Filmkritik zu "Inherent Vice"

  

Wenn Filme sich in hohem Maße (auch) um das Thema Gras und Kiffen drehen, dann wird es schnell sehr albern. Hin und wieder gibt es aber auch solche, die das Thema zwar in vielen Momenten in sich tragen, aber es einfach als Teil ihrer Erzählung behandeln, ohne dabei in platten Witzen zu verpacken. „The Big Lebowski“ ist sicherlich DER Film, der den meisten dazu als erstes einfällt. Paul Thomas Anderson geht in „Inherent Vice“ schlägt einen dem Kultfilm der Coen-Brüder in vielen Stellen artverwandten Weg ein. Und er geht sogar noch, auf seine eigene Art und Weise, einen ganzen Schritt weiter.

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Aus tiefstem Herzen dicht

Auch wenn Anderson es sicherlich, wie so oft, bestreiten würde trägt „Inherent Vice“, ähnlich wie beispielsweise „There Will Be Blood“, vor allem noch ein ganz anderes Thema im Herzen. Anderson behandelt gerne in seinen Filmen die Seele der „Americana“, der, von uns Europäern allzu oft bestrittenen, us-amerikanischen Kultur und ihrer hellen und dunklen Seite. In seinem neusten Film adaptierte er dafür das 2009 erschienene Werk gleichen Namens (zu Deutsch: „Natürliche Mängel“) aus der Feder von Thomas Pynchon. Der Vergleich zu „The Big Lebowski“ macht hier auf mehr als nur einer Ebene Sinn und drängt sich förmlich auf — auch wenn „Inherent Vice“ alles andere als aufdringlich ist, denn wie viele Kiffer ist der Film eher „entspannter Natur“. Genau wie in der drogenberauschten L.A. Komödie „The Big Lebowski“ entspinnt sich die Handlung in „Inherent Vice“ auf sehr labyrinthartige Weise und teilt sich mit „dem Dude“ einige gemeinsame Themen. Allerdings ist das neue Werk von Anderson auf seine Weise deutlich reicher an Charakteren und Atmosphäre, hat mehr Tiefe und Süße, ohne dabei in Sachen Witz und Humor zurückstehen zu müssen. Ob dies reicht um in Sachen Kult Lebowski und seinen schrägen Freunden und Gegnern das Wasser reichen zu können, wird die Zeit zeigen. In vielen Momenten orientiert sich „Inherent Vice“ dabei natürlich nicht an „The Big Lebowski“, sondern ist viel mehr dem Kino der 70er verpflichtet. Anleihen in Sachen Stil und Erzählungen an Filmen wie „The Long Goodbye“ oder „Cisco Pike“ finden sich an vielen Stellen, allerdings macht „Inherent Vice“ aus dieser Herkunft keine große Nummer.

Auch wenn Andersons Adapation von Pynchons Roman sich mit historischem Hintergrund und politischem Geschehen der 70er beschäftigt, ist „Inherent Vice“ in erster Linie eine ruhige Krimikomödie um sehr exzentrische Charaktere, ihre Verlangen, ihre Manien und inneren Dämonen, die dennoch auf ihr direktes Umfeld nur wenig Einfluss haben und sich vom Strom ihrer Umgebung treiben lassen. Als solcher ist „Inherent Vice“ eine großartige Charakterstudie, angefüllt mit einem großartigen Cast mit hervorragenden Performances, die in vielen Fällen bedröhnte Karikaturen ihrer Selbst darzustellen scheinen.

Innerer Verfall einer Ära

Der Ausdruck „Inherent Vice“ - Natürliche Mängel — bezieht sich eigentlich auf den Verfall von Objekten, nicht ausgelöst durch äußerliche Einflüsse, sondern durch fundamentale Instabilitäten auf Grund der in ihnen verbauten Einzelteile. Große Worte, die aber wie der berühmte Deckel auf den nicht minder berühmten Topf zu passen scheinen. Immerhin ist der Film in einer Zeit angesiedelt, die zwar auf der einen Seite die Welt nachhaltig beeinflusst hat, aber in den Tagen, in denen der Film nun einmal spielt bereits schon Teil der Geschichte geworden und selbst zu einer Erinnerung geworden ist. Im Los Angeles der frühen 70er Jahre, nach der Tet-Offensive, zu Zeiten von Charles Manson und seines Kults und nach dem Altamont Festival (dem von den Rolling Stones initiierten Gegenstück zu Woodstock, auf dem es zu mehreren Todesfällen kam, unter anderem dem Mord durch die mit Hells Angles bestückten Security an einem jungen afroamerikanischen Zuschauer) hatte „die Bewegung“ längst ihre Unschuld verloren. In „Fear and Loathing in Las Vegas“ hatte es Hunter S. Thompson prägnant als den Moment beschrieben an dem die Welle der Gegenkultur endlich brach und endlich zurückrollte.

