Die Oscars 2015

  

„1:58 Uhr  — Steven Gätchen (heißt der so?) moderiert im Wechselschritt mit der ABC Crew in der Vorberichtserstattung nach der Vor-Vorberichtserstattung am Rande des Wahnsinns. Ich hab 3 Becher Darjeeling drinnen und muss jetzt schon langsam aufs Klo. Und wer hat Lara Spencer in diese pinke Wurst gepresst und an den roten Teppich gestellt?“

Mit spitzbübigem Charme durch die Oscarnacht

So eine Oscarnacht ist lang. Verdammt lang. Und immer, wenn man sich grade warmgelacht hat kommt Werbung. Zum Glück gibt es charmante Mitstreiterinnen und Mitleidende, die einen über soziale Netzwerke wachhalten. Und NPH. Das wohl den Meisten aus „How I Met Your Mother“ als notorischer Aufreißer Barney Stinson bekannte Multitalent führte mit allerlei Witz durch die Show. Mal nette Seitenhiebe, mal Schwünge gen Showbusiness und auch mal irgendwie unter die Gürtellinie. Aber das verzeiht man ihm. Sogar dann, wenn er der Mutter eines am Suizid verstorbenen Veteranen, die eben noch den tragischen Hintergrund für ihre (nun oscarprämierte) Kurzdoku „“ erzählte, auf Grund ihres mit puscheligen Bällen verzierten Kleids „Balls“ (zu deutsch: Eier) unterstellte, dieses Kleid auf der Bühne zu tragen.

Mit solchen Momenten sollte man allerdings rechnen und diese keineswegs als Entgleisungen werten. Der smarte „Tony“-Veteran tanzt, zaubert, singt und standupcomediant sich eben durch die Veranstaltung. Das ist auch gut so. Im Vergleich zu anderen Moderatoren hält er so die Aufmerksamkeit hoch. Man kann eben nie wissen, mit welchem Spruch er gleich um die Ecke biegt oder wer der oder die nächste ist, die von ihm mit charmant-gespielt nervösem Grinsen auf die Schippe genommen wird. Den Schalk im Nacken, aber immer die Karte spielend „Tschuldigung, konnte nicht anders“.

Emotional und politisch

Neben allem Klamauk und Bohei hatten die 78. Oscars aber auch ihre ruhigen und besinnlichen Momente. Als dann der schier endlose Reigen derjenigen, die Hollywood und das Diesseits im vergangenen Jahr für immer verlassen hatten, wagte nicht einmal der wortgewandte Host sein Wort zu erheben. Die beinah endlose Litanei an großen und kleinen Sternen war wirklich ein beeindruckender Augenblick in der sonst, bis auf Ausnahmen, gewohnt leichtherzigen Show. Ob das nun mit einer pathetischen Gesangseinlage geschlossen werden muss, ist schon ein wenig jenseits der Geschmacksfrage. Allerdings ist dieses „ein wenig drüber“ halt auch irgendwie Hollywood. Vermisst wurde unter all den großen Namen, von Eli Wallach bis Robin William, Moderatorin und Entertainerin Joan Rivers. Zwar war sie keine Schauspielerin, aber ihr Spott am roten Teppich gehörte definitiv zur Traumfabrik.

