Girl On The Train Filmkritik — Nächste Station: Bett

  

Es ist erstaunlich, wie oft es Hollywood schafft, ein relativ spannendes Buch farb- und ideenlos umzusetzen. Ich will nicht behaupten, dass ich unbedingt ein großer Fan von Paula Hawkins Roman „Girl on the Train“ bin, aber der Thriller eignete sich definitiv für einen abendfüllenden Ausflug auf die düstere Seite der idyllischen Kleinstadtfassade. Was Regisseur Tate Taylor hier abgeliefert hat ist jedoch bestenfalls akzeptabel. Wenn man gemein ist, würde man sagen zum Gähnen langweilig.


Hier und heute sind wir so gemein. Nicht, um einen Film für das zu verdammen, was wir uns gewünscht haben, sondern für all das, was er hätte sein können. Denn nicht die Vorlage ist an dem Schuld, was hier vorgeworfen wird, sondern die Dreistigkeit zu glauben, es besser machen zu können. Wen dem so ist, wird niemand etwas sagen. Wenn es aber — wie in diesem Fall — zur Bruchlandung kommt, dann bleibt die Frage zurück, warum überhaupt all die Abweichungen und Eigenkreationen?

Das Fenster zum Vorort

Rachel Watson (Emily Blunt) ist geschieden, Alkoholikerin und nicht besonders angetan von ihrem Leben. Jeden Tag fährt sie mit dem Zug an dem Haus ihres Ex-Mannes vorbei und jeden Tag beobachtet sie ein benachbartes Pärchen, dass all das zu haben scheint, was ihr verwehrt bleibt: eine glückliche, dem Anschein nach perfekte Beziehung. Aber wir wären nicht in einem Thriller, wenn wir nur dem Selbstmitleid einer einzelnen Frau lauschen würden.

Und so kommt auch schon bald der schockierende Auftakt: nach einem weiteren, dem lieben Alkohol verschuldeten Blackout, wacht sie mit blauen Flecken und bösen, bruchstückhaften Erinnerungen auf. Die Frau, die sie jeden Tag beobachtet, wird vermisst. Klar, dass Rachel solch eine Situation nicht einfach abtut und den nächsten Tag abwartet. Sie muss der Sache auf den Grund gehen und ihr Gedächtnis zurück erlangen.

Bierernst

Girl On The Train“ musste sich bereits in schriftlicher Form immer wieder mit den Vergleichen zu „Gone Girl“ konfrontieren lassen. Zu weit hergeholt ist das auch gar nicht, haben beide Geschichten doch einen recht ähnlichen Weg den sie einschlagen. Spätestens in der cineastischen Form kann man die Position der Autorin aber durchaus verteidigen. Denn ab jetzt würde man Äpfel mit Birnen vergleichen.

Wo David Finchers Werk noch Cleverness an den Tag legte und auf gewisse Überspitzungen setzt, bekommen wir nun eine steinerne Miene von einem Film präsentiert, der sich selbst allzu ernst nimmt und keinerlei Risiko eingeht. Was im Buch zum Denken angeregt hat und Interesse an den Hintergründen wecken konnte, verkommt hier zu einem notwendigen Stilmittel ohne großes Ziel. Der Film versucht auf Gedeih und Verderb spannend zu sein, verfällt dadurch aber von Minute zu Minute mehr in eine Lethargie des Erzählens.

Das Geheimnis um die Vorkommnisse soll möglichst lange eben ein solches bleiben. Wenn es dann aber zur großen Auflösung kommt, ergeben die einzelnen Stränge erschreckend wenig Sinn. Die Details dessen, was man zu sehen bekommen hat, haben nur geringfügig mit dem zu tun, was wirklich hinter all den Vorhängen verborgen lag. Das Ende selbst erleidet ein ganz ähnliches Schicksal. Was im Buch noch weit ab von ‚Happy End‘ angesiedelt war, wird nun hochdramatisch zu genau dem gewandelt. Wirklich originell ist das nicht und leider auch unfreiwillig komisch.

Sobald das Licht im Kino wieder angeht und die Credits unbeachtet in der Finsternis verschwinden, bleibt man mit vielen Fragen zurück, kann sich aber schwer gegen den Gedanken erwehren, dass es einem eigentlich egal ist. Nach einer kruden Achterbahnfahrt aus verworrener Handlung, trockenen Übergängen und chaotischen Zeitsprüngen ist den meisten irgendwie jedes Ende recht, sofern es nur endlich vorbei ist.

Ein Lichtblick

Die schauspielerische Leistung aller Beteiligten ist ein kleiner Lichtblick in diesem Thriller, der eigentlich mehr einem dramatischen Krimi gleicht. Luke Evans, Rebecca Ferguson, Justin Theroux … Jeder von ihnen leistet sehr gute Arbeit und holt aus seiner Abziehbild-Rolle alles nur Menschen mögliche heraus. Hauptdarstellerin Emily Blunt schafft jedoch noch ein bisschen mehr und wandelt ihre Figur zu einem wahren Spektrum an menschlichen Gefühlsregungen und emotionaler Bandbreite.

Was erstaunlich ist, wurde ihre Rolle als Rachel Watson doch enorm entschärft und dem Publikum schmackhafter gestaltet. Die sarkastische Alkoholikerin wurde fast schon handzahm. Da fragt man sich, was Blunt hätte leisten können, wenn diese nur etwas mehr Farbe abbekommen hätte. Sei es, wie es ist. Unterm Strich bringen die besten Schauspieler nichts, wenn bereits bei dem Erzählstil versagt wurde. Und wenn man dann nicht einmal in der Lage ist, halbwegs sinnige Handlungsstränge zu präsentieren und diese dann nicht einmal sauber miteinander verbindet … Dann bleibt nicht viel mehr zu tun, als sich langsam für das Bett fertig zu machen und es morgen Abend mit einem anderen Film zu versuchen.

Fazit

Es ist allgemein bekannt, dass man ein Buch nicht ohne weiteres eins zu eins in einen Film verwandeln kann. Was als schwarz auf weiß funktioniert, kann im Kino zu Tode langweilen. Selten gibt es aber Fälle, da ist es genau anders herum. Gerade der Versuch, sich der breiten Masse an Alltags-Kinogängern anzubiedern, kann aus dem besten Stoff das langweiligste cineastische Erlebnis machen. So gesehen bei „Girl On The Train“.

Wirre Zeitsprünge, lose Handlungsstränge und Änderungen an der Geschichte, die sich nicht positiv auf das Gesamtergebnis ausgeschlagen haben. Der Versuch fast eineinhalb Stunden durchgehend Spannung aufzubauen und zu halten, endet in gähnendem Interesse an der Uhrzeit. Wenn dann die große Lösung hinter dem Vorhang hervor springt, fühlt man sich — überspitzt dargestellt — um sein Eintrittsgeld betrogen.

Doch selbst im Schlamm liegen ab und zu Goldklumpen versteckt. Diese glänzen in „Girl On The Train“ in Form der Darsteller, besonders zutreffend bei Emily Blunt. Man nimmt ihr die Alkoholikerin nicht wirklich ab, dafür spielt sie sich auf allen anderen Ebenen die Seele aus dem Leib. Damit wirkt sie aber auch merkwürdig verloren in diesem Stück, dass kaum Handlungsfreiraum zulässt und zu sehr damit beschäftigt ist, nicht so zu sein wie andere Filme seiner Zunft.

Kinostart ist am 27.10.2016.

Wertung: 2/5**

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 13.10.2016