Filmkritik "Kingsman — The Secret Service"

  

Ob nun der Hut den Mann macht oder der Stil vom Anzug kommt, ist schlussendlich eine Frage, die schon Max Ernst 1920 nicht wirklich ernsthaft beantworten wollte. In „Kingsman — The Secret Service“ allerdings wird ein deutliches Fanal für zeitlose Eleganz gesetzt. Wer sich versucht dagegen zu stellen, wird gnadenlos in seine Bestandteile zerlegt — im wahrsten Sinne des Wortes.

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A Stiff Upper Lip

Einem aufmerksamen Beobachter fällt in der herrlich james-bondesken Eröffnung auf, dass die mit Gasmasken vermummten Commandos, die eine Festung in den Bergen des Hindukush stürmen etwas merkwürdige Overalls unter ihrem Schutzwesten tragen. Je länger die Szene läuft, desto klarer wird: Die Männer tragen Nadelstreifen. Angeführt werden sie von Harry Hart (Colin Firth), einem zu gleichen Maßen absurd-britischen wie modern-hollywoodhaften Charakter. Harry Hart trägt leicht taillierte Zweireiher, reist in einem Taxi mit integrierter Bar und Zigarrenhaltern durch London und trägt gerne einen Regenschirm bei sich, der ihn nicht nur vor Nässe von oben beschützt. Harry Hart kauft seine Anzüge nur bei „Kingsman“ einem fiktiven Schneider für den besonderen Gentleman mit Traditionsbewusstsein und (eigentlich) von Herkunft. Dieser britische Gentleman weiß sich gepflegt auszudrücken und feinste Konversation zu führen — und so richtig auszuteilen, wenn es denn drauf ankommt. So belehrt Harry Hart in einer anderen Szene seinen zukünftigen „Gesellen“ Eggsy (Taron Egerton) darüber, wie enttäuscht sein Vater gewesen wäre, würde er noch leben, müsste er mit ansehen, wie Eggsy seine Talente verschwenden würde. Als diese Belehrung von der Schlägerbande um den Lebensgefährten von Eggsys Mutter unhöflich unterbrochen wird, wendet sich Hart, nach kurzer verbaler Maßregelung den Schlägern zu um diesen in bester Slow-Motion, nasenbeine. und kieferzertrümmernden Manier und unter Einsatz von stylischen Gadgets in zeitlosem Design die Leviten zu lesen.

Diese Szene ist, wie viele andere, extrem bezeichnend für „Kingsman — The Secret Service“. Oftmals erscheint er wie ein Statement für die britische Oberschicht, die, ganz dem Klischee entsprechend, alle Probleme mit Würde, Stil und Anstand regelt und in jeder Situation die Contenance wahrt. Allerdings wäre dies nicht der Film, der er eben ist, würde nicht zu jedem Tee auch der Keks verspeist, ob nun eben schmeckt oder nicht. Denn bei allem, was in „Kingsman — The Secret Service“ gezeigt wird, ist der Streifen auch immer schon einen Schritt über der Kante und scheint sich nie so wirklich ernst zu nehmen. Selbst wenn einige Szenen komplett eskalieren und in schierem Wahnsinn zu münden scheinen, lässt Regisseur Matthew Vaughn (Kickass, X-Men: Erste Entscheidung) Platz für ironische Distanz — nur um diese dann doch wieder zu brechen um dem Zuschauer einen komplett unerwarteten Moment zu präsentieren, den er eigentlich bereits vor einigen Minuten deutlich angekündigt hatte.

