„Der Unsichtbare“ Filmkritik

  

Erst war er ein Wissenschaftler mit fragwürdiger Moral, der sich in der Unsichtbarkeit seinen niedersten Instinkten hingegeben hat. Dann war er ein nobler Mann, der durch die Nebenwirkungen seiner Erfindungen zum Bösen getrieben wurde. Und schließlich war er, was immer Hollywood wollte das er ist. Nun ist er unter der Regie von Saw- und Insidious-Mastermind Leigh Whannell zurück, angekommen im Heute und doch noch immer verzahnt mit seinen Wurzeln, die wir im 1897 veröffentlichten Roman „Der Unsichtbare“ von H. G. Wells finden können.

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Nach dem Flop des „Die Mumie“-Remakes von 2017 hat Universal Pictures von seinem Versuch abgelassen, ein Shared-Universe mit klassischen Horrorfiguren zu etablieren und veröffentlicht diese schaurigen Gruselgestalten nun wieder in Einzelfilmen. Den Anfang macht der namensgebende Unsichtbare, das klassische Opfer unterdrückter Triebe, die es zu bekämpfen und überwinden gilt. Und entgegen dem Bild, das die relativ mittelmäßigen Trailer von dem Film gemalt haben, und der allgemein herrschenden Skepsis gegenüber Neuauflagen solcher Stoffe, ist das Ergebnis durchaus clever und sehenswert.

Zur Handlung

Cecilia Kass (Elisabeth Moss) lebt in einer gewalttätigen Beziehung mit ihrem kontrollsüchtigen Freund Adrian (Oliver Jackson-Cohen), einem hoch angesehenen Wissenschaftler, der zurückgezogen in seinem Anwesen lebt, umgeben von High-Tech-Sicherheitssystemen und einer hohen Mauer. Nach langen Vorbereitungen zieht sie eines Nachts einen Schlussstrich und verlässt auf Zehenspitzen ihr Zuhause, das sich sowieso eher wie ein Gefängnis angefühlt hat. Cecilias Schwester hilft ihr bei der Flucht und bringt sie im Geheimen bei einem Freund unter, dem Polizisten James (Aldis Hodge).

Doch die letzten Jahre haben Narben auf der Seele der jungen Frau hinterlassen und sie lebt in ständiger Angst, dass ihr Ex sie finden und bestrafen wird. Bis sie eines Tages erfährt, dass dieser gestorben ist und ihr persönlicher Horror endlich ein Ende gefunden hat. Oder doch nicht? Adrian hat ihr immer geschworen, dass, wenn sie ihn verlassen sollte, er sie finden würde, doch sie ihn niemals sehen könnte. Dies scheint sich nun zu bewahrheiten, als mysteriöse Ereignisse um Cecilia herum geschehen, die sie sich nicht erklären kann. Verliert sie langsam den Verstand, oder ist Adrian als Unsichtbarer zurückgekehrt?

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Der Unsichtbare — Eine Kritik

Ein guter, klassischer Horrorfilm muss zwei Dinge bewerkstelligen: Zum einen muss er es schaffen, dass das Publikum sich in die Hauptfigur hineinversetzen kann, um sich mit ihr zusammen zu gruseln und mit ihr zu leiden. Und zum anderen muss ein solches Werk einen Widersacher, ein Monster oder eine ähnliche Gefahr erschaffen, die dem geneigten Zuschauer unter die Haut geht. Im besten Fall ist ein Horrorfilm am Ende also nur durch seine Gruselgestalten von einem Thriller zu unterscheiden. Einen dieser zwei Punkt hakt Whannells „Der Unsichtbare“ mit Bravour ab, bei dem anderen ist das Ergebnis höchst suboptimal.

Der Horror, der von dem Unsichtbaren ausgeht, ist gut in Szene gesetzt und clever durchdacht. Der Antagonist hat einen perfiden Plan, den er bis zu einem gewissen Punkt solide umsetzt und der sich deutlich logischer anfühlt, als es die Beweggründe von Horrormonstern sonst so tun. Die stetig steigende Stärke der Interaktionen zwischen dem Unsichtbaren und Cecilia ergibt unterm Strich nicht nur Sinn, sie sorgt auch dafür, dass das Interesse des Zuschauers beständig auf einem gewissen Level bleibt. Wer es schafft, sich in die Situation hineinzufühlen, freut sich über ein herrlich unangenehm beklemmendes Gefühl.

