„Vaiana“ Filmkritik — Der Zauber geht weiter

  

„Let it go, let it gooo; ich kann das Lied nicht mehr hör´n ...“. Wenn Disneys „Frozen“ zwei Sachen bewiesen hat, dann, dass das schönste Lied der Welt einem tierisch auf den Geist gehen kann, wenn es ununterbrochen, überall und zu jeder Zeit gespielt wird. Und, dass es sich immer lohnt, klassische Originalität mit neuen Elementen und Überraschungen zu versehen. „Vaiana“ geht dieses Jahr noch einen Schritt weiter und biedert sich ausnahmsweise nicht kleinen Mädchen an, die unbedingt Prinzessin werden wollen, wenn sie groß sind. Stattdessen versucht man die Leute mit Wärme ins Kino zu locken. Wärme und schönen Gedanken.

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Sonne, Meer und gute Taten

Die Geschichte des neuen Meisterwerks aus der Schmiede, die Träume wahr werden lässt, verkleidet sich und tarnt sich vor strafenden Blicken. „Vaiana“ sieht auf den ersten Blick wie ein typischer Disneyfilm aus, der jedem Klischee über diese Produktionsfirma gerecht werden möchte. Wir bekommen die verträumte Tochter eines Stammesoberhaupts — im Original gesprochen von Auli'i Cravalho -, die ihren Wünschen und Hoffnungen hinterherjagt. Den strengen, aber liebenden Vater, der seinem Nachwuchs immer wieder die Pflichten ihrer Zukunft ins Gedächtnis ruft. Eine schlichtende und verständnisvolle Mutter und natürlich die leicht verrückte aber ungemein liebenswerte Großmama, die ihr Enkelchen ermutigt, nach den Sternen zu greifen.

Und vergessen wir nicht das putzige Haustier der Protagonistin. Ist das Schweinchen nicht süß? Das Setting mag abermals in neue Regionen vorgestoßen sein, der Anstrich wirkt aber nur allzu bekannt. Vorerst. Denn bereits nach wenigen Momenten spielt Disney gekonnt mit den Erwartungen der Zuschauer und mit seinem eigenen Ruf. Selbstironisch hält sich der Konzern den Spiegel vor das Gesicht und hinterfragt die eigene Herangehensweise. Der Film öffnet sich, wirkt plötzlich leicht und fröhlich. Das typische Märchen wandelt sich zu einer unterhaltsamen Heldenreise, die an die berühmte Odyssee erinnert.

Statt auf viele Figuren zu setzen, bleibt der Fokus quasi auf zwei Charakteren hängen. Der titelgebenden Hauptfigur und dem Halbgott Maui, dessen deutsche Stimme ihm von Andreas Bourani geliehen wird. Die beiden erleben die Abenteuer gemeinsam und Szenen des Films sind Stationen ihrer Reise. So kitschig die Handlung teilweise auch wird und so viel Schmalz auch auf das Brot gestrichen wird; unterm Strich ist „Vaiana“ erwachsener und frecher als fast alle seine Vorgänger.

Musik liegt in der Luft

Man kann sich über meine Einschätzung der Lage streiten, nichtsdestotrotz bin ich der Überzeugung, dass die Musik in diesem Disney-Meisterwerk ebenfalls einen gewagten Schritt unternommen hat. Der aber zu einem positiven Ergebnis führte. Die glasklaren Stimmen, für die man die Traumschmiede kennt, sind nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Stattdessen konzentrieren sich die Stücke mehr darauf, die Gefühle der Sänger/-innen einzuflechten und stärker zum Vorschein kommen zu lassen.

In Zeiten höchster Trauer darf die eigene Stimme auch schon mal brüchig werden. Von Freude überschwemmt kann man sich gegebenenfalls der Ekstase — auch gesanglich — hingeben. Der Punkt ist, die Lieder haben in „Vaiana“ ein gewisses Etwas. Nicht, weil sie sich in den Kopf bohren und für immer dort einnisten, bis einem das Lied aus den Ohren wieder heraus quillt, sondern weil sie Emotionen vermitteln.

Das ist der Grundtenor des gesamten Films. Ja, es wurde immer und immer wieder zu dick aufgetragen. Aber das Ziel wurde trotzdem erreicht. Wer solchen Geschichten gegenüber aufgeschlossen ist, wird mit einem guten Gefühl nach Hause geschickt. Eine großartige Leistung, bedenkt man, dass dieses Meisterwerk erstaunlich mutige Wege geht. So ganz einordnen lässt sich „Vaiana“ daher nicht, doch könnte man ihn als „Hercules“ gemischt mit „Merida“ bezeichnen. Diese Umschreibung wird dem Film aber nur spärlich gerecht. Er ist etwas Eigenes und steht auf ebensolchen Füßen.

Um überhaupt mit der Brechstange ansetzen zu können, sei der Blick kurz auf einige Makel gerichtet, die die schöne Leistung etwas in Mitleidenschaft ziehen. Da wären zum einen die schwer nachzuvollziehenden Handlungen einiger Figuren. Und zum anderen das äußerst schwachbrüstige Ende. Da hört die negative Kritik aber auch schon auf. Animationsstil, Geschichte und Umsetzung sind Dinge, über die sich streiten lassen. Doch ich bin mir sicher, dass jeder in der Lage ist, dem Text zu entnehmen, ob „Vaiana“ etwas für ihn oder sie ist — oder eben nicht.

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Fazit

Dieses Disney-Meisterwerk geht neue Wege, präsentiert sich dabei jedoch schüchtern im altbekannten Gewandt. Nach einigen Minuten der Einleitung öffnet sich der Film und zeigt eine völlig andere Seite der Traumschmiede, die Hand in Hand mit der klassischen Originalität vergangener Tage voran schreitet. „Vaiana“ ist ein etwas erwachsenerer Film, der ironisch mit dem Ruf von Disney spielt und sich an alle richtet, die mit einem guten Gefühl nach Hause gehen wollen und weniger an kleine Mädchen, die davon träumen, Prinzessin zu sein, wenn sie groß sind.

Das äußerst schwache Ende, der dicke Schmalz, der großzügig auf das Brot geschmiert wird und die verwirrenden Handlungsentscheidungen einiger Figuren mildern den Spaß zwar ein wenig, sind aber nur Faktoren, die das ältere Semester stören dürften. Die haben jedoch deutlich mehr Spaß mit diesem Machwerk als mit seinen Vorgängern, da die angesprochene Zielgruppe einen guten Deut älter ausfällt als in „Frozen“ oder „Der Froschkönig“. Definitiv ein mutiger Film, der sich gleichzeitig nur im Detail vom einstigen Konzept entfernt.

Vaiana ist ab dem 22.12.2016 in den deutschen Kinos zu sehen.

Bewertung: 4/5