„Atomic Blonde“ Filmkritik — Kalte Augen, kaltes Herz

  

Kühl, hart und irgendwie faul. Das sind die drei Begriffe, die David Leitchs Comic-Verfilmung „Atomic Blonde“ am besten beschreiben. Der in Berlin kurz vor der Wende angesiedelte Spionage-Thriller ist visuell einsam unter seinesgleichen, von der Geschichte her jedoch einer von tausenden. Ein harter, unregelmäßiger Kontrast, der von Superstar Charlize Theron nicht ausgeglichen werden kann, aber auf gewissen Ebenen unterstrichen wird.

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Alles nur Show

Berlin im November 1989. Die Mauer steht kurz vor dem Fall, die Bürger Ost-Berlins sind auf den Straßen. Verschiedene, geheime Abteilungen sitzen sich gegenseitig im Nacken, kämpfen einen geheimen Krieg. Das perfekte Setting für einen soliden Thriller der Marke „Bridge of Spies“. Hier enden die Überschneidungen mit ernst gemeinten Spionage-Novellen aber auch schon - „Atomic Blonde“ erzählt offen und provokativ eine ganz andere Geschichte.

Diese spielt sich in grellen Welten ab, die mit der Realität zu jener Zeit nicht viel gemeinsam haben. Eine Folie, die nur als Entschuldigung gilt und in keiner Weise als notwendig oder sogar sonderlich clever zu bezeichnen ist. Zwar offenbart sich vor euren Augen eine ganz eigene Welt, losgelöst vom Schein des Seins, doch entsteht dieser Effekt auf einer äußerst künstlichen Ebene. Auf eine mit Plastik zu vergleichende Art - schimmernd, nichtsdestoweniger auch billig.

Der Plot rund um eine streng geheime Liste, die quasi alle wichtigen Feldagenten auflistet, ist ein typischer MacGuffin wie er alle Nase lang verwendet wird. Tiefgang oder besonderes Fingerspitzengefühl im Erzählstil sucht ihr hier vergebens. Es ist einfach nur die Einleitung, eine Begründung, Szenen folgen zu lassen, die unbedingt die Köpfe der Schöpfer dieses Werks verlassen mussten. Auch, wenn dies zum Nachteil der Geschichte geschieht.

Was ihr im Austausch bekommt? In erster Linie lauwarme Unterhaltung. Auf Platz zwei einige Actioneinlagen, die sich gewaschen haben und natürlich eine saucoole (wenn auch künstliche) Hauptfigur, hier verkörpert durch Charlize Theron. Ein schwacher Trost für fast zwei Stunden Klebefolien-Setting in Umarmung mit einer hauchdünnen Ausrede für eine Geschichtsstunde.

Was wirklich beeindruckt, den Karren sprichwörtlich noch einige Meter aus dem Dreck zieht, ist das Gesamtpaket. Zumindest in gewisser Weise. Wer dem Look etwas abgewinnen kann — und das sollten doch so einige sein — wird überrascht sein, wie konsequent sich dieser zusammen mit der Musik und Inszenierung in etwas eigenes verwandelt. Mut, anders zu sein hat „Atomic Blonde“ auf jeden Fall. Woran es letztendlich scheitert, sind die mangelnden Einfälle, diese ganz eigene Welt entsprechend darzustellen und storytechnisch zu untermauern.

Gelangweilt

Charlize Theron („Mad Max: Fury Road“, „Im Auftrag des Teufels“, „Fast & Furious 8“) ist sichtlich gelangweilt und manchmal nicht ganz bei der Sache. Ihre Auftritte als Protagonistin Lorraine Broughton haben zwar durchaus einen gewissen kühlen Charme, schaffen es letztendlich jedoch nicht über Zimmertemperatur hinaus.

So schön einige Sequenzen mit ihr auch umgesetzt wurden und so temperamentvoll beeindruckend ein/zwei actiongeladene Szenen auch sein mögen, sie täuschen nicht über die aufgewärmte Vorstellung hinweg, die Frau Theron hier abliefert. Sie wirkt von ihrer eigenen Figur distanziert, während es ihr im gleichen Atemzug nicht gelingt, mit ihren Kollegen am Set zu harmonieren.