Hin und wieder wurde es sogar richtig politisch. Auf der einen Seite natürlich durch „Selma“ und das in dem Film liegende Denkmal für Martin Luther King. Das der Film beinah völlig leer ausgegangen wäre, spricht eine deutliche Sprache für das noch immer zu etwa 90 Prozent allein durch weiße Mitglieder besetzte Gremium der angestaubten Academy. Und irgendwie auch noch (immer) für weite Teile der us-amerikanischen Gesellschaft. Das den Akteuren hinter und aus „Selma“ ein Bühne gegeben wird während der Veranstaltung kann man sicherlich auch auf unterschiedliche Weisen betrachten. Entweder schaffen sie sich einen kleinen Gewinn durch zusätzliche Aufmerksamkeit oder sie werden nicht nur um verdiente Auszeichnungen gebracht, sondern dafür auch noch zu Gunsten der Traumfabrik ausgebeutet. Die stehenden Ovationen nach „Glory“ aus „Selma“ wiederum dürften von Seiten der Hollywood-Elite mehr als nur als Zeichen der Versöhnung, sondern des höchsten Respekts verstanden werden. Der für dieses wirklich beeindruckende Stück Musik gewonnene Oscar ist sicherlich einer der gefühlvollsten, wenn nicht sogar der emotionsgeladene der gesamten Show. Common und John Legend nutzen diesen wichtigen Moment gekonnt dafür, deutliche Worte für bestehende Missstände in der us-amerikanischen Gesellschaft und der noch immer bestehenden Rassentrennung zu finden. Insbesondere vor den Augen des Gesetzes.

Politisch wurde es ein weiteres Mal dann durch den Oscar für „Citizenfour“ über den Whistleblower Edward Snowden. Bei ihrer Rede wiesen die Macherinnen auch noch einmal deutlich auf die weltweiten Missstände der konstanten Überwachung durch die Geheimdienste und deren andauerndes Eindringen in die Privatspähren aller Erdenbürger hin.

Überraschungen und erfüllte Erwartungen

Aber Halt. Ging es nicht um ganz etwas anderes? Richtig. Preise. Gewinne, Gewinne, Gewinne! Und da ging es erstaunlich naheliegend zu. Was gar nicht unbedingt typisch für Hollywood ist. Denn statt häufig tatsächlich wirklich die bessere Arbeit zu wählen, spielen die Auszeichnungen der vorherigen Wettbewerbe des US-Kinos eine gewichtige Rolle. Danach gehend hätte beispielsweise „Whiplash“ kaum Chancen gehabt den absolut verdienten Oscar für den besten Ton abzuräumen. Erwartungsgemäß hingegen sahnte „Birdman“ in der höchste Klasse, Bester Film, ab, wurde für die großartige und wunderschöne Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki mit dem Preis für die beste Kamera ausgezeichnet und konnte auch „Bestes Originaldrehbuch“ einheimsen. Natürlich fiel so auch der Preis für die beste Regie Alejandro González Iñárritu zu. Keine Überraschungen hier. Ebenfalls vier Oscars, wenn auch in den kleineren Kategorien bekam Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ verliehen. Bei manch einem Kinogänger könnte der Film schon ein wenig in Vergessenheit geraten sein, ob nun verpasst oder vergessen, es lohnt sich ihn sich noch einmal ganz in Ruhe zu Gemüte zu führen. Die Oscars für „Bestes Szenenbild“, „Bestes Kostümdesign“, „Bestes Make-Up und Frisuren“, sowie „Bester Soundtrack“ für das Übertalent Alexandre Desplat sind ebenfalls absolut verdient.

Bild unten: Whiplash konnte den Oscar für den besten Ton abräumen.

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Überraschender ging es dafür, wie gesagt, bei „Whiplash“ (Bild oben) zu. Der Außenseiter, ein Remake des gleichnamigen Kurzfilms von Regisseur Damien Chazelle, hat, wenig bis gar nicht überraschend, gleich zu Beginn beim besten Nebendarsteller abgeräumt. Unglücklicherweise fiel dieser Moment in eine längere Übertragungspanne bei Pro7. Preisträger J. K. Simmons wurde frenetisch von Publikum und Mitstars gefeiert. Neben dem Oscar für den besten Ton gab es auch noch den Oscar für den besten Schnitt.

In Folge dessen ging natürlich der von vielen hoch gehandelte „American Sniper“, bis auf den Oscar für besten Tonschnitt, leer aus. Ähnlich erging es „Interstellar“. Das komplexe Science-Fiction-Werk räumte bei den besten Spezialeffekten ab. Auch der lange Zeit gehypte „Boyhood“ konnte nicht sich nicht so stark durchsetzen, wie von vielen prognostiziert wurde.

