Doctor Strange Filmkritik — Oder: Wie ich lernte, Marvel wieder zu lieben

  

Ich gebe es offen und ehrlich zu: ich habe mich ein bisschen in die Superheldenfilme des Marvel Cinematic Universe verliebt. Ach, was sage ich da. In die ganze Welt, die mit diesen Streifen geschaffen wurde. Aber es bleibt auch ein bitterer Nachgeschmack zurück, lagen Fortsetzungen doch stets ein ganzes Stück unter meinen Erwartungen. Nehmen wir zum Beispiel „Iron Man 3“, „The Avengers 2“ oder „Captain America: Civil War“. Die Definition von Popcornkino ist hier nicht einmal annähernd ausreichend. Und mit der Zeit und der steigenden Beliebtheit dieses Genre, spüre ich auch eine gewisse Müdigkeit Origin-Geschichten gegenüber …

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Erfrischend seltsam

Dann kam „Doctor Strange“. Ein Film, von dem ich ehrlich gesagt nichts erwartet habe und an dem ich bestenfalls ehrliches Interesse hegte, jedoch keine große Vorfreude gegenüber verspürte. Trotzdem — oder vielleicht gerade deswegen — wurde ich zurückgeholt. In das Fanboot, das mit laut grölender Besatzung jedem neuen Titel-Festland hinterher jagt und sich sicher ist, erneut auf Öl zu stoßen. Auch wenn es manchmal nur das Riff ist.

Und das obwohl auch diese Comicumsetzung in erster Linie eine typische Origin-Geschichte erzählt. Ein brillanter Chirurg hat einen schrecklichen Autounfall und kann seine Arbeit nicht mehr ausüben. Verzweifelt fliegt er nach Tibet und sucht Hilfe bei einem geheimnisvollen Mönchsorden. Und so weiter und so fort. Wir kennen dieses Programm, haben es unzählige Male in den letzten Jahrzehnten gesehen. Welcher Affe hat mich also gebissen, trotzdem auf den Hype-Train zu springen?

Vor allem ist es die Tatsache, dass zu keiner Sekunde Langweile aufkommt. Der steinige Weg des Doctor Strange wird spannend dargestellt und nimmt sich Zeit, wo sie benötigt wird und lässt es schnell angehen, wo der Fokus keiner sonderlichen Konzentration bedarf. Gleichzeitig setzt der Film auf einen ungewöhnlichen Mut zur Albernheit, die sich jedoch gut eingliedert — nahezu perfekt mit der Geschichte und ihren Figuren verschmilzt. Bildgewaltige Action, eine sauber inszenierte Story und tadellos agierende Schauspieler. Ein Rezept, das nur selten in diesem Bereich gefunden wird.

Zudem arbeitet diese Marvel-Produktion mit Elementen, die im Kino eher selten zu sehen sind. Farbenfroh und gewaltig, in der Tat, aber auch verdreht, seltsam und nah an einem LSD-Trip der Sorte Klischee. Es ist schwer zu erklären, warum sich alles zusammen zu so einem überwältigendem Ganzen formt, aber es ist passiert. „Doctor Strange“ ist auf eine witzige aber gleichsam interessante weise unterhaltsam und bietet quasi keinerlei Leerläufe.

Erste Wahl

Marvels erste Wahl für den Protagonisten fiel auf Benedict Cumberbatch, der letztendlich auch die Rolle des titelgebenden Zauberers übernommen hat. Und was soll ich sagen? Man hätte sich kaum besser entscheiden können. Cumberbatch spielt den Strange nicht pur nach Comicvorlage, sondern verpasst ihm einen eigenen Anstrich, der zur Figur genauso gut passt, wie Robert Downey Jr. zu Tony Stark / Iron Man. Das er seinem Charakter auch noch verteufelt ähnlich sieht, rundet die Sache schön ab.