Zwar gibt es in der Handlung immer wieder Logiklücken und kleinere Ungereimtheiten, doch keine, die sich nicht mit gutem Willen erklären lassen. Dadurch, dass sie existieren, fällt es in gewissen Szenen nichtsdestoweniger schwer, sich mit dem Gezeigten anzufreunden, beziehungsweise solche Momente ernst zu nehmen. Es ist also leider immer mal wieder notwendig, das eine oder auch andere Auge zuzudrücken. Ansonsten wartet der Film mit einigen gut durchdachten und durchaus überraschenden Wendungen auf und mehr als einer Gruselszene, die unter die Haut geht.

Der zweite, höchst relevante Punkt steht und fällt mit der Hauptfigur und dem Können des Schauspielers, der oder die eben jene Person verkörpert. Trotz aller Mühe, die sich Elisabeth Moss sichtbar gegeben hat, fällt die Glaubwürdigkeit und damit auch die prozentuale Chance, sich mit der Protagonistin verbunden zu fühlen, dank ihrer mangelhaften Leistung in den Keller. Einige technische Raffinessen von Seiten des Regisseurs helfen ihr zwar, die Figur einigermaßen überzeugend rüberzubringen, ihre Unfähigkeit, starke Emotionen wirksam darzustellen, nimmt dem Werk jedoch einiges an Stärke und Überzeugungskraft, was sich natürlich negativ auf das Erlebnis auswirkt.

Hinzu kommt, dass die zweite Hälfte des Films unter einigen merkwürdigen Entscheidungen zu leiden hat, die der starken ersten Hälfte negativ entgegenwirken. Ab einem gewissen Wendepunkt nimmt der Horror rapide ab, die Gewalt spitzt sich zu und die Geschichte wird unnötig in die Länge gezogen. Das Finale erscheint auf mehreren Ebenen erzwungen, gewisse Einzelheiten davon sogar vollkommen unnötig. Trotzdem hinterlässt Whannells „Der Unsichtbare“ ein angenehmes Gefühl, gerade weil sich letztendlich doch sichtbar mehr Mühe gegeben wurde als bei manch einem Konkurrenzprodukt.

Technisch 1A

Technisch ist der Film weitgehend einwandfrei und durchzogen von einigen wirklich interessanten Ideen in Sachen Bild, Ton und Kamerafahrten. Hätte man es geschafft, die Stärke der ersten Hälfte bis zum Ende beizubehalten und wäre Elisabeth Moss etwas überzeugender in ihrer Rolle gewesen, „Der Unsichtbare“ wäre eine bedingungslose Empfehlung geworden. Lediglich das Volumen ist in vielen Momenten viel zu hoch; was das Gezeigte eigentlich dramatisch untermalen sollte, sorgt also im Kino lediglich dafür, dass es schrill in den Ohren klingelt.

Handwerklich sind auch die Momente, in welchen Figuren mit dem Unsichtbaren interagieren, gut in Szene gesetzt worden. Die Darsteller schaffen es, die jeweilige Situation nicht lächerlich, sondern durchaus bedrohlich darzustellen. Hinzu kommen einige geschickte Bildeinstellungen, die die Aufmerksamkeit des geneigten Kinogängers mal belohnen und mal ausnutzen, um eine packende Atmosphäre zu schaffen. Wer sich bewusst den Gegebenheiten hingibt und seine Empathie voll aufdreht, dürfte durchaus in der Lage sein, sich hier ordentlich zu gruseln.

Fazit

Ein guter, moderner Horrorfilm, der das Originalwerk ins Heute befördert und mit vielen interessanten sowie einfallsreichen Ideen erweitert; fast schon abrundet. Auf eine packende erste Hälfte folgt leider eine zu gehetzte und teilweise uninspirierte zweite Hälfte, die in einem recht unbefriedigenden Finale mündet. Außerdem schafft es Hauptdarstellerin Moss nicht, vollkommen zu überzeugen. Leider etwas zu lang geraten, doch durchaus einen Blick wert, sofern ihr dem Genre freundlich gegenüber steht und bereit seid, hier und dort ein Auge zuzudrücken.

Bewertung: 3/5***

Filmritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 26.02.2020