Filmkritik zu "St. Vincent"

  

Zwischen all den Blockbustern des vergangen und kommenden Kinojahres verliert man schnell den Blick auf das Wesentliche. Kinofilme wollen unterhalten und Emotionen wecken. Das gelingt bei weitem nicht allen Streifen, die Woche für Woche über die Leinwände huschen.

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Weniger ist manchmal mehr

Eine Kritik über Filme wie „St. Vincent“ von Theodore Melfi zu schreiben ist ein zweischneidige Angelegenheit. Es wäre wirklich zu leicht den Film zu zerpflücken. Oberflächlich betrachtet sind die Charaktere alle recht flach und die im Film die Handlung vorantreibenden Schlussfolgerungen sind relativ einfach. Allerdings besticht der Film gerade durch diese Einfachheit und durch seine Darsteller. Er ist ein wenig wie gutbürgerliche Küche. Auch der kann man allzu leicht mangelnde Kreativität nachweisen. Allerdings kann man sich genauso gut einfach der großen Portion hingeben, sie genießen und danach völlig zufrieden sein. Nur weil etwas nicht durch viel Einfallreichtum oder besonders kreativer Erzählweise besticht, muss es noch lange nicht schlecht sein.

Keine neuen Zutaten

Einfach gestrickt ist auch der namensgebende Hauptcharakter Vincent (Bill Murray). Zumindest oberflächlich betrachtet. Er hat ein schwerwiegendes Alkoholproblem, zu behaupten, in seinem Leben würde nicht alles rund laufen, wäre eine maßlose Untertreibung und vom Glück ist er auch nicht verfolgt. Viel davon scheint er allerdings in hohem Maße mit zu verschulden. Er lebt alleine in einem heruntergekommen Haus in New York, schläft mit einer schwangeren osteuropäischen Prostituierten (Naomi Watts). Das bisschen Geld, was er auftreibt oder besitzt verzockt er entweder auf der Rennbahn oder nutzt es um für Nachschub in seinem Glas zu sorgen. Er ist einer dieser Charaktere, denn man aus jeder Kneipe kennt. Er sitzt am Ende der Theke, erzählt hin und wieder mal eine lustige Geschichte, ist aber niemand den irgendjemand lange in seinem Leben haben möchte. Sein Bankkonto ist etwa so weit am Ende wie seine Gesundheit und Freunde hat er keine — zumindest keine für deren Nähe er nicht bezahlt.

Doch dann tritt Oliver (Jaeden Lieberher) in Vincents Leben. Oliver ist Vincents neuer Nachbar. Ein kleiner, schwächlicher, stiller, freundlicher Junge und Scheidungskind in spe. Seine Mutter (Melissa McCarthy) muss nicht nur endlose Überstunden im Krankenhaus über sich ergehen lassen, sie muss sich obendrein noch mit einem handfesten Sorgerechtsstreit beschäftigen. Da Oliver niemanden hat, zu dem er nach der Schule gehen könnte, lässt sich seine Mutter auf einen Deal mit ihrem kauzigen und misanthropischen Nachbarn ein und Vincent wird Olivers neuer Babysitter. Was folgt, kann sich jeder Zuschauer an drei Fingern ausrechnen. Oliver wird zu Barbesuchen am frühen Nachmittag gezerrt, muss auf Pferde wetten und kommt in Kontakt mit Damen von eher schlechter Reputation. Dafür findet Vincent etwas Freude in seinem Leben und Oliver wiederum kann an diesen Erlebnisse und Vincent lehrreichen Selbstverteidigungstipps ein wenig reifen.

Die Mischung macht's

Auch weite Teile des restlichen Filmes strotzen nur so vor Stereotypen. Seien es die Geldeintreiber (Terrence Howard) von der Rennbahn oder der katholische Grundschullehrer (Chris O’Dowd). Allerdings sind es diese simplen Figuren, die es so leicht machen dem Charme des Films zu verfallen. Insbesondere haben Bill Murray und Jaeden Lieberher eine Chemie, wie sie so nur sehr selten zu sehen ist. Ihre Beziehung wirkt völlig natürlich und ungezwungen. In „witzigeren“ Filmen würden Szenen wie der Barbesuch in Albernheiten abgleitet, andere viel zu sehr in slapstick- oder comichaften Szenen enden. „St. Vincent“ aber bewahrt sich über den kompletten Ablauf diese Natürlichkeit, die einem Zuschauer das Herz erweicht und auch gestandenen Männern eine Träne aus dem Augenwinkel treibt. Erschwerend dazu kommt nicht nur Bill Murrays routiniertes Schauspiel — die Rolle des Vincent gibt er nun nicht zum ersten Mal zu Besten — sondern auch das Talent von Newcomer Jaeden Lieberher. Sein Charakter Oliver ist einfach dieses eine furchtbar nette Kind, das sich absoluten Optimismus bewahrt hat und in jedem Menschen etwas Gutes findet, auch wenn das Leben selber mit Oliver nun nicht nett umspringt. Immer wenn dieser kindlich Optimismus auf den Alterspessimismus von grummeligen Alkoholiker Vincent treffen, hat „St. Vincent“ eine seiner vielen Sternstunden. Diese wirken dabei nie wie die nächste Wiederholung des selben Themas, sondern haben alle ihre ganz eigenen Besonderheiten.

Der Fokus der Erzählung liegt natürlich auf der Aussage, dass das Leben für jeden noch immer ein neues Kapitel parat hat und das auch dann, wenn alles schwarz zu sein scheint noch immer ein neuer Freund oder eine neue Bereicherung daherkommen kann, die dem Leben wieder Sinn und Schönheit verleihen können. Und natürlich beschäftigt sich „St. Vincent“ auch mit der Gefahr der Verlustes einer solchen Freundschaft. Dieses Thema ist so alt wie das Kino selber. „St. Vincent“ will eben nicht neu sein. Der Film zeigt aber deutlich, dass auch aus einem so alten Thema mit einem guten Cast und einer gute Erzählweise noch sehr viel zu Gunsten des Zuschauers herauszuholen ist. Es muss nicht immer das Rad neu erfunden werden. Der Umstand, dass das Werk auch noch ein Erstlingswerk ist, macht es dann sogar noch ein wenig beeindruckender.

Fazit

Mal ganz abgesehen davon, dass man jeden Film mit Bill Murray in einer Hauptrolle sehen muss, solang dieser Mann noch Filme macht und eben die Hauptrolle mimt, gibt der Film auch Melissa McCarthy die Chance sich ein wenig von ihren letzten Filmen zu erholen. In „St. Vincent“ macht sie eine gute Figur und wirkt nicht im geringsten aufgesetzt. Sogar Naomi Watts schafft es ihrer sehr schrägen Figur den richtigen Anstrich zu verpassen. Über all dem thront die Performance von Jaedon Lieberher. Wer zum Jahresbeginn einen echten Gemütsaufheller im Kino sehen möchte, der oder die sollte sich „St. Vincent“ auf keinen Fall entgehen lassen.

Bewertung: 4 von möglichen 5 Sternen. ****

Filmkritik von Julius, 30.12.2014

Mehr Informationen zu St. Vincent

Weitere Informationen zum Film (Trailer, viele Bilder etc.) in unserer Filmdatenbank.

St. Vincent startet am 08. Januar 2015 in den deutschen Kinos.