Filmkritik zu "A Most Violent Year"

  

Im us-amerikanischen Kino gibt es diese ein Art von Film, die auf manchen Filmemacher wirkt, wie Licht auf Motten. Sie müssen einfach gedreht werden. Es sind Filme, die in den späten 70ern spielen und deren Macher in den 80er und 90er Jahren aufgewachsen sind. In diesen Jahren haben sie natürlich viel Zeit vor dem Fernseher verbracht. Da hat sich jene Art Film für immer in ihre Köpfe gebrannt. Diese Filme sind visuell und thematisch dunkel eingefärbt und männlich. Die Beleuchtung erinnert ein wenig an Rembrandt und die dominierenden Farbtöne sind das helle braun von Papierbeuteln, das leichte Ocker von Kamelhaarmänteln und Trenchcoats, verbranntes Gelb, ein etwas aussätziges Grün und Kaffeebraun bis schmutzig cremig.

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Die harte Schule

In diesen Filmen ist oft von Ehre die Rede, von Integrität und von Tradition. Davon, dass der alte Weg, den Ehrenmänner gingen, verlassen wurde und Platz machen musste für einen neuen Weg, der sich nicht an die guten, alten Regeln hält, der chaotisch, gemein, brutal und hinterlistig ist. Meist ist es ein Film um organisiertes Verbrechen, manchmal ein Familiendrama oder eine Erzählung vor dem Hintergrund eines urbanen Molochs, eines Alptraums von einer Großstadt. Oder alles in einem. Niemand in so einem Film ist nach konventionellen Maßstäben wirklich sympathisch. Der Held eines solchen Films, zunächst noch voller Widerstand dagegen seine Seele zu verkaufen, erkennt nach und nach, dass er, um in seiner Welt weiterzukommen, kalt und berechnend sein und sich von seinen Träumen oder zumindest von seinen Illusionen trennen muss. „A Most Violent Year“, ein Stück Geschichte des urbanen Alptraums par excellence, dem New York der frühen 80er Jahre von J.C. Chandor (All Is Lost, Margin Call) ist genau so ein Film. Im großen und ganzen ein wirklich gelungenes Werk. Leider nur „im großen und ganzen“, denn an den Stellen, an denen „A Most Violent Year“ nicht mit sich selber mithalten kann, ist der Film plötzlich sehr enttäuschend.

Allein gegen alle anderen

Oscar Isaac (Inside Llewyn Davis) spielt in „A Most Violent Year“ den „Helden“. Abel Morales heißt er und er leitet einen Heizölhandel. Das Unternehmen hat er von seinem Schwiegervater übernommen. Grade erst hat er ein Gelände im Hafen angezahlt und hat nun einen Monat Zeit um die restliche Finanzierung auf die Beine zu stellen — oder seine Anzahlung zu verlieren und seinen finanziellen Ruin zu riskieren. Ein großer Einsatz, der sich massig auszahlen könnte, wenn sich nur wenige Weichen zu seinen Gunsten stellen oder stellen lassen. Dieses „wenn“ ist allerdings in Filmen wie „A Most Violent Year“ selten bis nie auf Seiten des Helden. Abel Morales steht nämlich nicht nur unter Verdacht es branchentypisch mit dem Gesetz nicht so genau zu nehmen und befindet sich im Fadenkreuz einen aufstrebenden District Attorney (David Oyelowo aus „Selma“), nein, auch die Konkurrenz übt mächtig Druck aus. Schlimmer noch, irgendwer hat es auf seine Trucks abgesehen, überfällt diese und pumpt das Öl ab. Genau dies passiert in der Eröffnungssequenz des Films, während er mit seinem Anwalt Andrew (Albert Brooks, aalglatt, scharfsinnig und fast nicht wiederzuerkennen, wie das dieser Tage so üblich zu sein scheint) die Unterlagen für die Anzahlung unterschreibt und die erste Rate in bar einer Bande orthodoxer, jüdischer Geschäftsleute übergibt.

