Filmkritik zu The Danish Girl

  

Kann ein Film einwandfrei abgedreht werden, mit guten Darstellern ausgestattet, stark geschauspielert, fehlerfrei besetzt und wunderschön gefilmt sein und dennoch emotional nicht beim Zuschauer ankommen? Kann man als Filmschaffender also technisch einfach alles richtig machen und dennoch kein Gefühl aufkommen lassen? Dass es möglich ist ein Erfahrung zu transportieren oder den Zuschauer mitzunehmen und zu verändern zeigt „The Danish Girl“.

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Der Fluch des Zeitgeists

Bedenkt man, dass Tom Hooper die Geschichte einer radikalen Veränderung erzählt, immerhin behandelt „The Danish Girl“ das Leben des Künstlers Einar Wegener (Eddie Redmayne), dem ersten Menschen, von dem bekannt ist, dass er sich einer geschlechtsumwandelnden Operation unterzog, ist es erstaunlich, wie vorsichtig Hooper zu Werke geht. Allerdings ist Hooper für ein solches Vorgehen bekannt. Sowohl in „The King's Speech“ als auch in „Les Miserables“ hat sich Hooper nicht sonderlich weit aus der Deckung gewagt und genau wie diese beiden Filme ist „The Danish Girl“ geschmackvoll und zurückhaltend bis zu dem Punkt, dass sich dies als größter Fehler erweist. Wiedereinmal liefert Hooper eine Arbeit ab, die leicht zu bewundern, dennoch schwer zu lieben ist. Eventuell ist dies bis zu einem gewissen Grad völlig beabsichtigt. Vielleicht versucht Hooper durch die Adaption von Lucinda Coxons Drehbuch, basierend auf David Eberhoffs Roman über den dänischen Landschaftsmaler Wegener, mit provokantem Material in ansprechender und dezenter Verpackung ein möglichst breites Publikum zu erreichen.

Es scheint sich förmlich aufzudrängen, dass Hooper und sein Team im Hinterkopf den Gedanken gehabt haben könnten, dass die breite Masse einen Film über einen transsexuellen Charakter dann sehen wollen wird, wenn dieser schon vor seiner Spielzeit mit Preisen, respektive den Ankündigen solcher, überschüttet wird. Und eben nicht einen direkten, kleinen Independent Film wie „Tangerine“ oder eine scharfzüngigen Serie wie „Transparent“. In Anbetracht der Tatsache, dass die gut dokumentierte Geschichte von Caitlyn Jenner und auch „Transparent“ dennoch mit Preisen bedacht wurden und zum Dialog und der Wahrnehmung der Schwierigkeiten und Beweggründen von transsexuellen Menschen in der Öffentlichkeit beigetragen haben, erscheint das pünktlich zur Preis-Saison passende Auftreten von „The Danish Girl“ oberflächlich fast zynisch. Dennoch macht der Film deutlich, dass sein Herz am rechten Fleck sitzt.

„The Danish Girl“: Kopfkino

Eine echte Herzensangelegenheit ist aber „The Danish Girl“ leider nicht. Der Film spricht eher den Kopf an. Zugegebenermaßen liefert „The Danish Girl“ Bilder, die bei eigentlich jedem Zuschauer ankommen dürften. Da werden die Tutus im Backstagebereich eines Balletts von unten wie Tüll-Quallen beleuchtet oder die spießige Welt von identischen Reihenhäusern in Widescreen abgelichtet, aber viele andere Bilder sind einfach zu offensichtlich und zu einfach in ihrer Symbolkraft: Ein Vorhang, der zwischen Einar und seiner Frau Gerda (Alicia Viklander) im Bett hängt, ein zu Alexandre Desplats Soundtrack davonfliegender Schal. Auf allen Ebenen starke Momente, wie eine Szene in der Einar eine Stripshow besucht um die Tänze zu imitieren und er und die Tänzer nur durch ein Glas getrennt miteinander tanzen, sind eher Mangelware.

Der exzellente „Tangerine“ erscheint im Gegensatz zu „The Danish Girl“ wie ein hoffnungsloser Fall. Sean Bakers Film über ein Paar lästernde transsexuelle Prostituierte, die durch die Straßen Hollywoods am Weihnachtsabend ziehen, bietet absolute Neulinge in den Hauptrollen und ist komplett mit einem iPhone abgedreht worden. Aber es ist der viel zugänglichere und bewegendere Film. „Tangerine“ erscheint lebendig und baut in Kürze eine emotionale Verbindung zum Zuschauer auf.

