Overdrive Filmkritik

  

Der Kuchen mag für viele eine Lüge sein, trotzdem möchte jeder ein Stück davon abbekommen. Das gilt in Hollywood genauso, wie in allen anderen Bereichen der Welt auch; verschiedene Zielgruppen wollen gefüttert werden und in einigen Fällen ist es den großen Schöpfern zu umständlich und vor allem teuer, um speziell für diesen Zweck etwas neues zu backen. Also bekommen alle faustdicke Klumpen von der gleichen, alten, gammeligen Süßigkeit in den Mund geschoben und haben sich dabei gefälligst über die neue Glasur zu freuen, die wenigstens den Schein aufrecht erhält. Wenn der Rachen doch nur Augen hätte ...

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Lieber gut geklaut ...

Teure Maschinen, hübsche Gesichter, trainierte Körper und qualmende Reifen. Dieses Rezept hat schon immer gezündet und in den letzten Tagen ist es modern wie seit langer Zeit nicht mehr. Da will auch das Publikum im Teenageralter dran teilhaben — ob sie wirklich wollen oder nicht -, aber eben mit passenden Identifikationsfiguren. Per se natürlich nichts schlechtes, wenn wenigstens einiges an Feinschliff geleistet wird.

Der Regisseur könnte dem Projekt seine ganz eigene Note aufdrücken. Möglich wäre, dass das Drehbuch sich um eine frische, unverbrauchte Idee schlängelt und nur das Baugerüst von gestern sein lässt. Oder wenn wenigstens die Chemie unter den Darstellern über alle Maße beeindruckend wäre. In Antonio Negrets („DC´s Legends Of Tomorrow“, „Arrow“, „The 100“) Action-Thriller „Overdrive“ ist jedoch nichts davon der Fall. Es ist ein weiterer Trittbrettfahrer, der sich an Erfolge vergangener Filme orientiert und ihre Schritte aufs Podest eins zu eins nachahmt.

Könnte ebenfalls funktionieren, vor allem wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung und eine gehörige Portion Glück Hand in Hand über die grünen Wiesen stolpern ... tut es jedoch nicht. Dafür wäre wenigstens ein Quäntchen handwerkliches Geschick von Seiten der Drehbuchautoren Michael Brandt und Derek Haas von Nöten gewesen oder eben ein eindeutiger, unverwechselbarer Stempel des Regisseurs. Was, wie ihr vielleicht wenig überrascht schon selbst vermutet habt, hier nicht der Fall gewesen ist.

„Overdrive“ klaut nicht wie ein Künstler, sondern klebt lieb- und vollkommen lustlos verschiedene Ideen aus unzähligen Filmen aneinander und sagt mit vor Stolz geschwellter Brust: „Guck mal, Mami, das habe ich verbrochen.“. Kein Werk für die Kühlschranktür, sondern ein purer und unverfälschter Ausflug ins Reich des schnellen Lobs. Anerkennung — oder in diesem Fall Geld -, ohne viel dafür tun zu müssen.

Eine Arbeitseinstellung, welcher auch der Cast gehorsam Folge leistet und den Aufwand auf ein Minimum beschränkt. Nicht unbedingt so, dass man von einer miserablen Leistung sprechen könnte, aber immerhin ohne bemerkenswerte Höhen im Schauspiel und mit einer fürchterlichen Chemie zwischen den verschiedenen Akteuren. Man kann mit einem Namen wie dem von Scott Eastwood („Mavericks“, „Invictus — Unbezwungen“, „Kein Ort ohne Dich“) halt nicht werben, wenn dieser gar nichts für seinen Ruf getan hat und auch nicht liefern kann, was der Zuschauer sich verspricht.

Brumm, quietsch, Totalschaden

Was am Bordstein liegen bleibt ist die Action, welche sich dort jämmerlich von Meilenstein zu Meilenstein schleppt und keinerlei Scharm zeigt, dass diese nicht in ihren Ehren errichtet wurden, sondern nur als billiges Fortbewegungsmittel im schlammigen Erzählfluss dienen. Schön mag es anzusehen sein, könnte der eine oder auch andere argumentieren ... kann ich leider nicht viel gegen sagen, da mir mehrfach die Augen zugefallen sind.

