Filmkritik zu Irrational Man

  

Seit 49 Jahren bringt Woody Allen beinah jedes Jahr einen Film heraus, bei dem er Regie führt. Gefühlt etwa Drölfzigtausend, 46 sind es bis dato um genau zu sein. Der nächste ist bereits in Arbeit. All die, bei denen er nur das Drehbuch oder sein eigenes Konterfei beigesteuert hat, sind dabei nicht mitgezählt. Seine Filme schaut sich Allen laut eigener Aussagen nach abgeschlossener Arbeit nicht noch einmal an. Geschnitten und Thema beendet.

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Irrational Man ist ab heute in den Kinos zu sehen. Seht hier den Trailer und mehr Bilder aus dem Film.

Irrationale Männer, Verbrechen und andere Kleinigkeiten

In Anbetracht dieser irren Arbeitsleistung, der sich der am 1. Dezember 80 werdende aussetzt, ist das Abhaken der eignen Arbeit sicherlich keine ungesunde Einstellung. Fehltritte beschäftigen das Multitalent genau so wenig, wie es seine vielen Erfolge tun. In „Irrational Man“ nun wirft Allen seine Hauptdarsteller Joaquin Phoenix und Emma Stone in eine schwarze Komödie um Mord, schräge Romanze und Philosophie. Wie alle seine Filme scheint auch der jüngste Beitrag in einer Art Parallelwelt zu spielen, in der etwas andere moralische Grundsätze gelten und sich aus diesen weniger gravierende Konsequenzen ergebenden, als in der uns umgebenden. Allen ist nicht der einzige Autor und Regisseur, dem ein solcher Kniff nachgesagt wird. Gemäß einer sehr verbreiteten Theorie spielen auch die Filme von Quentin Tarantino in einer solchen Welt. In seiner ist Gewalt eine Art Allheilmittel, in Allens umgeben auch die finstersten Taten eine gewisse Leichtigkeit, dennoch straft eine Art kosmische Gerechtigkeit, wenn auch gerne nach Gusto.

Wie dem auch sei, „Irrational Man“ ist nicht das erste Mal, dass Mord im Vordergrund eines Allen Films steht. „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ und „Matchpoint“ haben sich mit diesem Thema schon befasst. So erfindet „Irrational Man“ das Rad nicht neu, ist aber zumindest wieder etwas deftiger als der arg handzahme „Magic in the Moonlight“.

Problematisch an „Irrational Man“ jedoch ist, dass der Film irgendwie kein wirklicher Film ist. Zumindest wirkt er erstaunlich unvollständig oder unausgereift. Er erscheint mehr wie eine Sammlung an Notizen, die nie den Zustand eines ausgereiften Drehbuchs erreicht hat. Auf Grund der Gesamtleistung ist „Irrational Man“ noch immer besser als Rohrkrepierer wie „Celebrity“, „Fluch des Jadeskorpions“ oder „Scoop“. Dennoch war bei diesen drei Filmen klarer wohin die Reise gehen sollte. Selbst dann, wenn es mehr ein Stolpern, denn ein Gehen oder Tänzeln war.

Allen gegen Alle und Allen

Allen holt aus seinem eigenen, fragmentarisch daherkommenden Script erstaunliches heraus. In der gesamten Leistungsschau seiner Werke war er schon immer ein besserer Regisseur als Schreiber. Auch in „Irrational Man“ sind seine typische Grazie und sein heldenhafter Einfallsreichtum zu spüren. Phoenix, Stone und James Blackley und Parker Posey versuchen in Szene um Szene ihre Rollen in plausibel erscheinende, menschliche Lebewesen zu verwandeln (was ihnen auch recht oft gelingt). Kameramann Darius Khondji steuert einige wunderschöne Bilder von Rhode Island bei und der Soundtrack passt oftmals punktgenau. Aber jeder gute Einsatz wird von Allens langweiligem und deklamatorischem Drehbuch gnadenlos in den Staub getreten. Ganz besonders schlimm trifft dies auf den Tonfall und die Dialoge des Films zu. Immer wieder muss dem Zuschauer der Gedanke durch die Hirnwindungen huschen, grade einem Woody Allen Dialog zu lauschen, wie dieser von einem schlechten Imitator verfasst wurde, der mit viel Geschick für den Klang aber wenig Talent für den Inhalt zu Werke geht. Um diesen Mangel an Talent wieder wett zu machen, greift dieser Nachahmer der Einfachheit halber zu den Namen diverser großer Denker und Philosophen, sowie deren Ideen, die er aber auf Grund eigenes Unwissens auf sehr einfache Aussagen minimiert.

Mörderische Philosophen

Ganz schlimm trifft es die Sätze von Philosophie-Professor Abe Lucas (Joaquin Phoenix). Dabei hat der doch wirklich genug um die Ohren. Ihm eilt sein Ruf voraus, als er am College in Newport, New England einen Lehrstuhl annimmt. Als Dozent und Philosoph gilt er als brillanter Querkopf und verhält sich den Vorschusslorbeeren vollkommen gerecht werdend. Privat aber findet Abe kaum noch Motivation und lebt selbstzerstörerisch ohne Ziele. Die Hoffnung, den Sinn des Lebens zu finden, hat er längst aufgegeben, aber dann bringen zwei Frauen seine Routine ins Wanken. Seine verheiratete, aber emotional einsame Kollegin Rita Richards (Parker Posey) fordert frech eine Affäre ein, die Abe mehr über sich ergehen lässt, als dass er sie genießt. Viel mehr Interesse hat er hingegen an seiner Studentin Jill Pollard (Emma Stone), die ihn tatsächlich intellektuell kitzelt. Die beiden verbringen viel Zeit miteinander, was Jills Beziehung zu ihrem Freund Roy (Jamie Blackley) verkompliziert. Was Abe aber effektiv neues Leben einhaucht, ist die Planung einer fixen, völlig verrückten Idee: Er will einen Mord begehen. Aber stupides Meucheln wäre nicht sein Ding und Kant und Kierkegaard nicht angemessen, der Mord muss also moralisch einwandfrei sein.

Die Leistung, die besonders Phoenix und Stone abliefern, ist beachtlich. Trotz völlig unnötig sperriger und unpassender Sätze, die viel zu platt und ungeschliffen wirken, schaffen sie es recht oft die Dialoge und Erzählstränge des Films an ein Ziel zu bringen. Aber es ist insbesondere ihr Verhältnis, welches absurd und unwirklich wirkt, so unwirklich, dass es durch den abrupten Sprung von Romanze zwischen Alt und Jung zum Mord nur noch abstrakter wirkt, dass „Irrational Man“ noch zusätzlich im Weg steht. Betrachtet man dabei Allens eigene Biographie, so kommt einem eventuell der Gedanke, man habe es mit einem rachsüchtigen Tagtraum Allens zu tun, in dem er für sich eine Rechtfertigung erdenkt, genau den Richter umzubringen, der sein (wie auch immer geartetes) Verhältnis zur Adoptivtochter seiner Exfrau Mia Farrow Soon-Yi Previn (und aktuellen Frau) unterbinden wollte.

Fazit

„Irrational Man“ hat seine Momente. Für echte Woody Allen Fans wird schnell deutlich, dass dieser Film eines seiner schwächeren Werke ist. Aber wer eine solchen Output wie Allen hat, der muss einfach hin und wieder mal daneben liegen. Alles andere wäre einfach nur unmenschlich. Beachtlich hingegen ist die Leistung der Akteure.

Bewertung: 3 von 5 Sternen

Filmkritik von Julius, 12.11.2015