angst vor Wasser überwinden muss. Nicht sonderlich spannend, aber für Leute mit einem Herz aus Gold ein sehr gefühlvolles und putziges Zwischenspiel. Mehr Zuckerguss auf der Waffel der Gefühle als ein einzelner Körper ohne Diabetis zu bekommen ertragen kann, aber dennoch niedlich.

Doch "Piper" besticht vor allem durch etwas anderes als ein süßes Küken: die Animationen. Äußerst realistisch gehalten, sieht man hier perfekt, wozu Pixar eigentlich schon längst in der Lage wäre, wenn der breiten Masse an Kinogängern zu viel Realismus in Animationsfilmen kein Dorn im Auge wäre. Ich weiß auch nicht, ob ich "Findet Dorie" in dieser Qualität gucken möchte, aber beeindruckend ist es allemal ...

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Bild oben: Den Kurzfilm Piper könnt ihr vor dem Hauptfilm sehen, wenn ihr Findet Dorie anschaut.

Fazit

"Findet Dorie" ist nicht "Findet Nemo" mit durchgerührtem Essen vom Vortag, sondern ein eigenständiger Film, der eine eigene, originelle Geschichte zu erzählen hat. Clever, gefühlvoll und sehr amüsant. Er ist eine echte, gelungene Fortsetzung und wie viele Filme können das schon von sich behaupten? Damit steht dieses Werk seinem Vorgänger in nichts nach und braucht sich auch nicht zu verstecken wie andere Filme das vielleicht besser getan hätten — "Cars 2" sei hier einfach mal ohne Zusammenhang in den Raum geworfen.

Einige Abstriche in der B-Note wird man immer finden, wenn man pingelig genug ist, aber selbst dann bleiben unterm Strich genug Punkte zusammen, um eine absolute Top-Bewertung zu rechtfertigen. Klar. Wer solche Filme — oder sogar direkt Teil 1 — nicht mag, wird hier keine Erkenntnis finden und plötzlich ein Animationsfan werden. Aber abseits davon gibt es kaum Begründungen, "Findet Dorie" nicht zu lieben. Und wenn die Macher jetzt keinen unnötigen dritten Teil — oder noch schlimmer: eine Serie! - aus dem Hut zaubern/popeln, bleiben diese beiden Filme als unsterbliche Zeugen in der Geschichte der Kinofilme zurück.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.*****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 21.06.2016