Filmkritik zu The Revenant — Der Rückkehrer

  

Wirklich große Filme haben die Kraft das Unvorstellbare zu transportieren. Während wir gemütlich in einem gut geheizten Kinosaal oder auf einem bequemen Sofa sitzen, leiden Protagonisten durch physischen und emotionalen Schmerz, den, glücklicher Weise, nur die wenigsten von uns nachvollziehen können. Oftmals fühlt sich eine solche Tour de force manipulativ, wenn nicht sogar falsch an. Auch wenn Alejandro Gonzalez Iñárritu’s „The Revenant“ nicht in allen Belangen der erhoffte Geniestreich ist, so gelingt ihm dies dennoch hervorragend.

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The Revenant könnt ihr ab dem 07.01.2016 in den deutschen Kinos anschauen.

„The Revenant“ ist in vielen Belangen eine Erfahrung

Im Gegensatz zu all den Filmen, in den wir, als kluge Kinogänger, vermeinen die Fäden zu sehen, die unsichtbar durch die Hand des Regisseurs an seinen Darstellern kleben und diese zu vordergründigem Leid antreiben, lässt „The Revenant“ wirklich leiden. Schauspieler und Setting verschmelzen mit Charakteren und Zuständen. Der Film lässt uns, wie nur wenige andere in eine vergangene Zeit reisen, ohne dabei zu vergessen, dass ein Film auch immer visuelle Kunst sein sollte. „The Revenant“ guckt man nicht einfach, „The Revenant“ ist in vielen Belangen eine Erfahrung. Der Kinobesuch ist dadurch keine reine Unterhaltung, er ist auch ein Probe und Herausforderung für die eigene Ausdauer. Das Kino verlässt der Zuschauer geschafft, beeindruckt durch die Qualität der Bilder und ein wenig dankbar für die Angenehmlichkeiten unseres Lebens.

Gnadenlose Wildnis

Iñárritu und sein Co-Autor Mark L. Smith setzen direkt zu Beginn den Tonfall für „The Revenant“ fest, wenn sie eine Gruppe von Trappern durch Indianer niedermetzeln lassen. Dabei erscheinen die wutentbrannten Eingeborenen nicht als gesichtslose Feinde, sondern als grausame Naturgewalt. Eben noch packten wettergegerbte Männer ihre Jagdbeute zusammen um gen heimatliches Fort aufzubrechen, da prasselt auf den Zuschauer eine Szene wie aus „Apocalypse Now“ ein. Pfeile durchbohren Luft und Hälse, Schüsse treffen die Falschen und verwirrte Männer irren über ein Schlachtfeld, nur um ein herrenloses Pferd zu erschießen. Während die überlebenden Trapper es zu ihrem Boot schaffen, erfahren wir Zuschauer, dass die Indianer in den Fängen der Amerikaner die Tochter ihres Häuptlings wähnen und sich geschworen haben, jeden, der sich ihnen in den Weg stellt in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Ein folgenschwerer Irrtum. Der Führer der Trapper ist ein Mann namens Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), der mit seinem halbindianischen Sohn Hawk (Forrest Goodluck) die Männer durch die Wildnis geleitet.

Auf Raten von Glass gibt der Captain der Jäger Andrew Henry (Domhnall Gleeson) den Befehl die Jagdbeute am Ufer zu verbergen, das Schiff aufzugeben und sich zu Fuß durch die Berge zu schlagen. Einer seiner Untergebenen John Fitzgerald (Tom Hardy) ist anderer Meinung. Fitzgerald sorgt sich um seinen Lohn, misstraut Glass und kann Henry nicht sonderlich gut ausstehen. Als dann noch Glass von einer Bärin tödlich verletzt wird, spitzt sich die Lage zu. Henry bietet einen fürstlichen Preis denjenigen, die, trotz der verfolgenden Cree-Indianer, beim sterbenden Glass bleiben und ihm ein Begräbnis ermöglichen. Fitzgerald, Hawk und ein junger Mann namens Bridger (Will Poulter) willigen ein zurückzubleiben. Fitzgerald aber sucht eigentlich nur nach einer Möglichkeit alles abzukürzen, will den fast bewegungsunfähigen Glass davon überzeugen sich von ihm töten zu lassen. Als dies Hawk mitbekommt, stürzt er sich auf Fitzgerald. Dieser sticht Hawk ab und um alles zu vertuschen redet er Bridger ein, die Cree wären in unmittelbarer Reichweite und Hawk sei verschwunden. Glass lassen sie halb begraben und noch immer lebendig zurück.

