Filmkritik: Let Him Go – Ein moralisches Minenfeld

  

Filmkritik von Peter Osteried | 25.01.2021

Die Romanverfilmung „Let Him Go“ hätte am 11. Februar starten sollen, aufgrund des Lockdowns wird eine Verschiebung notwendig sein.

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Es ist im Grunde kurios, Kevin Costner und Diane Lane erneut als Ehepaar zu sehen. Das spielten sie schon im Superheldenfilm MAN OF STEEL. Damals waren sie die Eltern von Clark Kent, jetzt sind sie die Großeltern eines Jungen, der ihre Hilfe benötigt. LET HIM GO ist langsam erzähltes, aber die Spannung stetig steigerndes Kino mit großen Darstellungen.

Let Him Go – Zur Handlung

Georges (Kevin Costner) und Margarets (Diane Lane) Sohn stirbt bei einem Reitunfall. Es dauert nicht lange und seine Frau Lorna heiratet erneut. Margaret beobachtet wenig später, wie Lornas neuer Mann Donny sie und den Jungen schlägt. Als Margaret losfährt, um ihren Enkel zu besuchen, erfährt sie, dass die Familie ausgezogen ist. Sie überzeugt ihren Mann, dass sie nach ihrem Enkel suchen müssen.

Die Reise führt sie von North Dakota nach Montana. In einem abgelegenen Haus lernen sie Donnys Familie kennen – seine Mutter und seine Brüder. Sie sind nicht, wie George und Margaret sich gute Menschen vorstellen. Ihnen ist klar, dass ihr Enkel hier kein gutes Leben haben wird.

Let Him Go – Eine Kritik

In den USA hätte der Film schon im letzten Sommer laufen sollen, die COVID-19-Krise sorgte jedoch für eine monatelange Verschiebung. Das Warten auf diesen Film hat jedoch gelohnt. Er ist geradlinig erzählt, aber bietet so viel mehr. Weil die Figuren exzellent charakterisiert sind, aber auch, weil die Geschichte ein moralisches Minenfeld darstellt.

George und Margaret ziehen los, ihren Enkel zurückzuholen – bevorzugt mit dessen Mutter, aber auch ohne sie, wenn es sein muss. Was die Großeltern vorhaben, ist menschlich verständlich, ist der Enkel doch auch das Letzte, was ihnen von ihrem Sohn geblieben ist, moralisch aber fragwürdig. Das ist auch dem Film bewusst, der den Zuschauer bewusst das Dilemma vorführt und ihn selbst zum Nachdenken zwingt. Würde man ebenso handeln?

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Im ersten Viertel von LET HIM GO ist darum das Handeln der Großeltern zumindest fragwürdig. Dann relativiert es sich, als man die neue Familie kennenlernt, in der ihr Enkel jetzt aufwachsen muss. Eine, in der Gewalt an der Tagesordnung ist, in der von der Mutter ein hartes Regiment geführt wird. Aber: Bis zu einem gewissen Grad ist das deren gutes Recht. Natürlich, die Schläge, die die angeheiratete Lorna ertragen muss, sind verwerflich, in den USA des Jahres 1963 aber wohl nicht zu ahnden.

Die Szene, als Margaret und George zum Essen eingeladen sind, ist an Spannung kaum zu überbieten. Ein Gefühl des Unbehagens stellt sich ein. Weil man mitten im Nirgendwo ist und weil ein unterschwelliges Gefühl der Bedrohung von den Gastgebern ausgeht.

Diese Spannung setzt sich im weiteren Verlauf des Films fort und eskaliert in einer Szene im Hotelzimmer der Großeltern. Man mag dem Film hier vielleicht vorwerfen, dass er den bis dahin geltenden Realitätsanspruch etwas über Bord wirft, die Eskalation ist aber in der Charakterisierung der Figuren verankert. Es ist stimmig, weil mancher Disput eben in Gewalt endet, wenn beide Seiten sich im Recht wähnen. Das ist auch das wirklich starke Element der Erzählung. Dass man natürlich die neue Familie verabscheuen kann, aber sie empfinden sich in ihrem Tun im Recht. Das bekommt besonders stark zum Tagen, als im Finale die Mutter George ungläubig fragt: „Wieso?“

Fazit

LET HIM GO wartet mit tollen Landschaften auf, mehr aber noch mit einer den Zuschauer in den Bann ziehenden Geschichte, die alles andere als leichte Kost ist. Es geht um Verlust, um Trauer, um Schmerz, um den Versuch, all das zu betäuben, egal, wie. Das ist von Diane Lane und Kevin Costner hervorragend gespielt. Beide hatten schon lange nicht mehr derart eindringliche Figuren und zeigen sich schauspielerisch von ihrer besten Seite. Jeffrey Donovan als einer der Antagonisten ist in seiner unterdrückten Bedrohlichkeit auch hervorragend. LET ME GO ist kein leichtes, aber lohnenswertes Kino.

Bewertung: 4/5****

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Bildmaterial (c) Universal Pictures