Ebenfalls je einen Oscar konnten die Kandidaten „Still Alice“, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“, „Boyhood“ und „The Imitation Game“ gewinnen. Bei „Still Alice“ war der Gewinn des Oscars für beste weibliche Hauptrolle sicherlich wenig verwunderlich. Der in wenige Wochen hierzulande zu sehende Film zeigt auf eindrucksvolle und zugleich dezente Art Preisträgerin Julianne Moore als an Alzheimer erkrankte Mutter, Ehefrau und Dozentin. Eddie Redmayne wiederum wurde als bester männlicher Hauptdarsteller für seine Rolle als Stephen Hawkin in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ ausgezeichnet. Mit seiner fragilen Performance konnte er sich gegen den körperlichen Einsatz von Bradley Cooper für „American Sniper“ und Michael Keatons wahnsinniges Schauspiel in „Birdman“ durchsetzen. Die Auszeichnungen für Patricia Arquette als beste Nebendarstellerin in „Boyhood“ war ähnlich erwartungsgemäß, wie das „The Imitation Game“, die gleichfalls dramatische wie tragische Geschichte von, um und über Computerpionier und Genie Alan Turing, „Bestes adaptiertes Drehbuch“ gewinnen würde.

Bild unten: Der beste Animationsfilm ist aus Sicht der Oscar-Jury "Baymax".

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Die weiteren Preise gingen an:

  •  „Citizenfour“ für den besten Dokumentarfilm. Die Doku um Edward Snowden entsand unter anderem durch deutsche Co-Produktions seitens des NDRs.
  • „Ida“ als bester fremdsprachiger Film.
  • „Baymax“ als bester Animationsfilm (Bild oben).
  • „Liebe geht durch den Magen“ als bester animierter Kurzfilm.
  • „The Phone Call“ als bester animierter Kurzfilm,
  • und „Crisis Hotline: Veteran Press 1“ als bester Dokumentar-Kurzfilm.

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Bild oben: Birdman erhielt den Oscar als bester Film

Die Gewinner im Einzelnen

Bester Film: Birdman (Bild oben)

Beste Regie: Alejandro González Iñárritu (Birdman)

Bester Hauptdarsteller: Eddie Redmayne (Die Endeckung der Unendlichkeit)

Beste Hauptdarstellerin: Julianne Moore (Still Alice)

Bester Nebendarsteller: J.K. Simmons (Whiplash)

Beste Nebendarstellerin: Patricia Arquette (Boyhood)

Bestes Originaldrehbuch: Alejandro González Iñárritu, Nicolás Giacobone, Armando Bo, Alexander Dinelaris (Birdman)

Bestes adaptiertes Drehbuch: Graham Moore (The Imitation Game — Ein streng geheimes Leben)

Bester fremdsprachger Film: Ida

Bester Animationsfilm: Baymax — Riesiges Robowabohu

Beste Kamera: Emmanuel Lubezki (Birdman)

Bester Schnitt: Tom Cross (Whiplash)

Beste Kostüme: Milena Canonero (Grand Budapest Hotel)

Bester Dokumentarfilm: CitizenFour

Bester Dokumentar-Kurzfilm: Crisis Hotline: Veterans Press 1

Bestes Makeup & Hairstyling: Frances Hannon, Mark Coulier (Grand Budapest Hotel)

Beste Filmmusik: Alexandre Desplat (Grand Budapest Hotel)

Bestes Filmlied: Glory (Selma)

Beste Ausstattung: Grand Budapest Hotel

Bester animierter Kurzfilm: Liebe geht durch den Magen

Bester Kurzfilm: The Phone Call

Bester Tonschnitt: Alan Robert Murray, Bub Asman (American Sniper)

Bester Ton: Craig Mann, Ben Wilkins, Thomas Curley (Whiplash)

Beste visuelle Effekte: Interstellar

Julius, 23.02.2015