Lili, Einar und Gerda

Dies alles ist kein Fehler, der bei den beiden Hauptdarstellern zu suchen ist. Eddie Redmayne und Alicia Vikander liefern zutiefst engagierte Darstellungen ab, allerdings ist eine noch eine ganze Ecke tiefer als die andere. Redmayne hat sich in der Vergangenheit als echter Meister der Verwandlung erwiesen. Seine präzise Darstellung als Stephen Hawking in „The Theory of Everything“ hat ihm völlig zu Recht einen Oscar als bester Hauptdarsteller eingebracht. Und wieder einmal spielt er eine Figur aus dem realen Leben, die eine physische Veränderung durchläuft, welche einen Schatten auf eine Ehe wirft und von beiden Partnern verlangt die zerbrechende Verbindung neu zu betrachten, obwohl beiden klar ist, dass sie einander noch immer aufrichtig lieben.

Hooper arbeitet in „The Danish Girl“ wieder mit seinem üblichen Cinematographen Danny Cohen zusammen und der schafft es Redmaynes Androgynität perfekt auszuleuchten und die Verwandlung von Einar zu Lili fließend darzustellen. Paco Delgados Jazz-Ära-Design seht dem männlichen Hauptdarsteller und dem restlichen Cast einfach hervorragend. Aber „The Danish Girl“ behandelt seinen komplexen Hauptcharakter leider nur auf einer sehr oberflächlichen Ebene. Der Zuschauer kann nie wirklich verstehen, was Einar drängt sich komplett in Lili zu verwandeln, trotz der physischen Gefahren der Operation und des sozialen Stigmas. Der Charakter wird zu einer Sammlung aus Manieriertheiten und Proklamationen. Natürlich war Einar/Lili mutig, aber den Kern ihres Mutes greifbar zu machen, hätte einen runden Charakter in einem gezwungener Maßen kontroverserem Film abliefert. So bleibt nur höfliche Wertschätzung.

Wirklich fesselnd hingegen ist die Geschichte die zu Vikanders Rolle als Einars Frau Gerda gehört. Sie ist eine Malerin, die darum streitet als Künstlerin ernst genommen zu werden und aus dem Schatten ihres Mannes treten möchte. Als sie Einar als Vertretung für ein Modell bittet für das Bild einer Ballerina Porträt zu sitzen, erhascht sie einen Eindruck von seiner weiblichen Seite. Auch wenn Einar die physische Verwandlung durchmacht, ist es Gerda die die viel berührendere Geschichte in „The Danish Girl“ durchlebt. Sie befindet sich in der schwierigen Situation sowohl der Fels in der Brandung sein zu müssen, als auch sich in der sich stets ändernden Beziehung zu Einar/Lili weiter zu entwickeln. Beides bietet viel mehr Facetten als die Rolle des Einar.

Zunächst akzeptiert sie, dass Einar Frauenunterwäsche unter seinen Anzügen tragen möchte und ist sogar ein wenig von diesem Gedanken erregt. „Verkleidungsabende“ in Kopenhagen führen zu lustvollen Abenden mit Freunden oder getarnt als zwei Mädchen aus einer anderen Stadt in der Öffentlichkeit. Mehr und mehr muss Gerda aber begreifen, dass Lili keine Kunstfigur für Einar ist, sondern ein Teil seines wahren Selbst — und alles was sie als sicher und wahr zu kennen glaubt, zerrinnt unter ihren Füßen.

Zur gleich Zeit aber kommt ihre Karriere endlich in Schwung. Die aufblühende Lili ist dabei ihre Muse. Wenn dann noch neue (Ben Whishaw) und alte Freunde (Matthias Schoenaerts) in die Gleichung geraten, wird ihr Leben nicht gerade leichter.

Vikander, die mit zwei sehr unterschiedlichen Darstellungen im exquisiten „Ex Machina“ und im überzogenen „The Man From U.N.C.L.E.“ einen gute Lauf hat, verleiht mit sehr viel Gefühl jedem Schritt ihres Charakters Glaubwürdigkeit. Ihr scheint jede Facette zu liegen, von der Stärke und dem Optimismus bis zur Verwirrung und Einsamkeit. Ihre Zerbrechlichkeit wirkt liebevoll, ihre Direktheit anziehend.

Fazit

Auch wenn der Titel „The Danish Girl“ sich auf die Verwandlung von Einar in Lili bezieht, ist Gerda beziehungsweise Vikander der eigentliche Star des Films. Wäre „The Danish Girl“ so mutig wie der reale Einar/ die reale Lili, wäre es ein herausragender Film. So bleibt er leider hinter den eigentlichen Möglichkeiten aus purer Vorsicht zurück.

Der Film ist ab dem 07.01.2016 in ausgewählten Kinos zu sehen.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.***

Filmkritik von Julius, 21.12.2015