Aber auch die anderen Rollen wurden gnadenlos gut besetzt. Antagonist Mads Mikkelsen („Hannibal“, „Die Jagd“, „Adams Äpfel“) sieht man deutlich an, wie viel Spaß er bei der Arbeit hatte und Tilda Swinton („Moonrise Kingdom“, „The Beach“, „Only Lovers Left Alive“) als The Ancient One erweist sich als Glücksgriff, auch wenn sie mit der gezeichneten Vorlage nicht sonderlich viel gemein hat. Zu diesem Film und dem MCU passt sie jedoch weit besser als das Original.

Nebenfiguren wie Chiwetel Eljofor als Mordo oder Rachel McAdams als Chritine Palmer, schießen den sprichwörtlichen Vogel mit ihrer Arbeit zwar nicht ab, bewegen sich aber konstant in einem gehobenen Bereich der Schauspielkunst. Zwar hätte man sich bei der Gestaltung der Figuren hin und wieder etwas mehr Tiefe gewünscht, doch im Verhältnis zwischen Laufzeit und dem Inhalt, den man geboten bekommt, ist das Ergebnis weit über zufriedenstellend.

Inception hoch drei

Die Bilder, die uns in „Doctor Strange“ geboten werden, sind genauso verrückt — aber irgendwie doch genial — wie die Actioneinlagen. Neue und durchaus gute Ideen werden rasant, aber nicht maßlos übertrieben umgesetzt. Eine Achterbahnfahrt im Kinosaal, bei der man sich nie ganz sicher sein kann, was als nächstes passiert. Enttäuschte Gesichter gibt es nach der nächsten Kurve nur wenige, die meisten wollen sofort mehr.

Und hinzu kommt, dass erstmals in der Geschichte des MCU ganz direkt und offen ausgesprochen die Magie eingeführt wird, die das ganze Universum in Zukunft komplett auf den Kopf stellen kann. Denn mit ihr kommen wir auch in Berührung mit Parallelwelten und den unendlichen Möglichkeiten die diese mit sich bringen. Wird dieser Film ein Erfolg, ist mit Phase 3 definitiv nicht Schluss, denn dann stehen den Machern die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung wie den Comics. Und die sind grob gesehen zahllos.

Die einzige Schwäche in „Doctor Strange“ besteht aus dem gleichen Leiden, das jeder einzelne Superheldenfilm der Geschichte Hollywoods mit ihm teilt. Logiklöcher und teils schwer nachzuvollziehende Handlungen der Charaktere. Zum Glück kann ich ohne Scharm behaupten, dass sich dieser Film deutlich besser mit diesen Problemen auseinandersetzt als seine Brüder und Schwestern, aber irgendwo muss ich ja mit der Brechstange ansetzen und meckern. Viel mehr Ansatzpunkte bietet dieses Machwerk nämlich nicht.

Fazit

Das Marvel Cinematic Universe ist nicht tot und liegt auch nicht im Sterben. Es hatte nur einige Aussetzer. Inwiefern diese nun behoben sind, vermag ich nicht zu deuten, doch im Fall von „Doctor Strange“ sind sie nicht mehr als die Erinnerung an einen höchstens durchschnittlichen Filmabend. Abgesehen von wenigen Logikfehlern und dem typischen Wirrwarr, der Superheldengeschichten immer verknotet, gibt es nichts zu meckern. Doch es gibt eine Menge zu loben. Vor allem, da man es geschafft hat, die zigste Origin-Geschichte zu konzipieren, ohne sich selbst und die direkte Konkurrenz schamlos zu kopieren.

Die Geschichte wird spannend erzählt und kämpft zu keiner Zeit mit Leerläufen. Die Action ist imposant und voller eigener, abgedrehter Ideen. Der Streifen beweist einen offenen Mut zur Albernheit, macht damit aber nichts kaputt, sondern bietet einen wahrhaftigen Mehrwert. Ich könnte noch einige Dinge so stumpf vor mich hin aufzählen, doch ich glaube, ihr habt meinen Punkt verstanden. „Doctor Strange“ gehört zu den drei besten Marvel-Filmen, die je erschienen sind und macht Lust auf das, was in der Post-Credit-Szene angedeutet wird.

Bewertung: 5/5*****

Filmkritik von Heiner Gumpi Gumprecht, 24.10.2016