„Right on.“

Der Held, so man ihn so nennen möchte, von „Inherent Vice“ ist der Kiffer und Privatdetektiv Larry „Doc“ Sportello (Joaquin Phoenix). Irgendwie möchte man mit ihm das Bild verbinden, dass er an einem historischen Strand steht und darauf wartet, dass die zurückrollenden, metaphorische Welle auch endlich bei ihm ankommt. Denn vor ihr zu fliehen wäre viel zu stressig. Er ist ein etwas verwahrloster Typ, der nicht erwachsen werden wollte, ein wenig schlüpfrig, aber herzensgut. Er würde keiner Fliege etwas zu leide tun, außer wenn sie sich ungefragt an einem seiner Joints bedienen würde — und vermutlich nicht einmal dann. Er gibt gerne Sätze von sich, die für niemanden außer ihm Sinn ergeben zu scheinen. Er ist eben der Typ, der wichtige Fakten und Enthüllungen mit „Gib dir das“ einleiten würde. Er löst seine Fälle völlig intuitiv und liest Menschen, wie ein Jahrmarktshellseher im Kaffeesatz lesen würde. Hin und wieder gibt es Closeups auf sein Notizbuch und diese enthüllen Aufzeichnungen wie „Paranoia Alert“ oder „Something spanisch“. Wie seine anderen Ermittlungsarbeiten sind diese Teil seiner Natur: Sie führen allein zu keinem sichtbaren Ergebnis, aber in Kombination kommt er damit zu seinem Ziel. Ohne wirklich zu wissen warum oder wie er dahin gelangt ist.

Alles ist im Fluss

Genau wie sein Hauptcharakter scheint „Inherent Vice“ in sich selber in vielen Phasen bekifft zu sein. Die Sonne blendet manchmal ein wenig zu sehr und stellenweise scheint der Film einfach stehen zu bleiben, nur um sich kurz seinen Charakteren hinzugeben und diese in ihrem Treiben zu zeigen. Wer selber einmal ordentlich bekifft war, der oder die wird dieses Verhalten sicher an sich selber beobachtet haben. Man kann nicht so ganz seiner Umgebung mehr folgen, da man viel sehr damit beschäftigt ist sie zu betrachten. So folgt der Film auch keine wirklich strukturiertem Ablauf, keinem Flow-Chart. Der Film beginnt damit, dass „Doc“ von seiner Ex-Freundin Shasta (Katherine Waterson) aufgesucht wird. Diese bittet ihn die Pläne der Frau (und ihres Lovers) ihres Freundes, dem Immobilienhai Mickey Wolfman (Eric Roberts) zu vereiteln, diesen einweisen zu lassen. Zur gleichen Zeit, wie einer dieser merkwürdigen Zufälle, wird „Doc“ in seiner Praxis (scheinbar ist er nebenbei tatsächlich noch eine Art Arzt) von Tariq Khalil (Michael Kenneth Williams) damit beauftragt einen Leibwächter, dem weißen Rassisten Glen Charlock, von Mickey und ehemaligen Zellengenossen von Tariq zu finden. Erschwerend zu den Ermittlungsarbeiten kommt hinzu, dass „Doc“ keine Straße hinunter gehen kann,ohne von irgendwem mit einem weiteren Auftrag betraut zu werden. So muss er sich auch noch für Hope (Jena Malone) damit beschäftigen ihren Mann, den Jazz-Saxophonisten Coy Harlingen (Owen Wilson) zu lokalisieren.

Fazit

Es ist also viel los in „Inherent Vice“. Aber irgendwie kommt alles zusammen. Zwischen Cops, die Hippies hassen und doch irgendwie die einzigen sind, die „Doc“ wirklich verstehen, zwischen breitem Humor und Bildern, die einfach nur als schön zu bezeichnen sind. Wer „The Big Lebowski“ auch nur das mindeste abgewinnen konnte, wird hier glücklich werden. „Inherent Vice“ ist lustig, traurig, detailreich, tief und mehr. Aber er lässt sich Zeit. Zeit die nicht verschwendet ist, aber 2,5 Stunden muss man sich schon für ihn nehmen.

Bewertung: 5 von 5 möglichen Sternen. *****

Filmkritik von Julius, 04.02.2015

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Inherent Vice startet am 12. Februar 2015 in unseren Kinos. Wenn ihr noch mehr Informationen zum Film, Bilder und den Trailer anschauen möchtet, dann schaut doch mal hier vorbei.