Gegen alle Widrigkeiten

Wer hinter den Raubüberfällen steht, spielt letztendlich keine Rolle (und wird auch nicht gänzlich aufgeklärt). Was wirklich den Film vorantreibt, ist Abel Kampf und Krampf entgegen alle Widrigkeiten das nötige Geld für sein Unternehmen zusammen zu bekommen. Dazu hat er eben nur einen Monat Zeit und die Frau an seiner Seite, seine Angetraute Anna (Jessica Chastain mit einem beeindruckenden Brooklyner Akzent in der Originalversion und zuletzt in „Interstellar“ zu sehen) macht es nicht leichter. Anna ist tough bis in die überlangen Fingernägel, Verbündete, Vertraute und Buchhalterin. „Mein Mann ist ein ehrlicher Mann, halten sie seine Ehrlichkeit aber nicht für ein Schwäche“, sagt sie im Verlauf über Abel. Sie ist aber auch eine Art Lady Macbeth, die ihren Mann immer wieder dazu anhält härter zu sein, denn die Welt da draußen ist es eben auch. Der Film folgt Anna und Abel bei ihrem Versuchen das nötige Geld zu beschaffen und sich mit immer wiederkehrenden Hindernissen auseinander setzen zu müssen. Etwa ein Drittel von „A Most Violent Year“ spielt dabei in schlecht beleuchteten Räumen statt, in denen sich (meist) Männer an Tischen gegenüber sitzen und (meist) mürrisch bis schlecht gelaunt sind. Das ist, bis zu einem gewissen Punkt, fesselnd. Fesselnd auf Grund von Issacs hervorragendem Schauspiel, der Intensität und scharfen Zeichnung der Nebencharaktere und der Arbeit von Kameramann Bradford Young (Selma), welche die Gespräche um Kapital, Anteilen, Respekt und Respektlosigkeit mit dem perfekten Licht und Glanz versieht.

Früher war alles besser

Der Titel des Films, „A Most Violent Year“ bezieht sich auf ein statistisches Artefakt. 1981, das Jahr in dem der Film spielt, war bis dato tatsächlich das gewaltätigste Jahr in der Geschicht New Yorks. 1841 Todesopfer durch Gewaltverbrechen gab es in New York in diesem Jahr zu beklagen. Eine Zahl, die bis 1991 noch stetig anstieg und erst mit dem Ende des scheinbar unbesiegbaren Einfluss der Mafia in der Stadt auch sank. So verwundert es wenig, dass sich in „A Most Violent Year“ Retrolook, Rhythmus und Thema zu einem sehr runden Gesamtbild zusammenfügen. Alles in allem wirkt der Film in vielen Passagen wie eine einzige Hommage an Kameraikone Gordon Willis (Der Pate I — III) und andere maßgebliche Filmemacher der 70er Jahre. Aber „A Most Violent Year“ ist eben auch „nur“ die Betrachtung dieser Filme durch die Augen eines jungen Mannes, der sie zu einem romantischen Ideal emporhebt. Es strotzt vor Machismo und wirkt dadurch an seinen ärgerlichen Stellen ein wenig wie ein Abgesang, nicht zwingend für den „Amerikanischen Traum“, sondern für die männlichen Helden, die diesen Traum einst bevölkerten. Eine Momentaufnahme einer Zeit, als Männer grade noch Männer sein durften, Problem noch mit zwei Fäusten geklärt werden konnten und Drohungen unter grimmigen Augenbrauen dramatisch geflüstert wurden. Leider wird dieser Moment ein wenig zu oft exerziert.

Fazit

„A Most Violent Year“ ist ganz eindeutig nicht die beste Hommage an das „American New Wave“ Kino, dies ist ohne Frage einfach „Inherent Vice“, aber noch immer ein Film der sowohl beeindruckt als auch Eindruck macht. Allerdings muss man sich auf das Tempo der Films einlassen. „A Most Violent Year“ brodelt, wirklich über kocht es nur ganz selten. Es herrscht andauernd der Eindruck von Gewalt, Eskalation tritt aber so gut wie nie zu Tage. Wer „A Most Violent Year“ sieht und die Vorlagen und Inspirationen nicht sah, wird sich sicherlich danach wünschen, dies umgehend zu erledigen um zu verstehen, warum „A Most Violent Year“ so spielt, wie er eben spielt.

Bewertung: 4 von 5 möglichen Sternen.****

Filmkritik von Julius, 13.03.2015