Filmkritik zu Erschütternde Wahrheit

  

Er selber hält sich für die falsche Person die namensgebende erschütternde Wahrheit entdeckt zu haben. Dr. Bennet Omalu, gespielt von Will Smith, ist ein Mediziner, der stolz auf seine Profession ist. Spricht man in als „Mister“ an, dann korrigiert er zum „Doctor“. Im gleichen Maße aber ist er gutmütig, aufrichtig, brillant, enthusiastisch. Es fällt schwer ihn nicht zu mögen, trotz eben jenes Korrektur-Ticks.

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Erschütternde Wahrheit - ab 18.02.2016 im Kino zu sehen

Erschütternde Wahrheit für Footballer

Omalu ist keine Romanfigur, sonder ein realer Arzt, der, während er als forensischer Pathologe in Pittsburgh arbeitete, eine neue und erschreckende Erkrankung des menschlichen Gehirns entdeckte, die er Chronic Traumatic Encephalopathy, kurz CTE, taufte. Zum ersten Mal stieß er auf sie, als er an einem ehemaligen Spieler der Pittsburgh Steeler names Mike Webster (bewegend dargestellt von David Morse) eine Autopsie durchführte. Webster hatte zu Lebzeiten dem Football den Rücken als Held zugekehrt und wurde bis zu seinem Tod mit 50 Jahren langsam verrückt. Die letzten Momente seines Lebens in „Erschütternde Wahrheit“ zeigen ihn, wie er in seinem Pickup Truck lebt und Terpentin schnüffelt. Ein befreundeter Spieler, dem im Film ein ähnliches Schicksal ereilt, versucht ihm zu helfen. Beide Männer können nicht begreifen, was mit ihnen geschieht. Omalu versucht genau dies herauszufinden und gelangt zu der Erkenntnis, dass die andauernden Kopfverletzungen, die Football-Spieler im Laufe ihrer Karriere erleiden, jedes Mal das Gehirn erschüttern. Dies führt zur Ausschüttung eines Proteins, welches sich im Gehirn ansammelt, Halluzinationen verursacht, zu Gedächtnisverlust führt und weitere Traumata auslöst.

„Erschütternde Wahrheit“, geschrieben und vom Regiestuhl aus geleitet durch Peter Landesman („Parkland“), basiert zu Teilen auf einem 2009 erschienen Artikel. Omalu wird in „Erschütternde Wahrheit“ als optimistischer und religiöser Mann dargestellt. Er ist ein nigerianischer Immigrant, der fest an den Amerikanischen Traum glaubt und der der Überzeugung ist, dass das richtige zu tun eben Teil dieses ist. Die Reaktionen auf seine Entdeckung aber wollen ihn eines Besseren belehren. Omalus Chef, von Albert Brooks in gleichen Teilen weltmüde und vertrauensvoll dargestellt, zeichnet ein deutliches Bild von Omalus Chancen im Kampf gegen die NFL: „Das ist eine Organisation der ein Tag der Woche gehört.“ Omalu gluabt, die NFL wäre froh über seine Entdeckung — um in Zukunft ihre Spieler vor einem solch qualvollen Enden schützen zu können. Er liegt falsch.

Will Smith mit dankbarer Rolle und guter Performance

Will Smith Darstellung von Omalu ist sehr liebevoll und mit spielerischer Hingabe erfüllt. Es sind zig kleine Details, die präzise ausgespielt werden und von Rechtschaffenheit über jedes Hindernis getragen werden. Mit Smith ist es irgendwie immer das gleiche: Wenn er eine solche Performance in einem Film abliefert, der nicht komplett daneben liegt („Erschütternde Wahrheit“ gehört zu seinen besseren Filmen), dann ist man als Zuschauer erstaunt und beeindruckt. Dabei hat er schon in „Six Degrees Of Separation” gezeigt, dass er ein sehr talentierter und wandelbarer Darsteller ist. Und das war immerhin 1993. Ja, seine Karriere hat die letzten Jahre gelitten und die Marke „Will Smith“ beschädigt, aber keiner dieser Missgriffe nimmt ihm sein künstlerisches Potential. In einem Film wie „Erschütternde Wahrheit“ kann er sehr frei aufspielen und ist von einem erfahrenen Cast umgeben, unter anderem Alec Baldwin als ehemaliger Team Arzt, der Omalu versucht mit einem Brückenschlag zur finsteren NFL zu unterstützen. In einem solchen Umfeld kommt der (in mehrfacher Hinsicht) alte Will Smith sehr gut zur Geltung.

Teil des Films ist aber auch Omalus Privatleben. Ihr kennt sicher das Gefühl: Völlig der Arbeit verpflichtet, kein Sozialleben außer Büro und Kirche und dann fragen plötzlich die Herrschaften vom Kirchenvorstand, ob man nicht einen Einwanderer bei sich aufnehmen könnte und diese sieht dann aus wie Gugu Mbatha-Raw („Beyond the Lights“, „Jupiter Ascending“). Nein? Ich auch nicht. Aber Will Smith Omalu kann davon ein Liedchen singen. Die Mitbewohnerin wird schnell mehr als nur eine Freundin. „Erschütternde Wahrheit“ behandelt die Beziehung zwischen Omalu und Prema mit sehr viel Gefühl und Respekt. Und Mbatha-Raw holt aus Prema mehr raus als nur eine Plotdevice zu sein.

Kleine Erschütterungen in der Erzählung

Über den größten Teil seiner 2 Stunden Laufzeit ist „Erschütternde Wahrheit“ fesselnd und faszinierend. Der Schnitt von Oscarpreisträger William Goldenberg (ausgezeichnet für „Argo“, aber schon nominiert für “Zero Dark Thirty”) trägt mit regem Einsatz und erfindungsreicher Anwendung auch in eigentlich langweiligen Momenten, in denen Omalu nur Daten sichtet, zu dieser Faszination bei. Leider wird die Narrative ab dem Punkt, an dem Omalus Entdeckung bekannt wird, etwas diffus. „Erschütternde Wahrheit“ hält sich nicht zurück zu implizieren, dass der NFL Chef Roger Goodell (gespielt von Luke Wilson) in der Tasche großer Firmen steckt und mit vollem Bewusstsein der Konsequenzen lügt. Als um Omalu die Luft dünner wird jedoch wird alles immer ungenauer. Es macht an vielen Stellen den Eindruck, als könnte eine solche Hollywood-Produktion einfach nicht das sagen was sie will — oder aber sie will einfach nicht in das Terrain von Filmen wie „Zeuge einer Verschwörung“, „Die drei Tage des Condor“ oder eben „Spotlight“ vordringen.

Fazit

Trotz dieses Mangels in der Narrative ist „Erschütternde Wahrheit“ dennoch einen Kinobesuch wert. Will Smith wird eben endlich wieder besser. Bleibt zu hoffen, dass „Suicide Squad“ oder „Bad Boys 3“ dieses Niveau nicht erneut einstürzen lässt.

Bewertung: 4 von 5 Sternen****

Filmkritik von Julius, 18.02.2016