Big Friendly Giant: Unsere Kritik zum neuen Steven Spielberg-Film

  

Gehen wir einmal davon aus, dass Riesen existieren. Und nehmen mir einfach mal an, dass sie zur Geisterstunde rund um London herum trampeln und Waisenkinder als kleinen Mitternachtssnack aus Fenstern pflücken. Dann soll es da noch einen geben, der hält nichts von dem, was er „Cannybullism“ nennt. Tatsächlich würde dieser ein Riese sogar einen ziemlich guten Freund für ein kleines Mädchen abgeben. Wer würde nicht gerne mehr darüber wissen wollen?

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BFG — Big Friendly Giant ist ab dem 21. Juli 2016 in den deutschen Kinos zu sehen.

Die Kraft der Magie

Genau hierin liegt die wahre Schönheit von Roald Dahls „The BFG“ (deutscher Buchtitel: „Sophiechen und der Riese“): Man möchte die Geschichte glauben. Mit Oscarpreisträger Mark Rylance als hünenhafter Protagonist auf die Leinwand gebracht, verliert diese Erzählung nichts von ihrer Schönheit. Egal wie fantastisch die Geschichte auch ist (und sie wird ziemlich fantastisch!), diese hervorragende Spielberg Verfilmung ist für alle Altersgruppen zugänglich, die sich eine unmögliche Freundschaft als etwas Mögliches vorstellen können. Unterm Strich ist „The BFG“ genau das, wofür Disney einst berühmt war.

Dahls weltberühmtes Kinderbuch Wandlung zum Leinwandabenteuer begann vor 25 Jahren, also ungefähr zu der Zeit als Spielberg eine seiner wenigen Fehlzündungen abfeuerte: Hook. Unbestreitbar ist, dass der Film mehr schlechte, denn gute Ideen beinhaltet. Aber unter denen, die brauchbar sind, sticht der Gedanke, dass Magie nur dann funktioniert, wenn Kinder glauben hervor. In „BFG — Big Friendly Giant“ wird dieses Prinzip in die Praxis umgesetzt. Zwar hat das lange Warten es unmöglich gemacht Robin Williams als namensgebenden großen und freundlichen Giganten zu besetzen (eine Wahl, die die Chemie des Filmes völlig umgeworfen hätte), aber erst dieses Warten ließ die Technologie soweit reifen, wie es der Film eben braucht. Nur so ist es dann jetzt auch möglich Mark Rylance überzeugend in einen fast 8 Meter großen Hünen zu verwandeln — den kleinsten eine Rasse von miesen Riesen.

Dass „BFG“ groß werden wird, steht außer Frage. Dank Spielberg auf dem Regiestuhl und der im letzten November verstorbenen E.T.-Drehbuchautorin Melissa Mathison an der Schreibmaschine, kombiniert mit Dahls wunderbarer Vorstellungskraft (und einem im O-Ton traumhaften Vokabular) hat der Film enormes Kassenpotential. Allerdings, ohne wirklich großen Namen unter den Darstellern wird es wohl maximal bei einem 20. Platz der weltweit erfolgreichsten Filme bleiben. Womit sich Spielberg selber das Schlusslicht der Top 20 nehmen würde.

Glücklicherweise hat „BFG- Big Friendly Giant“ mehr mit „E.T.“ als mit „Hook“ gemeinsam. Wieder einmal geht es um eine missverstandene, junge Person, in diesem Fall die elternlose 10-jährige Sophie (Newcomerin Ruby Barnhill), die aus dem Fenster ihres Waisenhauses wegentführt wird, mitten ins Land der Riesen hinein. So schließt sie Freundschaft mit einem Wesen, welches ihre Mitmenschen einfach nicht verstehen würden. Für die Generation der 80er wird „E.T.“ wohl immer der ultimative Kinderfilm bleiben, aber unbestreitbar ist es, dass der Film auch ein sehr beunruhigendes Element hat. Der Gedanke einer intergalaktischen Freundschaft ist ein schöner, aber im Lauf dreht sich eben alles zu einer panischen Fabel darüber, dass wir Menschen schlussendlich alles versauen (und Pistolen gegen Funkgeräte zu tauschen, ändert daran einfach nichts).