Nun ist Glass aber wie von Rache beseelt, längst mehr Geist als Mensch. Er stirbt einfach nicht, ernährt sich vom Knochenmark toter Tiere, robbt durchs Unterholz, nur darauf sinnend Rache an Fitzgerald für den Mord am letzten Wesen auf dieser Welt zu üben, dass ihm am Herzen lag.

Tadellos bildgewaltig

Nach diesen ersten Ereignissen liegt der größte Teil des Films noch vor einem, bestehend aus dem einfach nicht enden wollenden Leid des Protagonisten. Weite Teile bestehen aus Glass quälender Reise, zeigen, wie er langsam an Stärke gewinnt und nur durch pure Willenskraft seinem Ziel immer näher kommt. Iñárritus bereits für „Birdman“ und letztes Jahr für „Gravity“ mit je einem Oscar ausgezeichnete Kameramann Emmanuel Lubezki leistet auch in „The Revenant“ wieder ganze Arbeit und das Erlangen eines Oscar-Hattricks scheint im Angesicht dieser tadellosen Kameraarbeit mehr als nur wahrscheinlich. Dank seiner Darstellung verbinden sich die Plagen auf der Leinwand und die künstlerische Ebene seiner Vision zu etwas holistischem Ganzen. Der Himmel scheint sich endlos und der Horizont grenzenlos. Lubezki arbeitet mit einer sehr natürlichen Farbpalette, die er nur kaum erweitert. So wirkt der Schnee nur etwas weißer und der Himmel etwas blauer, der Nebel etwas dichter und das Wasser um so kälter. Und immer dann, wenn uns die Dramatik und Geschwindigkeit richtig packen soll, werden uns diese einzigartigen, fast schnittfreien Sequenzen geliefert, die Emmanuel Lubezki berühmt gemacht haben. Aber Lubetzki kann auch anders. Je länger Glass auf seiner Reise unterwegs ist, desto mystischer wird der Film und desto häufiger verfällt Glass in Fieberträume. Immer wieder fühlt man sich in diesen Sequenzen an aus „The Tree of Life“ erinnert.

Tom Hardy vs Leonardo DiCaprio in „The Revenant“

Schauspielerisch liefert „The Revenant“ ein irgendwie gespaltenes Bild ab. Jeder gönnt DiCaprio einen Oscar und für die rein körperliche Leistung die er für und in „The Revanant“ durchleidet wäre ihm einer zu gönnen. Er ist völlig seiner Rolle verpflichtet, stürzt sich wieder und wieder in eiskalte Bäche. Jede Nuance des Schmerzes ist in seinem Gesicht abzulesen. Alles erscheint echt. Umso trauriger ist es, dass sein Charakter der ist, der über den wenigsten Tiefgang verfügt. Er ist, wie die Handlung selber, hauchdünn, ein Rachegeist und kein wirklich verständliches, menschliches Wesen mehr. Das aber stellt Leonardo DiCaprio extrem überzeugend dar.

Auf Seiten der Nebendarsteller zeichnet sich, angeführt von Tom Hardy als Fitzgerald ein gegensätzliches Bild. Zwar ist Hardys Rolle vom Drehbuch her etwas zu sehr auf die schrägen Ticks ausgelegt, aber Hardy verleiht seinem Charakter etwas sehr nachvollziehbares. Er spielt ein Arschloch, aber eben eines, dass unbedingt überleben will. Wo Glass alles tut um Rache zu üben, tut Fitzgerald alles um lebend aus der Sache herauszukommen.

Fazit

„The Revenant“ ist ein Brecher. 2,5 Stunden sind kein Pappenstiel. Es ist der Bildgewalt zu verdanken, dass sich diese lange Laufzeit des Films nicht viel länger als 90 Minuten anfühlt. „The Revenant“ ist eine Erfahrung. Leider eine, die manchmal zu sehr mit der Symbolkeule schwingt. Aber in jedem Fall eine, die auf der Kinoleinwand erlebt werden will.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.****

Filmkritik von Julius, 22.12.2015