„Annabelle 2“ Filmkritik — Warner Bros. Horror Universe

  

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Der Erfolg des Marvel Cinematic Universe ist Fluch und Segen zugleich. Schön, dass es nun endlich verstärkt zusammenhängende Geschichten in cineastischer Form gibt, die alle irgendwie und irgendwo aufeinander aufbauen. Der Kunde liebt so etwas. Weniger schön, dass dadurch aus so ziemlich jeder Idee direkt ein eigenes Universum geschmiedet werden muss. „Conjuring“ und „Conjuring 2“ waren große, vor allem finanzielle Erfolge. Selbst des Kritikers liebster Sandsack, „Annabelle“, hat satte 256 Millionen US-Dollar eingespielt. Was nun passieren würde, war also schon lange klar ...

An der Startlinie stehen bereits „The Nun“ und „The Crooked Man“; weitere Spin-Offs sind nicht auszuschließen, sondern eher zu erwarten. Und so spinnt Warner Bros. sein Netz aus Horror, mal mehr, mal weniger geschickt miteinander verflochten, doch nicht immer auf dem gleichen Niveau. Regisseur David F. Sandberg, der schon mit „Lights Out“ ein gewisses Gespür für feinen Horror bewiesen hat, schafft es mit der Vorgeschichte zu „Annabelle“, das ursprüngliche Spin-Off alt aussehen zu lassen.

Punktgenau gegruselt

Wer das Püppchen Annabelle bereits aus dem eben erwähnten Vorgänger oder dem Hauptteil der Filmreihe schon kennt, dürfte verstehen, was für eine schlechte Idee es sein könnte, sechs Waisenmädchen und eine Nonne im gleichen Haus unterzubringen wie dieser verfluchte Staubfänger. Für alle anderen machen wir es kurz: böse Puppe, tödlicher Horror, viel Blut, nichts gut. Und weil junge Mädchen genauso neugierig sind wie Jungs jeden Alters, findet eines der Frechdachse die Puppe und der böse Spaß beginnt.

Die Welt von „Annabelle 2“ beschränkt sich weitgehend auf die Handlungen im Haus der Mullins und verzichtet auf eine große Darstellung der 1960er Jahre und den politischen wie pop-kulturellen Hintergründen. Soundtechnik/Musikuntermalung und Ausstattung legen hier einen gewissen Grundton fest, dem der Rest des Films und Ambientes stets folgt. Dadurch wird ein guter, solider Raum zum Füllen mit Handlung und Schreckmomenten geschaffen, der sich natürlich und beinahe beruhigend anfühlt.

Durch diesen Stand hat Sandberg die Möglichkeit, sich die nötige Zeit zu nehmen, um einer Figur neuen Schrecken einzuverleiben, die durch einen verpatzten Start und überdrehtem Horror bereits an Wirkung verloren hat. Zwar dehnt sich sein Werk mit beinahe zwei Stunden etwas zu weit aus, doch ist es mir so lieber als wenn alles Schlag auf Schlag kommt und am Ende überhaupt nichts mehr noch Sinn ergibt.

Für die Schockmomente nimmt sich der Regisseur ebenfalls viel Zeit und zieht die Spannung vorrangig in die Länge, statt ihr bei jedem Druck direkt nachzugeben. Dadurch zerreißt der Bogen in manchen Momenten beinahe, nichtsdestoweniger sind die Szenen dafür umso gehaltvoller, sprich effektiver. Es sind keine großartigen Einfälle dabei oder ganz neue Ansätze in der Geschichte des Horrorfilms. Doch es ist solider Spuk, der zum Gruseln anregt. Garniert mit ein/zwei echten Schockern auf leisen Sohlen, die den Heimweg nach dem Kino am Abend wie eine schlechte Idee aussehen lassen.

Durchschnittlich über bekanntem 08/15-Niveau, jedoch mit deutlichen Ausschlägen nach oben. Es gibt einige Momente in „Annabelle 2“ die von anderen Vertretern dieses Genre inspiriert wurden, doch trotzdem eine ganz eigene Note tragen. Zu sehr von einer eigenständigen Idee entfernt, dafür aber mit dem Hang zu einer Richtung, die ein bisschen auf weitere Titel in diesem Universum hoffen lässt.

