„Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ - Filmkritik

  

„Die Welle“-Regisseur Dennis Gansel versucht sich an einem Stoff, der als zeitloser Klassiker eingestuft werden kann. In vielen Variationen bereits umgesetzt, bleibt das Kinderbuch des deutschen Schriftstellers Michael Ende, „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, ein wichtiges Werk für die Völkerverständigung, eine Mauer gegen Rassismus und der deutende Zeigefinger, der mit Witz verständlich macht, dass selten etwas ist wie es scheint.

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Überbevölkerung im Lummerland

Irgendwo in den Weiten des Meers liegt eine kleine, friedliche Insel, genannt Lummerland. Dort herrscht der gütige, doch stets verwirrte König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte (Uwe Ochsenknecht) über seine vier Untertanen. Unter ihnen der Waisenjunge Jim Knopf (Solomon Gordon), welcher von Lokomotivführer Lukas (Henning Baum) aufgezogen wird; als dieser bei seinem Ziehvater in die Lehre geht, hätte er nicht erahnen können, welches Abenteuer auf ihn wartet.

König Alfons macht sich nämlich Sorgen über eine drohende Überbevölkerung in seinem kleinen Reich. Um dies zu verhindern und da die Lokomotive Emma ja sowieso nur Platz wegnimmt, will er die alte, leicht rostige Lady ausmustern lassen. Aber nicht mit Lukas. Um seine Freundin zu retten verlässt er das Lummerland und folgt den Schienen, wohin sie ihn tragen. Stets begleitet von seinem treuen Freund, Ziehsohn und Lehrling Jim Knopf.

Das ungewöhnliche Trio erreicht bereits kurz nach der Abfahrt der Hilfegesuch einer Prinzessin, welche von gemeinen Piraten gefangen genommen und an den bösen Drachen Frau Mahlzahn verkauft wurde. Natürlich machen sich die Helden sofort auf den Weg in das gefährliche Kummerland, wo allerlei Gefahren und Hindernisse auf sie warten, jedoch auch eine Menge Spaß für Kinder und nostalgische Erwachsene.

Nah an der Vorlage

Die größte Stärke von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ist wohl, dass sich Dennis Gansels Werk äußerst nah an der Vorlage bewegt. Das gesamte Buch wurde in bunte Farben getaucht, mit den fantasievollen Gedanken bewegter Kinderträume vermengt, doch bleibt unterm Strich die visuelle Umsetzung dessen, was bereits ganze Generationen verzaubert und ge-/belehrt hat.

Nichtsdestoweniger ist gerade dieser Ansatz paradoxerweise auch das Problem mit diesem Film. Allein schon deswegen, weil Bücher nun einmal nicht allzu direkt umgesetzt werden dürfen, da beide Formen der Darbietung eine ganz andere Geschwindigkeit haben, ganz andere Ansprüche des geneigten Konsumenten befriedigen, beziehungsweise anregen. Wo sich die Geschichte in schriftlicher Form noch kapitelweise aufnehmen lies, poltert der Film einfach von Höhepunkt zu Höhepunkt.

Ein Abschnitt nimmt sprichwörtlich wie buchstäblich Fahrt auf, ein Hindernis erscheint, welches clever wie humorvoll überwunden wird. Ein wenig Action und schon geht es in den nächsten Bereich, wo sich genau dieser Tanz noch einmal wiederholt. Dieses System wird bis zum Abspann genutzt, wo es das eigentlich gute Finale in einen lediglich weiteren Abschnitt der Reise umwandelt.

Erzählerisch unausgewogen, führt das Werk zwar durch alle ikonische Szenen der Vorlage, setzt diese jedoch eher wie Mini-Episoden um, welche sich für eine Serie besser geeignet hätten. In Filmform führt dieses auf und ab zu einem durchschnittlichen Gesamterlebnis. Weder besondere Höhen noch tiefe Abgründe der Dramaturgie können erreicht werden, das Ergebnis bestenfalls befriedigend.

