Filmkritik zu 10 Cloverfield Lane

  

Eine Warnung vorne weg: „10 Cloverfield Lane“ wurde in aller Heimlichkeit produziert. Und das aus gutem Grund. Je weniger man über Dan Trachtenbergs „10 Cloverfield Lane“ weiß, bevor man ihn zum ersten Mal sieht, desto besser. Dieser Film lebt von einer erzwungenen Perspektive, die einen lange Zeit darüber im Dunklen lässt, was eigentlich vor sich geht. Und auf diese „eigentliche vor sich gehen“ wird im Folgenden so gut es eben geht NICHT eingegangen. NICHT weiterzulesen kann aber dennoch nicht schaden. Kommt wieder, wenn ihr „10 Cloverfield Lane“ gesehen habt.

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30.März 2016 im Kino ansehen! 10 Cloverfield Lane!

„It is the end of the world...

„10 Cloverfield Lane“ ist ein extrem dichter und fesselnder Thriller. Ihn tragen besonders die exzellenten Performances von John Goodman und Mary Elizabeth Winstead. In ihm hallen die Echos von Großmeistern wie Alfred Hitchcock und H.G.Wells wieder — alles eingefasst in ein Katz und Maus Spiel nach dem Ende der Welt. Ohne im traditionellen Sinne sich als solcher zu bezeichnen oder auf ihn direkten Bezug nehmen zu wollen ist „10 Cloverfield Lane“ nämlich der Nachfolger zu „Cloverfield“. Wobei Nachfolger eventuell der falsche Ausdruck ist und es Nachbar oder Verwandter besser trifft. Mit Sicht auf die Alien Invasion im Found Footage Stil „Cloverfield“ mutet „10 Cloverfield Lane“ wie ein Spin-Off an. Eine komplett andere Geschichte an einem anderen Ort der Welt, aber dennoch im selben Universum. Wo sich „Cloverfield“ mit Found Footage einen modernen (inzwischen leider völlig ausgelutschten) Ansatz zur Erzählung wählte, fühlt sich Dan Trachtenbergs „10 Cloverfield Lane“ sehr altmodisch an und erinnert an Genrestreifen aus den 50er und 60er Jahren. Leider erforschen Trachtenberg und Kollegen einige wirklich interessante und potentielle Themen ihres eigenen Films nur oberflächlich und auch visuell ist „10 Cloverfield Lane“ weniger einnehmend als möglich gewesen wäre. Aber es ist extrem stabiles, solides und bodenständiges Entertainment. „10 Cloverfield Lane“ schafft es einen über 100 Minuten zum Miträtseln anzuheizen, fesselt im Sitz und schleudert den Zuschauer danach in die Welt zurück mit dem Wunsch über das eben gesehene Ende zu debattieren.

...as we know it...

Eigentlich hieß „10 Cloverfield Lane“ „The Cellar“ und wurde von Josh Campbell und Matthew Stuecken geschrieben. Damien Chazelle („Whipslash“) wird als Co-Writer geführt. Ihr Drehbuch wurde schließlich nachgerüstet und aufgebohrt um in der Welt von „Cloverfield“ zu spielen. Davon ist aber zunächst nicht wirklich viel mitzubekommen. Wir sehen zu Beginn Michelle (Winstead) ihr Leben und ihren Partner hinter sich lassen. Bevor sie in den Wagen steigt, legt sie Haustürschlüssel und Ring ab. Aber schon hier hören wir und Michelle im Radio von Stromausfällen an der Küste. Diese ersten Szenen sind ganz klar Reminiszenzen von Filmen, in denen sich Frauen alleine, ob bewusst oder unbewusst, auf eine Reise in eine gefährliche Gegend begeben. Während Michelle ihre Taschen packt dringt Bear McCrearys überhitzter, hermannhafter Score an die Ohren und beschwört Bilder von Marion Crane in Hitchcocks „Psycho“ herauf. Und auch Michelle muss nicht lange reisen um ihren ganz persönlichen Norman Bates zu finden.

Denn nach einem schrecklichen Autounfall wacht Michelle in einem kargen Raum auf. Sie ist an die Wand gekettet. Kurz darauf trifft sie auf ihren Kerkermeister, eine imposante Gestalt mit dem Namen Howard (Goodman). Wobei er angibt mehr ihr Retter denn ihr Entführer zu sein. Er beobachtete Michelles Unfall just in dem Moment, als der Himmel explodierte. Irgendetwas apokalyptisches ist in der Welt draußen vorgefallen und in genau diesem Augenblick schnappte sich Howard Michelle und schaffte sie in seinen Bunker. Einen Ort, den er extra für solch eine Gelegenheit errichtet hat. Es könnten die Russen gewesen sein, die Nordkoreaner oder die Marsianer, aber egal wer es war, die Luft da draußen wird für ein bis zwei Jahre vergiftet sein. Ist Michelle nicht ein echt glückliches Mädchen, dass hier genug Nahrung, gefilterte Luft und andere Vorräte lagern um diese Zeit abzuwarten. Wer hat schon so ein immenses Glück am Ende der Welt ausgerechnet einem Weltuntergangshorter vor die Füße zu fallen?

