„Gut gegen Nordwind“ Filmkritik

Bei dem Filmtitel handelt es sich nicht um die neueste Kollektion an Mützen und sonstige Kleidungsstücke, die gegen die kalten Winde des Nordens schützen, sondern um einen Roman des österreichischen Schriftstellers Daniel Glattauer. Dessen dramatische Romanze wurde nun von der Regisseurin Vanessa Jopp („Lügen und andere Wahrheiten“) filmisch umgesetzt, mit Nora Tschirner und Alexander Fehling in den Hauptrollen.

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E-Mail für dich

Die Geschichte handelt von dem Linguisten Leo Leike, der durch einen kleinen Tippfehler beim Empfänger die Bitte von Emma Rothner erhält, deren Zeitschriftenabonnement zu kündigen. Die E-Mail wird mit kurzen, aber wohlgewählten Worten beantwortet, das Missverständnis aufgeklärt und damit sollte die Sache erledigt sein. Oder? Nicht wirklich, denn Emma antwortet ebenso wortgewandt und geistreich, wie Leo es getan hat, was natürlich dessen Aufmerksamkeit erregt.

Nach anfänglicher Skepsis entwickelt sich ein Schriftverkehr zwischen den beiden, ja, sogar eine richtige Brieffreundschaft im digitalen Zeitalter. Nach und nach öffnen sie sich einander, vertrauen sich ihre Gedanken und tiefsten Gefühle an. Und das, obwohl Leo eigentlich seiner Ex-Freundin hinterher trauert und Emma verheiratet ist, mit einem Mann, der zwei Kinder mit in die Ehe brachte.

Was nun normalerweise der Auftakt für erste Treffen sein sollte, ein persönliches Kennenlernen und den ganzen anderen Stationen, die Liebesfilme dieser Art standardmäßig abklappern, geht in „Gut gegen Nordwind“ in eine differenzierte Richtung. Denn die Geschichte wird über gute vierzig Minuten nur aus der Sicht von Leo geschildert, während Emma lediglich als Stimme auf den Plan tritt und außerdem wollen beide vernünftig bleiben und sich in der Realität lieber nicht treffen ...

Nordwind

Schauspielerisch stark

Der Film von Jopp nimmt sich zu Beginn eine Menge Zeit, die Welt von Leo so darzustellen, wie er sie wahrnimmt und später gibt es weitere Teile in dem Werk, die eine ordentliche Portion Sitzfleisch vom geneigten Zuschauer abverlangen. Das ist in gewisser Weise ein zweischneidiges Schwert, denn zwar gelingt es der Regisseurin, das richtige Gefühl einzufangen und dem Kinogänger zu vermitteln, gleichzeitig sorgt diese Vorgehensweise dafür, dass immer wieder Leerläufe entstehen, die der Geschichte wenig Mehrwert bieten.

Ausgeglichen wird dieser negative Umstand dadurch, dass das Schauspiel von Nora Tschirner („SMS für dich“, „Soloalbum“, „Kebab connection“) und Alexander Fehling („Homeland“, „Im Labyrinth des Schweigens“, „Das Ende der Wahrheit“) äußerst gut ist. Beiden gelingt es, ihre Gefühle und ihre Gedanken mit einer angenehmen Leichtigkeit auf den Zuschauer zu übertragen.

Wo bei anderen Filmen der Kitsch und romantische Schmalz das Werk bereits verdorben hätte, weil die rosarote Brille manch einem Filmemacher wichtiger ist, als die Geschichte selbst, steht in „Gut gegen Nordwind“ Authentizität im Vordergrund, echt wirkende Gefühle und sowohl eine Mimik als auch eine Körpersprache, die das Gesehene vollends abrunden.

Besonders beeindruckend ist dieser Umstand dadurch, dass es nur wenige Szenen im Film gibt, wo beide Schauspieler miteinander agieren, die Chemie zwischen ihnen also nicht an vorderster Stelle steht, wie es bei anderen Werken solcher Art der Fall ist. Beide müssen für sich alleine das stemmen, was in Liebesfilmen eine Aufgabe für zwei ist. Und ob man es glaubt oder nicht, dies gelingt sehr gut.

Technisch solide

Die Geschichte in „Gut gegen Nordwind“ wird wie schon erwähnt recht langsam und vor allen Dingen ruhig erzählt und erwartet entsprechend vom Zuschauer, dass dieser die Geduld und die Lust mitbringt, einer solchen Handlung auch folgen zu wollen. Wer bereits mit einem schlechten Gefühl oder ablehnenden Gedanken den Kinosaal betritt, wird höchstwahrscheinlich nicht sonderlich glücklich werden.

Letzten Endes ist das Werk von Vanessa Jopp schließlich ein Liebesfilm, und obwohl es ihr und den Schauspielern gelingt, diesen nicht zu Kitsch verkommen zu lassen, muss bedacht werden, dass sie ebenfalls nicht versuchen, den Umstand durch zu viel Humor, alberne Nebenfiguren oder unabsehbare Wendungen aufzulockern. Stattdessen stehen zwei Menschen im Vordergrund, die lernen, dass die Zukunft sich nicht einmal erahnen lässt.

Die melancholische Ader der Geschichte wird durch sehr ruhige Kameraführung und atmosphärische Bilder eingefangen, die stets mit der passenden, minimalen Musikuntermalung abgerundet werden. Dank dem gedämpften Licht und der teils bedrückenden Prämisse könnte man annehmen, die Ereignisse würden schwer, vielleicht sogar erdrückend wirken. Stattdessen gelingt es Jopp jedoch, durchgehend eine positive, verspielte Seite im Vordergrund wandeln zu lassen.

Statt also auf das Gemüt zu schlagen, hilft „Gut gegen Nordwind“ dabei, das Gefühl des Verliebtseins einzufangen und dem Zuschauer angenehm zu präsentieren. Damit dieser in den guten zwei Stunden nicht dazu neigt, mit den Gedanken woanders hinzudriften oder sogar über ein kleines Schläfchen nachzudenken, sorgen ein geschickter Schnitt und ein immer wieder angezogenes Tempo dafür, dass die Aufmerksamkeit bei den Ereignissen auf der Leinwand bleibt.

Fazit

Der Erzählstil in „Gut gegen Nordwind“ ist geschickt gewählt und sorgt fast durchgehend dafür, dass das Interesse, sofern bereits vor dem Besuch im Kino vorhanden, nicht im Dauertakt flöten geht. Trotzdem gibt es in dem Werk von Vanessa Jopp immer wieder Leerläufe, die nur mit festem Sitzfleisch überbrückt werden können. Die technische Raffinesse, mit welcher der Film umgesetzt wurde, macht es jedoch schwer, den Blick von der Leinwand abzuwenden.

Hinzu kommt das fantastische Schauspiel von Nora Tschirner und Alexander Fehling, die beide in der Lage scheinen, falls nötig, das Werk auch alleine zu stemmen. Im Doppelpack sind sie absolut überzeugend, begeistern durch ein exzellentes Spiel, während „Gut gegen Nordwind“ sich authentisch, modern und sehr ehrlich präsentiert. Sollte dies das Genre eurer Wahl sein, stellt sich die Frage nach dem Kinobesuch gar nicht. Einfach reingehen.

Bewertung: 4/5****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 12.09.2019