Filmkritik zu Carol

  

1949 wartete Patricia Highsmith auf eine Antwort ihres Verlegers ihr jüngstes Werk „Zwei Fremde im Zug“ betreffend. In dieser Wartezeit verfasste sie einen Roman über die Beziehung einer jungen Verkäuferin und einer älteren Hausfrau. Diese Buch weniger bekannt unter seinem Titel „Salz und sein Preis“ wurde 1952 unter einem Pseudonym und dem Titel „Carol“ schließlich veröffentlicht. Im konformistischen Amerika der 50er Jahre stand es in keinem sehr hohen Ansehen.

carol szene

Bild oben: Szene aus Carol. der Film startet heute, 17.12.2015 in den deutschen Kinos.

Heimspiel für Todd Haynes in „Carol“

Regisseur Todd Haynes hat weite Teile seiner Karriere Inhalten rund um Unterdrückung und Konformität gewidmet. Filme wie „Safe“, „I'm Not There“, „Far from Heaven“, „Mildred Pierce“ und nun „Carol“, basierend auf Highsmith Roman und dem Drehbuch aus der Feder von Phyllis Nagy (bekannt für ihren preisgekrönten Film „Mrs. Harris - Mord in besten Kreisen“). In „Carol“ wendet sich Haynes der der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannten lesbischen Subkultur der 1950er Jahre zu. Das Ergebnis ist ein opulentes, emotionales Melodrama ähnlich der Werke von Douglas Sirk, der wiederum so etwas wie Haynes persönlicher Schutzheiliger und Mentor ist. Wie in den Werken des deutschen Filmemachers dreht es sich auch in „Carol“ häufig um Oberflächlichkeiten, deren Schönheit durch die erschreckende Dualität von Menschen und Beziehungen kontrastiert wird. Besonders diese Oberflächen und ihre Wirkung sind es, die in „Carol“ deutlich den Schmerz zeigen zu einer Welt gehören zu wollen (und zu müssen), die einen selber harsch ablehnt.

Therese (Rooney Mara) arbeitet in der Abteilung für Kinderspielzeug in einem New Yorker Warenhaus. Sie hat so etwas wie einen Freund (Jake Lacy, hier so gut wie in „ Obvious Child“), aber irgendwie suggeriert ihre Haltung während ihrer Arbeit, dass sie auf irgendetwas bisher Unerreichtes wartet. Etwas, dass sie selber nicht greifen kann oder gar kennt, aber etwas, das jeder Zeit durch die Türen ihres Arbeitsplatzes treten kann. Dann erscheint, wie aus dem Nichts: Carol. Carol ist eine elegante Blondine — in ihrem ersten Auftritt gleitet die Kamera an Carol vorbei und schnell wieder zu ihr zurück. Ihre erste Begegnung ist eine geschäftliche, aber gespickt mit flirtesken Elementen und dem Hauch von Gefahr.

Carol lädt Therese in ihr Haus in New Jersey für einen Besuch ein. Sie selber und ihr Ehemann Harge (Kyle Chandler) leben in Trennung und streiten sich über das Sorgerecht der jungen Tochter. Als Harge Schritte ergreift das alleinige Sorgerecht zu erstreiten, lockt Carol Theres auf einen impulsiven Roadtrip quer durch die Vereinigten Staaten. Ihr Roadtrip kommt einer Flucht vor etwas undefinierbarem und dennoch übermächtigen gleich, hin zu einem Ort an dem die Beziehung zwischen Therese und Carol eine Chance zum Existieren hat.

Optische Brillianz und vermeintlich notwendige Narrative

All dies fängt Haynes mit seinem großartigen Blick fürs Detail ein. Produktions-Designerin Judy Becker, Art Director Jesse Rosenthal und Set Dekoratör Heather Löffler erschaffen eine Vielzahl an beeindruckenden Szenen: heruntergekommene Motelzimmer, düstere Bars in New York, Carols Haus in New Jersey und Thereses Wohnung. Jedes Mal spricht die Romanze und die Heimtücke des Moments aus allen Winkeln. Die Farbpalette reicht von leichtem Grün über tiefes Pink zu glänzendem Gold mit blassen Rücklichtern auf leeren Straßen. Carol und Therese werden immer wieder hinter verschmutzen Fenstern oder durch Regenschleier gezeigt. Ein Bildsprache, die deutlich ihren Status als Außenseiter zur luxuriösen Außenwelt der 1950er zeigt.