Schön gespielt

Des Weiteren hat „Annabelle 2“ noch einen Vorteil gegenüber seines Vorgängers. Wie in den meisten Filmen waren mir und vielen anderen die Figuren in dem besagten Horrorfilm herzlich egal. Irgendeine unsympathische Papptruppe baut keinerlei Verbindung zum Zuschauer auf und findet einen schrecklichen Tod. Einer überlebt am Ende oder halt auch nicht … Es könnte vielen von uns kaum mehr egal sein.

Entsprechend erfreulich ist es natürlich, wenn die Charaktere mir eben nicht am sprichwörtlichen Hinterteil vorbei gehen. Ohne irgendeinen Part der Geschichte vorwegzunehmen, kann ich zumindest verraten, dass es in dieser cineastischen Geisterbahn durchaus möglich ist, mit den Beteiligten mitzufiebern, sich empathisch mit ihnen verbünden zu fühlen. Gerade und vor allem die Kinderstars Talitha Bateman („The Hive“, „Die 5. Welle“, „Vengeance: A Love Story“) und Lulu Wilson („Ein Cop und ein Halber“, „Her Composition“, „Ouija 2“) brechen hier mit allen Erwartungen. Im positiven Sinne.

Die letzten beiden Absätze sind generell so für bare Münze zu nehmen, jedoch spielen nicht alle Anwesenden auf diesem Niveau. Mit dem Finger zeige ich heute mal nicht auf nackte Menschen, doch ist dass auch gar nicht nötig, da die schlechteren Darstellungen gewisser Schauspieler den Rest zum Glück nicht mit in die Tiefe reißen. Außerdem haben entsprechende Personen keine wirklich wichtigen Rollen inne.

Alles hat ein Ende …

… nur „Annabelle 2“ hat ein ziemlich krudes. Während Sanbergs Film per se bis hierhin nicht viel falsch gemacht hat, fehlt es am Ende an allen Ecken und … na, ja. Zu träge und uninspiriert geht sein Werk ins Finale und dreht sich dabei unnötig im Kreis, während das erforderliche Tempo auf sich warten lässt. Zu ausgedehnt und zerplittert biedert sich der Abschluss an, lässt gute Einfälle an jeder Biegung missen.

Vor allem der plumpe sowie planlose Versuch, Brücken zu anderen Teilen dieses Filmuniversums zu schlagen, schmeckt bitter wie 90%ige Schokolade. Leider ist es hier keine Frage des Geschmacks, sondern ein völlig unnötiger Abschluss zu einem eigentlich grundsoliden Film. Natürlich macht dies das zuvor Gesehene nicht kaputt, hinterlässt dieser, fies ausgedrückt, Unfall jedoch mehr als bloße Schrammen im Lack.

Ob sich Warner Bros. damit einen Gefallen getan hat, wage ich zu bezweifeln, da durch manch eine Entscheidung im letzten Teil dieses Theaters auch andere Filme dieser Reihe beeinflusst werden. Wo auch immer der Schuss landen soll, momentan ist seine Flugrichtung nicht auszumachen und allem Anschein nach wird er mehr Schaden anrichten als von Nutzen sein.

Fazit

Nichts besonderes wäre zu wenig gesagt, großartiger Horror bei weitem zu viel. „Annabelle 2“ ist aber so oder so deutlich stärker als sein Vorgänger, dabei auch um einiges ruhiger und entspannter im Aufbau. Die gruseligen Passagen haben das richtige Tempo, verbunden mit einem Gespür für schweißtreibende Szenerie. Figuren laden zum Mitfiebern ein, während die Geschichte seicht vor sich hin dümpelt und Platz für Horrorelemente lässt.

Im Durchschnitt stärker als viele andere Vertreter in diesem Genre, nichtsdestoweniger mit deutlich Luft nach oben. Vor allem der krude Versuch, auf Gedeih und Verderb ein eigenes Filmuniversum zu etablieren, verbunden mit dem bescheidenen Finale, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack beim Zuschauer. Trotzdem: „Annabelle 2“ ist einer der wenigen, guten Horrorfilme dieser Tage. Unterm Strich jedoch etwas zu lang.

Annabelle 2 startet morgen, 24.08.2017 in unseren Kinos.

Bewertung: 3/5***

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 23.08.2017