Wenn die Geschichte schon nicht reißt, dann doch bitte wenigstens die Verfolgungsjagden - die actionreichen Sequenzen generell. Gute Ideen zu nehmen und visuell an die Leinwand zu klatschen ist einfach kein geltendes Stilmittel und kann allerhöchstens als Recycling bezeichnet werden, jedoch nicht als eigenes Produkt mit gewissem Alleinstellungsmerkmal. Was nützen mir die schönsten Autos, wenn ich nichts mehr sehen kann, weil ich meinen Kopf so lange gegen etwas Hartes geklatscht habe, bis mein eigenes Blut mir die Sicht verklebte?

Völlig übertriebener Nonsens, den ich hier von mir gebe, ich weiß, aber genau das ist ja leider der Punkt. „Overdrive“ ist einfach nur überdreht, ein Kind auf Zucker, das im Sekundentakt seine Lieblingszitate aus 101 Trickfilmen runterrattert und dabei den Eltern vor dem Gesicht rumhampelt. Aus einem gewissen Winkel mag das ziemlich komisch, vielleicht sogar — in Anbetracht der punktgenauen Formulierung — beeindruckend sein, nichtsdestoweniger ist für so etwas kein Platz im Abendprogramm. Da können sie alle Eltern fragen.

Und am Ende …

So. Nun habe ich mich im geeigneten Umfang ausgekotzt, da wird es Zeit, dem Film wenigstens die Anerkennung zukommen zu lassen, die er irgendwo ja auch verdient hat. Wie das eben beschriebene Kind - ohne wenigstens minimale Lobsprechung gibt es sich beim nächsten Mal überhaupt keine Mühe mehr. Und da noch weniger nichts wäre, klopfen wir den Schöpfern von „Overdrive“ an dieser Stelle doch mal kräftig auf die Schulter.

So gibt es beispielsweise wirklich schöne Landschaftsaufnahmen von Frankreich in diesem Film. Und die meisten Darsteller sind für jegliche sexuelle Orientierung nett anzusehen. Außerdem ist ja nicht alles Pech was schwarz färbt und nicht mehr abgeht. So ist es beispielsweise auch fein, dass Antonio Negrets Thriller so viele Wendungen und — gelinde ausgedrückt — Bullshit vom Stapel lässt, dass sich eine Nutzung des Gehirns einfach nicht mehr lohnt und man in den Sparmodus wechseln kann. Was ja wenigstens eurem Körper etwas an Energie spart. Danke dafür.

Hier und dort gibt es immer wieder Ausnahmen von meiner langen Liste an Gemecker und rein visuell ist dieser cineastische Ausflug ins Motorenland auch nicht zu verachten. Ob das für euch Grund genug ist, einen Film anzuschauen, der mit keinerlei Daseinsberechtigung aufwarten kann, müsst ihr für euch entscheiden. Aber ich „verschwende“ lieber mehrere Stunden mit dem Ansehen aller Filme, bei denen „Overdrive“ sich Ideen geliehen hat, als eben diesem Titel noch einmal eineinhalb Stunden meines Lebens zu schenken.

Fazit

Alles hat ein Ende, nur das von „Overdrive“ lässt elendig lange auf sich warten. Trotz eineinhalb Stunden wirkt das Werk von Negret als würde es wie Teer an einem heißen Sommertag über den Asphalt zerlaufen. Schöne Autos, schöne Körper und schöner Schwachsinn. Alles in allem ein schöner Film. Sarkastisch ausgedrückt. „Overdrive“ klaut in allen Belangen von überall und knipst die einzelnen Teile mit dem rostigen Tacker zusammen. Das entstandene Gebilde ist ein Witz. Aber leider kein Guter.

Kinostart ist am 29.06.2017. Mehr Informationen zum Film gibt es in unserer Filmdatenbank.

Bewertung: 2/5**

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 20.06.2017