Traumreisen als Problemlöser

Die Schurken in „BFG“ sind die neun anderen Riesen, eine gemeine und reizbare Bande. Sie sind locker doppelt so riesig wie der BFG und sie haben Namen wie Fleshlumpeater, Bonecruncher und Meatdripper. Ihre Zähne sind groß wie Grabsteine, sie und ihre Beißer sind eine echte Bedrohung, denn sie sehen es nicht gerne, wenn man sich mit dem Essen befreundet. Der BFG jedoch hat sich vom Kinderfressen verabschiedet und ernährt sich nur von einem stinkenden Gemüse namens Snozzcumbers. Ob er sich nun mit Sophie befreundet, sie ihn oder er sie als Haustier aufnimmt, ist übrigens nicht nur für Kinder eine wunderschöne Frage. Dennoch bleibt der Rest der riesigen Bande menschlichen Leckerbissen treu. Und so groß und empfänglich BFGs Ohren für Geräusche sind, so sehr eignet sich der titanische Zinken von Oberriese Fleshlumpeater (Jemaine Clement) für das Erschnüffeln kleiner Menschen.

Sophie lässt sich aber nicht so leicht einschüchtern und zum Glück ist ihr Mut ein ansteckender. Denn sonst könnte „BFG“ für Kinder im Alter der Heldin (oder darunter) doch etwas zu gruselig sein. Der BFG hatte eigentlich gar keine Pläne für das Danach nach Sophies Entführung, aber sobald er sie hat kann er sie nicht mehr zurückgeben. Sonst nämlich wäre auf allen Fernsehern und aus den Radios von der Existenz der Riesen zu hören. Spielberg lässt uns auf eine ordentliche Vorstellung der beiden bis zur Ankunft im Riesenland warten, aber legt uns den Riesen mit seiner Fähigkeit sich überall verstecken zu können direkt ans Herz. Seine Ninja-Manöver im nächtlichen London sind einfach zu schön.

Während die anderen Riesen von Grund auf frei designt wurden (und dadurch etwas überzeugender wirken), so ähnelt der schleichende Gigant unzweifelhaft Mark Rylance. Wenn überhaupt, dann wurden seine optischen Charakterzüge etwas der Größe angepasst. Immerhin ist er nun so hoch, wie ein Fußballtor breit ist und hat Hände wie Europaletten, elephantische Ohren und eine Nase, wie sie toten Präsidenten am Mount Rushmore gut zu Gesicht stehen würde. Zunächst gewöhnungsbedürftig, aber nach einer Vorstellungsrunde in der Höhle des Riesen, die ein wenig an Hobbitsets von „Tim und Struppi“ Kollaborateur Peter Jackson erinnert, nimmt alles seinen traumhaften Verlauf.

Denn das schändliche Tun seiner Brüder versucht der BFG damit zu kompensieren, dass er schöne Träume in Kinderzimmer bläst. Auf Sophies Drängen hin nimmt er sie mit auf eine Expedition um neue Träume zu finden. Durch einen magischen Pool geht es ins Traumland, einer umgedrehten Welt in der der Stoff aus dem die Träume sind einen gigantischen Baum umkreist. Besonders hier erreicht John Williams Soundtrack wieder einmal einen Meistergrad.

Ein Augenschmaus

Wer Dahls Buch kennt (und verstanden hat), der weiß wie wichtig Träume für die Riesen-Menschen Détente sind und diese hypnotische Sequenz im Reich der Träume (neben ein paar weiteren im Traumlabor des freundlichen Riesen) lässt Sophies abstruse Lösung eben so plausibel erscheinen, wie sich mit dem einzigen netten Riesen der Welt anzufreunden. Im Finale, wenn der BFG auf niemand geringeren als die Queen persönlich trifft, verlässt Spielberg sogar seinen üblichen Wohlfühlbereich und tritt ein ins Reich der Farce. Erwachsene werde diesen Teil des Films eventuell eher albern finden, in jedem Fall setzt er aber ähnlichen Szenen aus „Minions“ oder „Garfield“ die Krone auf.

Sicherlich sind diese beiden Filme nicht, auf das Spielberg abgezielt hat. „BFG“ trägt alle Züge eines späten Klassikers. Aber die Queen zu verpflichten ist vermutlich so weit weg vom problematischen letzten Akt von „E.T.“, wie es eben nur geht. In jedem Fall gelingt ihm, zusammen mit Kameramann Janusz Kaminski ein Augenschmaus. Barnhill wirkt so wie eine weniger zerbrechliche „Matilda“ und kann tatsächlich neben dem digitalen Rylance existieren. Mühelos sogar auf dem grünen Steppen des Riesenlandes.

BFG Szenebild 1

Fazit

Ob mit Kind oder einfach nur kindgebliebener Kinobesucher, die Reise mit dem „BFG — Big Friendly Giant“ ins Traumland ist jeden Euro wert.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.****

Filmkritik von Julius, 23.05.2016