„Vor uns das Meer“ Filmkritik

  

Die Geschichte des britischen Geschäftsmanns Donald Crowhurst (1932 — 1969) ist in hiesigen Gefilden, vor allem aber auch in der heutigen Zeit, kaum jemandem bekannt. Ein Umstand, den sich Regisseur James Marsh („Shadow Dancer“, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“, The Night Of“) zu Nutze macht. Mit „Vor uns das Meer“ kann dieser sich direkt an einer Geschichte aus dem Leben bedienen, ohne dass die Erzählung an Spannung verliert.

VorUnsDasMeer

Hinter uns die Schulden — Die Geschichte

Geschäftsmann und Hobbysportler Donald Crowhurst - verkörpert durch „The King´s Speech“-Star Colin Firth („Kingsman“, „A Single Man“, „Tatsächlich… Liebe“) - hat ein kleines bis mittelschweres Problem: seine eigene Firma steht finanziell ziemlich schlecht dar und in absehbarer Zeit wird sich das wohl auch nicht ändern. Doch ein echter Geschäftsmann findet immer eine Geldquelle. Das Sunday Times Golden Globe Race soll die Rettung sein.

Die damals mehr als stattliche Summe von 5.000 Pfund gebührten demjenigen, der die Solo-Segelregatta einmal um die Welt gewinnt. Um sich mit den Profis messen zu können, lässt sich Crowhurst extra ein Segelboot bauen, welches ihm ermöglicht, auch mit wenig Know-how wettbewerbstauglich zu bleiben. Was ihm sonst noch an Hochseeerfahrung fehlt, will er einfach während der Regatta verinnerlichen.

Doch bereits kurz nach Start mit dem unfertigen Prototyp von einem Boot hat der Sportliebhaber immense Probleme; die Tücken der offenen See völlig unterschätzt. Seine Sponsoren und die Medien machen beständig Druck, ein Zurück scheint keine Option zu sein. Die Frage, die sich dem Publikum sehr schnell stellt, ist, ob es der Protagonist überhaupt heil zu seiner Frau und den gemeinsamen Kindern zurück schafft.

Das große Meer — Der Aufbau

Dadurch, dass nur wenigen Besuchern die Hintergründe zu dieser Geschichte bekannt sein dürften, erlaubt es sich Regisseur Marsh, storyrelevante Einzelheiten erst nach und nach ans Licht zu bringen. Geschickt webt er diese Informationen in die Geschichte mit ein und spielt so beständig mit den Erwartungen des Zuschauers. Einige optimal platzierte Kernmomente untermalen den schleichenden Erzählstil, ohne ihm Spannung oder gar Interesse am Ausgang zu rauben.

Ähnlich verhält es sich mit der Hauptfigur selbst, welche in den ersten Filmminuten als typischer Familienmensch präsentiert wird; mit dem Herz am rechten Fleck und dem Wunsch, sein Leben wieder auf seichte Gewässer der Sicherheit zurück zu führen. Doch dieses Image bröckelt schon bald, lässt tiefe Abgründe in seiner Persönlichkeit vermuten. Diese Wandlung, die eigentlich nur stärker werdende Einsicht ist, verschmilzt mit dem Grundaufbau des Films zu einer spannenden Mixtur.

Dabei ist Crowhurst trotzdem bis zur letzten Minute der Durchschnittsbürger. Er hat keine besonderen Fähigkeiten, ist kein ehemaliger Kriegsheld oder anderweitig dafür qualifiziert, mehr zu erreichen als der normale Durchschnittsmensch. Nichtsdestoweniger wächst er mit der Situation, passt sich an und gewährt so einen gelungen Blick hinter die Maske, die wir für Alltagstauglich halten, wird nach und nach zu einem Odysseus mit dem wir uns identifizieren können.

Ihn bei seinem Unterfangen zu begleiten stellt die Hälfte des Films dar und ist ohne übertreiben zu wollen der stärkere Teil des Films. Die andere Seite zeigt uns die bangende Familie und wie diese mit der Situation umgeht. Dies geschieht nicht unspannend, geschweige denn schlecht erzählt, doch verblasst das Gesehene neben den grandiosen Einstellungen, sowie dem stetigen, stark präsentierten Wandel der Hauptfigur.

Unerwartet zeigt sich „Vor uns das Meer“ mit jeder fortschreitenden Minute als tiefgründiger Film, der beweist, dass sich Drehbuchautor und Regisseur ernsthafte Gedanken über die Welt und das menschliche Sein gemacht haben. Das schafft manch anderes Drama zwar gelegentlich auch, doch selten ist ein Vertreter dabei, dem es im selben Atemzug gelingt, diese auch verständlich und das Gesehene untermalend einzubinden.

The King´s Man — Die Schauspieler

Ein Werk wie „Vor uns das Meer“ steht und fällt mit seinem Hauptdarsteller. Drehbuch und Regiearbeit können noch so gut, noch so ausgefeilt sein, verträgt sich der Star nicht mit seiner Rolle oder schafft es nur bedingt, diese detailreich zu präsentieren, geht das Werk unter wie ein Amateur-Segler auf dem hohen Meer. In diesem Fall hing alles von Colin Firth ab, der in diesem Werk gleich mehrere große Hürden bewältigen musste.

Doch diesen unwichtigen Details zum Trotz, hat Firth den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen, präsentiert den Donald Crowhurst so vielschichtig spannend, wie die klugen Köpfe hinter diesem Film sich das gedacht haben dürften. Dank seinem Gespür dafür, wann welche minimale Mimik, welche unwichtig scheinende Geste zur Geltung kommen muss, trägt er die Hälfte des Films auf eigenen Schultern. Und das, ohne zu wanken oder gar einzubrechen.

Abseits dieser Leistung verdient es lediglich noch Rachel Weisz („Enemy at the Gates“, „In meinem Himmel“, „Das Urteil“), welche die Ehefrau von Crowhurst spielt, extra erwähnt zu werden. Sie ist ihrer Rolle ähnlich gewachsen, verkörpert diese beinahe auf gleichem Niveau. Nur leider ist ihre Figur nicht annähernd so gut ausgearbeitet, weswegen sie die andere Hälfte des Films nur mit Hilfe der restlichen Nebendarsteller stemmen kann.

Dies gelingt letztendlich zwar gut, zeigt in diesem starken Kontrast jedoch auch, wie viel Luft zwischen ihr und den anderen Darstellern vorhanden ist. Nicht, dass einer der Anwesenden minderwertig geschauspielert hätte. Es ist einfach so, dass diese Charaktere sowie ihre Darstellung nur wenig Mehrwert zu dem Werk beizutragen haben, entsprechend negativ auffallen. Vor allen Dingen dann, wenn sich die Lage auf dem Meer zuspitzt, wir jedoch mit tertiär wichtigen Figuren belastet werden.

Fazit

Das Drama „Vor uns das Meer“ brilliert durch eine gut ausgearbeitete Geschichte, welche zudem hervorragend erzählt wird. Colin Firth verkörpert die Hauptfigur makellos, macht es dem Zuschauer einfach, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren. Abseits der Szenen auf dem Meer bewegt sich der Film von James Marsh auf einem hohem Niveau, jedoch mit einigen Schwächen in der Charakterausarbeitung von manch einer handlungstragenden Figur. Dies fällt zum Glück nicht schwer ins Gewicht, mindert das Kinoerlebnis jedoch ein klein wenig.

Bewertung: 4/5****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 22.03.2018