In den Momenten in „Carol“, in denen alle Zahnräder ineinandergreifen, zeigt der Film die Einsamkeit von Menschen, die nicht die sein dürfen, die sie sind. Und wenn endlich Nähe in ihre Leben tritt, dann ist sie unweigerlich mit Verlust gepaart. Auch wenn eine erste Liebe oftmals so zu sein scheint, so wird dies in „Carol“ dadurch verstärkt, dass diese Verbindung versteckt bleiben muss um zu überleben.

„Carol“ stolpert immer ein wenig dann, wenn sich der Blickwinkel der Erzählung ändert. Dies liegt zu Teilen an der Adaption von Highsmiths Erzählung. Diese ist aus Thereses Sicht geschrieben und genau deswegen kann man sich als Zuschauer nie wirklich sicher in Bezug auf Carol sein. Therese wird immer von ihr ein wenig im luftleeren Raum, wie auf glühenden Kohlen, gelassen. Mal sind sie sich ganz nahe, mal ganz weit voneinander entfernt. Es ist schwindelerregend, eine nahezu perfekte Anrufung des Schwalbensprungs der Liebe — immer Kopf voran abwärts trudelnd. Im Film nun gibt es eine Reihe an Szenen in denen Therese nicht zugegen ist: in diesen redet Carol mit ihrem Ehemann, redet mit Abby, trifft sich mit ihrem Anwalt. Diese Szenen stellen zwar Kontext für Carols Verhalten und sollen Klärung schaffen, aber sie schwächen die Spannung und schaffen Verwirrung, sind doch eben die meisten Szenen in „Carol“ aus Thereses Sicht erzählt und nutzen Thereses Auge förmlich als Kamera. Als Charakter ist Carol, ironischer Weise, immer dann am stärksten, wenn sie durch Therese aus der Distanz ins Auge gefasst wird, niemals jedoch in ihren eigenen Szenen.

Carol und Therese

Kate Blanchett als Carol ist ganz in ihrem Element. Sie ist eine Theaterdarstellerin und hat niemals Angst dramatisch zu spielen. Allerdings wirkt sie dadurch hin und wieder etwas aus dem Rahmen schlagend in einem realistischen Kontext. „Carol“ aber ist genau der richtige Stoff für sie. „Schauspielern“ ist für Carol das Mittel zu überleben. So kommt sie durch ihren Alltag, jede Geste ist ein kleines Theaterstück. Ob sie sich eine Zigarette anzündet oder ihre Haare zurückwirft, sogar wenn sie einen Blick auf Therese wirft. Es sind einstudierte Momente um zu klären ob sie sich in Sicherheit wägen kann. Wenn Blanchett aber Carols Schutzwälle sinken lässt, dann ist ihr Schauspiel atemberaubend auf Grund des Kontrastes zur perfekt dargestellten Oberfläche.

Rooney Mara hingegen muss mit sehr viel weniger Material zurecht kommen. Im Gegensatz zu Highsmiths Vorlage hat Nagy in ihrem Drehbuch Thereses Hintergrund wegfallen lassen. Im Film kommt Therese aus dem Nirgendwo, hat keine Familie. Aber Mara verleiht Therese Komplexität: der Unterschied zwischen der Therese mit Carol und der Therese mit ihren Freunden ist perfekt herausgearbeitet. Es ist nicht die Geschichte eines schüchternen Mädchens, das von einer reifen Frau aus ihrem Schneckenhaus gelockt wird. Dank Mara hat Therese bereits ein Leben, welches für sie Bedeutung hat. Wirklich berührend ist Maras Performance dann, wenn sie zeigt, dass Therese durch Carols Präsenz dennoch eingeschüchtert ist und wie überflügelt sie sich durch die ältere Freundin fühlt.

Fazit

Wenn Therese im Verlauf des Films aus dem Seitenfenster ihres Taxis blickt und ein Paar, Mann und Frau, auf dem Bürgersteig händchenhaltend spazieren sieht, dann zeigt es „Carol“ deutlich: Therese ist im idealen Moment mit Carol genau wie die beiden Passanten und darf es doch nie sein. Allein wegen diesem einen Moment und dem Spiel in Maras Gesicht ist „Carol“ schon einen Besuch wert. Sicherlich einer der stärksten Filme diesen Jahres (auch wenn es ein paar Tage braucht eben dies zu begreifen).

Bewertung: 5 von 5 Sternen.*****

Filmkritik von Julius, 17.12.2015