Die beiden sind allerdings nicht alleine. Kurz bevor Howard die Tür zur Außenwelt schließen kann, platzt noch ein Nachbar namens Emmett (Jon Gallagher Jr.) in den Schutzbunker, der zentraler Handlungsort des Kammerspiels „10 Cloverfield Lane“ ist. Emmett konnte Howard lange beobachten, wie dieser seinen Bunker für genau so einen Tag gebaut hat. Und so bestätigt er genug von dem, was Howard erzählt um Michelles erste Zweifel zu zerstreuen. Gallagher („Short Term 12“) spielt hervorragend und sein Emmett wird zu einem zentralen Element der Handlung. Mal bekräftigt er in Michelle ihre Ängste und sät Zweifel, mal bestätigt er, zumindest zu Teilen, Howards Aussagen über sich und die Welt da draußen.

Nachdem Michelle bei einem gescheiterten Ausbruchsversuch Schreckliches gesehen hat, gibt sie auf und erkennt es als gegeben an, dass diese beiden Männer wohl die letzten Menschen sind, die sie je zu Gesicht bekommen wird. Aber irgendetwas stimmt mit Howard einfach nicht. Er ist ein Kontrollfreak der unangenehmen Sorte, besonders immer dann, wenn es um die Dynamiken zwischen Michelle und Emmett geht. Selbst wenn Howards Frauenhass offen zu Tage tritt (in einer der stärksten Szenen des Films), werden wir Zuschauer noch immer rätseln, was denn nun seine tatsächlichen Motive sind.

...and I feel fine.“

Diese unangenehme Ungewissheit findet sich definitiv im Drehbuch wieder und auch Trachtenberg muss ein Anteil daran zugeschrieben werden, aber es ist John Goodman, dessen Darstellung von Howard einem Gänsehaut verpasst, der die Hauptlast stemmt. Er zeichnet mit extrem viel Gefühl einen Mann am Rande des Wahnsinns nach, für den Kontrolle der letzte Rettungsanker ist, bevor es komplett in den Abgrund geht. Er ist keiner dieser offensichtlich Verrückten, keiner der von Manie behafteten, die schon viele andere Schauspieler in unzähligen anderen Filmen spielten. Er ist jemand, der mit voller Aufrichtigkeit sich für den Retter hält. Sein innerer Kontrollfreak erhebt sich dazu zu neuer Größe und wächst sich zu einem Gotteskomplex aus. Goodman geht aber weiter. Dank ihm treten hin und wieder Facetten eines Mannes zu Tage, der einmal freundlich und nett gewesen sein muss — zumindest auf eine Art, die suggeriert, dass er auch zu besseren Zeiten für Freundlichkeit Gegenleistungen erwartet hat. Howard erinnert Michelle und Emmett so oft daran, dass er es war, der sie rettete, dass man sich finstere Vorstellungen davon macht, was er wohl dafür haben wollen wird.

Auf schauspielerischer Ebene ist es die unterschätzte Winstead, die sich in „10 Cloverfield Lane“ mit Goodman auf Augenhöhe bewegt. Ihre Leistung ist ähnlich ausgezeichnet wie schon in „Smashed“ und in „Faults“. Leider wird ihr allzu oft nur ein Bruchteil der Aufmerksamkeit zu Teil, die sie verdient. Ohne sie würde „10 Cloverfield Lane“ nicht funktionieren. Michelles gegensätzliche Gefühle werden dank ihrer Leistung transportiert. Der Zuschauer weiß nur, was sie weiß. Sie ist der Bezugspunkt und durch sie findet die Immersion statt.

Fazit

Schlussendlich sind es dann aber doch die letzten 30 Minuten von „10 Cloverfield Lane“, die alle Gespräche über den Film dominieren werden. Ohne irgendwelche Details zu verraten: Es ist eine Verkettung von Ereignissen, in denen Michelle an jeder Ecke eine neue Herausforderung findet. Das Finale ist dabei leider nicht mehr so sattelfest in der Narrative wie der Rest von „10 Cloverfield Lane“ und die Nachrüstung eines klassischen Thrillers in die außerirdische Welt von „Cloverfield“ tritt deutlich zu Tage. Aber es sind Winstead, Goodman und Trachtenberg, die alles mit purem Selbstbewusstsein im Fluss halten. Wie der Anfang ist auch das Ende fast frei von Dialog. Es gibt keinen Unsinn wie Protagonisten, die plötzlich in Selbstgespräche verfallen, nur damit wir den Film verstehen. Wo schwächere Filme uns im Kino an der Hand nehmen und über jede Achterbahn geleiten, lässt „10 Cloverfield Lane“ uns beide Arme in die Luft heben und schreien.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.****

Filmkritik von Julius, 21.03.2016