Was jedoch trotz dessen (oder vielleicht auch gerade deshalb) funktioniert, ist der moralische Zeigefinger, der wie in der Vorlage nicht drohend gehoben wird, sondern lediglich die Richtung weist. Moralische Botschaften werden subtil mit der Geschichte verwoben, entsprechen eher einer leichten Würze im sonst mildem Gericht. Für Kinder humorvoll genug — keine Frage -, für Erwachsene eine schöne Erinnerung daran, warum wir diese Geschichte einst so geliebt haben.

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Ah, jetzt ja. Eine Insel!

Was „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ auf jeden Fall ist: visuell beeindruckend. Technisch nicht auf der Höhe, mit einigen Schwächen, die große Hollywoodfilme ziemlich peinlich wirken lassen würden. Doch dafür mit einem Auge für Details. Der faszinierende Look ist herzlich, einem fantastischen wie komplexen Hirn entsprungen, gemixt mit modernen Effekten, die Groß wie Klein bestens unterhalten.

Das gesamte Abenteuer erinnert an ein gigantisches Spielzeugland, direkt den Wirren eines kindlichen Genies entsprungen. Mit offenem Mund bleibt dem Besucher, der sein/ihr Herz noch am rechten Fleck trägt, nichts anderes übrig, als staunend Passagier auf einer recht eigenen Reise zu sein. Die Liebe zum Werk ist allgegenwärtig, das notwendige Fingerspitzengefühl bei der Ausarbeitung, zumindest aus visueller Sicht, mehr als beeindruckend.

Gerade die Kulissen wie Kostüme stechen hervor, lassen die Geschichte selbst fast in den Hintergrund treten. Der Versuch, Michael Endes‘ Werk kindgerecht, fantasievoll und gleichzeitig mit einem hauch Realismus umzusetzen, ist auf ganzer Linie geglückt. Der Mix gefällt, biedert sich förmlich an. Die Kombination ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch liebenswert, eine Mischung, die sich in deutschen Produktionen eher selten antreffen lässt.

Schauspielerisch deutsch

Jeder darf von der deutschen Schauspielkunst halten, was immer er/sie/es denn möchte. Wäre ja auch schlimm wenn nicht. Entsprechend muss auch jeder geneigte Kinogänger für sich selbst entscheiden, ob er mit der doch recht deutschen Art zu schauspielern leben kann. Sollte dem so sein, werdet ihr zumindest nicht enttäuscht. Zwar spielen sich die Akteure in diesem Werk nicht die Seele aus dem Leib, doch sind alle Beteiligten mit sichtlicher Hingabe bei der Sache.

Es gibt keine Schwächen, die extra erwähnt werden müssten. Ob Hauptdarsteller wie Henning Baum, der schlagkräftige Argumente für seinen Part mitbringt, oder Nebendarsteller wie Rick Kavanian, welcher selbst einen kleinen Gastauftritt mit Hingabe zur Rolle präsentiert. Besonders erwähnenswert ist daneben noch Milan Peschel („Halt auf freier Strecke“, What A Man“, „Schlussmacher“), welcher mit seiner Schlüsselrolle als scheinbarer Riese Tur Tur emotional wie künstlerisch noch ein ganzes Stück besser agiert als seine Kollegen.

Fazit

Dennis Gansel („Wir sind die Nacht“, „Napola — Elite für den Führer“) hat mit „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ein liebenswertes Werk geschaffen. Dieses leidet zwar unter einem für einen Film unpassenden Erzählstil, ist dafür jedoch detailliert ausgearbeitet, visuell schön anzusehen und mit dem Herz am rechten Fleck. Das fantasievolle Look, die verspielte Art, macht den Film zur richtigen Wahl für junge Eltern, alte Nostalgiker und Kinder jeden Alters.

Bewertung: 3/5***

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 29.03.2018