Alles eine Frage des Stils

Wenn Harry Hart so etwas wie der Obi-Wan Kenobi in „Kingsman — The Secret Service“ ist, dann ist sein Luke Skywalker eben jener Eggsy. Der Junge hat ein gutes Herz, ist aber offensichtlich auf die schiefe Bahn geraten, irgendwann nachdem er seinen Vater verloren hatte. Als wirkliche Erinnerung ist ihm nur ein Orden mit einer Nummer geblieben. Denn sein Vater hatte eine streng geheime Identität — und Eggsy auf Grund seines Todes in einer scheinbar ausweglosen Situation einen Wunsch frei. Als Eggsy diesen einlöst, wird er von jetzt auf gleich in die Welt der „Kingsman“ katapultiert, einem privaten und von allen Regierungen losgelöstem Geheimdienst, der sich nach dem Ende des 1. Weltkrieges die Aufgabe gesetzt hat, schlimmeres in Zukunft zu verhindern. Da, so wird zumindest Harry Hart im Verlauf des Films behaupten, die „Kingsman“ eigentlich Schneider waren, setzt auch der Geheimdienst auf zeitlose Eleganz. Tödliche Regenschirme, goldene Feuerzeuge als Handgranaten, Tablets in Klemmbrettform und eben Overalls im Nadelstreifen oder dezenten Karodesign. Das Eggsy überhaupt Platz in dieser elitären Runde finden kann, ist zum einen natürlich seinem Vater zu verdanken, zum anderen aber auch dem Umstand, dass eben plötzlich ein Platz in dieser Tafelrunde wahrer Gentleman frei geworden ist. Sein Vorgänger wurde nämlich erst vor sehr kurzer Zeit bei dem Versuch einen britischen Professor (Mark Hamill) aus den Klauen von Söldnern zu befreien von einem weiblichen Handlanger der Oberschurken, ausgestattet mit todbringenden und rasiermesserscharfen Beinprothesen halbiert. Hinter dieser Tat und der Entführung verbirgt sich natürlich der Plan eines größenwahnsinnigen Genies, dem Internetguru Valentine (Samuel L. Jackson). Der lispelnde Erzschurke hat — natürlich — im Gegensatz zu den Kingsman überhaupt keinen Stil. Er trägt nicht nur in geschlossenen Räumen stets Baseballkappe, nein dazu auch noch Polohemd (Kragen hoch) und Pullunder mit V-Auschnitt und darüber noch ein komplett aufgeknöpftes Hemd. Alles Ton in Ton. Auch von angemessener Nahrung für ein Abendessen scheint diese Mischung aus Dr. Evil und Mark Zuckerberg offensichtlich keine Ahnung zu haben.

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Ein alternatives Bond-Universum

Der Geist alter James Bond Filme und der 60er Jahre schwebt in „Kingsman — The Secret Service“ deutlich als das Hauptthema in Stil und Designfragen im Hintergrund. Der Film wirkt schon fast wie ein James Bond Pastiche. Es finden sich zig Referenzen zu dem Meisterspion in „Kingsman“, dies aber komplett ungezwungen und einfach mal so neben bei. Fast so, als könnten es die Macher um Matthew Vaughn selber nicht glauben, mit der Nummer einfach einen komplett abgedrehten Bondfilm zu drehen, ungeschoren davon zu kommen. Nicht einmal auf einen Q wurde verzichtet — auch wenn dieser den Tarnnamen Merlin trägt und von Mark Strong (zeitgleich als MI-6 Agent in „The Imitation Game“ im Kino) gespielt wird und selber ganz ordentlich mit anpacken kann.

Genau wie bei Matthew Vaughn erstem großen Film „Kickass“ dient auch in „Kingsman“ erneut ein Comic aus der Feder von Mark Millar als Vorlage. Die Ähnlichkeit in der Arbeit ist auch unschwer zu erkennen, für Comicfans wird aber in „Kingsman“ der „Was-wäre-wenn“ Ansatz, den Millar gerne in seinen Comics verwendet viel deutlicher. Wem der Name Mark Millar bisher nichts sagt, dem sein — sozusagen als Essenz seiner Werke — „Superman: Red Son“ ans Herz gelegt. In dieser, in sich geschlossenen, Kurzreihe stützt Superman nicht im Herzen der USA ab, sondern in der UDSSR und wird dort zum Helden des Kommunismus erkoren.

Fazit

Neben aller Action und augenzwinkernden Witz hat der Film aber auch eine Botschaft, die besonders in einer Szene in der Kirche von rechts-außen stehenden „Christen“ ihre volle Bandbreite enthüllt und noch einmal in einem fast LSD-haften Rausch an Explosionen erweitert wird. Alles in allem ist „Kingsman“ wieder deutlich düsterer und weniger „normal“ als „X-Men: Erste Entscheidung“. So traut sich „Kingsman — The Secret Service“ auch mit einigen überraschenden Wendungen aufzufahren, die man so im „großen“ Actionkino nicht unbedingt erwarten würde. Auch wenn „Kingsman“ nicht mit Gewalt spart, wahrt der Film trotz allem einen comichaften Blickwinkel. Fast würde man Sprechblasen mit „Kapow!“ oder „Smash!“ in manchen Szenen erwarten. Für Fans von Filmen wie „Kickass“ oder dem gerade angelaufenen „John Wick“, aber auch für Freunde von „Austin Powers“ oder eben der alten Bond-Streifen ein absolut lohnenswertes Filmvergnügen.

Bewertung: von 5 möglichen Sternen.****

Filmkritik von Julius, 30.01.2015

Mehr Informationen zu "Kingsman"

Viele weitere Informationen zum Film bekommt ihr in unserer Filmdatenbank. (Trailer, Bilder etc). Weiterhin haben wir hier Bilder von der Weltpremiere des Films für euch. Neuer Starttermin für "Kingsman - The Secret Service" ist am 12. März 2015.