Mit dieser unbefriedigenden Leistung steht sie jedoch nicht alleine da. Nur von wenigen Anwesenden kann wirklich behauptet werden, dass sie dem Film irgendeinen Mehrwert bieten und davon schafft es lediglich die Hauptfigur überhaupt etwas Charme und Charisma zu versprühen. In Anbetracht meiner Wortwahl einen Absatz zuvor sollte sich jeder selbst ausrechnen können, was das unterm Strich bedeutet.

James McAvoy („Band of Brothers“, „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“, „Abbitte“) für seinen Teil holpert mehr durch die Geschichte als wirklich da zu sein. Er wirkt in dem schrill verdrehtem Geschichts-Setting äußerst verloren, was man seinem Spiel auch durchaus ansehen kann. Bei Sofia Boutella („Kingsman“, „Star Trek Beyond“, „StreetDance 2“) ist der Ofen dafür sogar gänzlich aus. Ich könnte hier so einiges schreiben, was in der Leistung der Anwesenden zu bemängeln wäre, würde ein solcher Versuch jedoch drohen, den Rahmen zu sprengen.

Der Miximax

Die Mischung ist es, die „Atomic Blonde“ schwer verdaulich macht. Das Gesamtpaket wirkt einfach zu keiner Sekunde bis zu Ende durchdacht, sondern vielmehr aus verschiedenen Ideen zusammengeschustert. Wie so oft waren hier einzelne Einfälle Mutter des Gedanken und nicht bereits im Vorfeld vorhandene, gute Ideen, diese miteinander zu verstricken.

So schaukelt die Geschichte dahin, da sie keinerlei Aufmerksamkeit der Drehbuchautoren genossen hat. Die Hauptfigur wirkt, als wäre sie im falschen Film gelandet, während die eigenständige Welt sich als klappriges Gerüst mit dünner Schutzfolie entpuppt. Auf Gedeih und Verderb auf cool getrimmt, mit dem Ansatz, anderen harten „Helden“ aus diesem Genre augenzwinkernd die Stirn zu bieten.

Leider wirkt das zwinkernde Auge auf mich wie ein Schlaganfall. Versuchen ist hier das Schlüsselwort, denn gelungen ist an diesem Projekt wirklich nur wenig und am Ende der Rechnung bleibt nicht genug auf der Haben-Seite um diesen Film vorbehaltlos empfehlen zu können. Leider nicht einmal abseits davon; dafür gibt es einfach zu viele Konkurrenten in diesem Bereich, die es deutlich besser gemacht haben.

Was „Atomic Blonde“ letztendlich fehlt, ist der gleiche Mut der aufgebracht wurde, sich überhaupt für diese Darstellung zu entscheiden. Dieser hätte auf alle Bereiche ausgedehnt werden müssen. Stattdessen wurde sich faul im Regiestuhl zurückgelehnt und seitens Leitch erwartet, dass sich diese einzelnen Ideen alleine tragen können, während sie den gesamten Rest des Films ebenfalls auf ihren Schultern tragen sollen.

Fazit

Der Ansatz von „Atomic Blonde“ ist mutig, anders, schrill. Des Rest leider nur herausgewachsenes Straßenköter-Blond. David Leitchs („Jupiter Ascending“, „John Wick 2“, „Dracula Untold“) Werk schafft es auf keiner Ebene wirklich zu beeindrucken und hebt sich nur vom Setting her von anderen Werken dieses Genres ab. Geschichte und Schauspieler haben einen Pakt mit dem Teufel der Langeweile unterschrieben, so scheint es. Wenig gute Szenen und lediglich eine hervorragende Kampfsequenz sind die Propunkte, die hervorstechen, abseits davon sieht es eher düster aus.

Bewertung: 2/5**

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 22.08.2017