Filmkritik zu "Einer nach dem anderen"

  

Alte Männer an die Front. Am besten, wenn sie richtig übel drauf sind. Rache — ob nun heiß oder kalt genossen, ist für solche Fälle immer eine gute Grundvoraussetzung, trägt sie doch zum Verständnis des Zuschauers bei. Was für ausgemusterte Soldaten wie Harry Brown (gespielt von Sir Michael Caine im gleichnamigen Film von 2009) oder dem omnipräsenten Altersracheengel Liam Neeson gilt, gilt jetzt auch für Stellan Skarsgård. 

Bild unten: Stellan Skarsgård in "Einer nach dem anderen"

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Moment. Stellan Skarsgård? Ist das nicht der wirre Astrophysiker aus Thor — oder für Freunde der etwas anspruchsvolleren Unterhaltung — der verklemmte Seligmann aus Nymph()maniac? Genau der. Das vom Spiegel kürzlich so treffend als „der Bassist des Weltkinos“ bezeichnete Multitalent darf nun auch zu Waffe greifen. Auch wenn er zu Beginn von „Einer nach dem anderen“ (In Order of Disappearance / Kraftidioten) die Waffe lieber auf sich richten würde, hat der gebürtige Schwede und Vater von Vampirschönling Alexander Skarsgård (Eric Northman aus True Blood) schnell den Bogen raus, was konzentrierten Gewalteinsatz und Leichenentsorgung anbelangt.

Rache wird am besten in der Kälte genossen

Aber zurück zu „Einer nach dem anderen“ und wie im Film immer schön der Reihe nach. Alles beginnt mit einem Zusammenbruch. Nils Dickmann (Stellan Skarsgård) ist ein norwegisch stämmiger Schwede und bestens in der Gesellschaft seiner neuen Heimat angekommen. Einen Fuß in der Kommunalpolitik, den anderen bedächtig auf dem Gaspedal seines Schneepflugs, mit dem er die zugeschneiten Straßen befahrbar macht und allen anderen den Weg frei räumt. Doch dann zerbricht die Welt des wortkargen Mannes. Sein Sohn soll an einer Überdosis Heroin verstorben sein. Nils will dem keinen Glauben schenken, der Rest der Welt, inklusive seiner Frau, hält dies aber für alles andere als abwegig. Alles hat seinen Sinn verloren und auch seine gutbürgerliche Ehe bietet ihm plötzlich keine Halt mehr. Ab in die Garage des gehegten Schneepflugs, Flinte aus dem Gewehrschrank und Lauf in den Mund. Das Gewehr ist gerade entsichert und der Finger schon am Abzug, da platzt in seinen Selbstmord der übel zugerichtete Freund des verstorbenen Sohnes und berichtet, nicht das Heroine hat den Sohn auf dem Gewissen, sondern die norwegische Drogenmafia hat den geliebten Ingvar dahingerafft. Wenn Nils Mund dann dank norwegischer Kälte kurz am Gewehrlauf kleben bleibt, ist in den ersten Minuten von „Einer nach dem anderen“ der Tonfall gesetzt: hier geht es bitterböse und tiefst schwarz zur Sache. Gefangene werde sicherlich nicht gemacht.

Immer schön ordentlich und der Reihe nach

Irgendwo zwischen schwärzester Gangsterkomödie und groteskem Thriller im Stile von Tarantino und den Coen Brüdern beginnt nun ein Blutbad von shakespeareskem Ausmaß. Wie im skandinavischen Kino üblich wird dabei weder mit Blut, noch mit fliegenden Zähnen gespart — und auch die malerische Landschaft des verschneiten Norwegens kommt dabei nicht zu kurz. Fast fühlt man sich stellenweise sogar an Filme aus der Feder von Takeshi Kitano erinnert, wenn die Momente der Gewalt wie durch ein immer wiederkehrendes Mantra durch die verschneiten Straßen und einen weiteren Hauptcharakter des Films, Nils Schneepflug, abgewechselt werden. Regisseur Hans Petter Moland, als ein Meister des lakonischen Kinos, geht dabei mit gewohnter Routine vor und hält die Illusion von Ordnung und Gutbürgerlichkeit bis in die letzten Minuten des Films aufrecht. Betont wird diese wunderschön nach jedem grausamen Filmtod durch eine Schwarzblende mit konfessioneller Todesanzeige nebst bürgerlichen Namen der verschiedenen Gangster. Dabei kommt finsterster Witz in keinster Weise zu kurz. Viele dieser Witze speisen sich aus den schön gezeichneten und überspitzt dargestellten Verbrechern. Ob nun japanisch-chinesische Profikiller, Nahrungshipster und Oberbösewicht (großartig: Pål Sverre Valheim Hagen) oder spleeniger Boss der serbischen Drogenkonkurrenz (Bruno Ganz), keiner hat den Schneepflüger Nils auf dem Schirm, alle stützen sich waffenstarrend, mordend und rächend aufeinander.

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Kurzzeitiger Kontrollverlust ob vereister Fahrbahn

Irgendwann beginnt allerdings nicht nur dem rächenden Vater die Struktur zu entgleiten, sondern auch Regisseur Hans Petter Moland. Gerade im Aufbau des Films verliert sein Film kurzzeitig an Ordnung im Plot, findet allerdings schnell wieder zum gewohnt gepflügten Weg zurück. Auf der freigeschaufelten Strecke jedoch bleibt dabei ein wenig der Witz zurück. Die finsteren Witze legen mehr und mehr einen Selbstzweck zu Tage und im Finale verkommt Nils fast (aber nur fast) ein wenig zum Statisten. Der Film selber erfährt kaum mehr Entwicklung und sich förmlich anbietenden Momente werden für den Ansatz eines Bruches mit Tabus und andere Heftigkeiten ausgebeutet. Auch in wirkliche Extreme wie ein Tarantino, Coen-Bruder oder Kitano wagt sich Moland nicht vor. Wie es sich für ein Nordlicht gehört, wahrt er brav Distanz. So bleibt der Film leider hinter den aufgebauten Erwartungen des Beginns zurück und verfällt in das übliche Schema des Genres — mit dem Unterton „Hier kann alles passieren und lachen ist erlaubt.“

Nicht genial, aber eben noch besser

Auch wenn es dadurch nicht für einen echten Knaller reicht, weiß der Film dennoch zu unterhalten. Er besticht eben durch seine Charaktere und deren Eigenheiten. Fast jeder hat seine Todesanzeige verdient, auch wenn der ein oder andere leichtfertig auf dem Altar schneller Witze dahin geschlachtet wird. Wer also mit expliziter Gewaltdarstellung besser umgehen kann als die norwegische Dorfpolizei in „Einer nach dem anderen“ wird sich in diesem Film glänzend aufgehoben fühlen und nicht mit dem Gefühl nach Hause gehen, Geld zum Fenster und in den Rachen einer Produktionsfirma geworfen zu haben. Besser als das meiste, was über den großen Teich in die heimischen Kinosäle gesendet wird, ist dieser Streifen alle mal.

Fazit

Ein grausam-witziger Streifen für Fans von Filmen wie „Hana-Bi — Feuerblume“, „Harry Brown“, „No Country for Old Men“ und anderen Streifen am Rande des Gewaltexzesses, die sich selber nicht allzu ernst nehmen. Wer Gewalt als komisches Element und malerischen Schneelandschaften nebst starker Charaktere etwas abgewinnen kann, dürfte hier einen Stimmungsaufheller gegen die erste Winterdepression finden.

Von Julius gibt es 4 von 5 möglichen Sternen für diesen Film ****.

Filmkritik von Julius, 24.11.2014

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