Vom Schuhkarton zur Lasershow- Entwicklung der Kinolandschaft

Wie hat sich die Kinolandschaft in Deutschland entwickelt? Wie viele Kinos gibt es? Wie viele Sitzplätze? Verdrängen Multiplexe kleinere Innenstadtkinos? War in den 80ern alles besser? Wir haben uns für euch durch die aktuellen Zahlen gewühlt und ein paar interessante und wissenswerte Dinge herausgefunden.

In den 80er Jahren sah Kino für viele so aus wie für mich: Man geht in die Innenstadt eines Ruhrgebietsstadtteils, schleicht in den Vorraum des Hauseingang eines alten, anmutig wirkenden Hauses, betrachtet die Kinoplakate, die rechts und links an den Wänden in Glasvitrinen gesteckt wurden und kauft in einem winzigen, eingelassenen Kabuff am Ende des Gangs bei einer alten Dame eine Kinokarte für 6 Mark. Diese wurde von einem großen Papierkartenband abgerissen und in die Hand gegeben. Damit konnte man wenige Minuten später das Kino durch den Hauseingang betreten. Das Ticket wurde dann durch dieselbe Dame entwertet (genauer gesagt: in der Mitte durchgerissen). Popcorn gab es aus einer mobilen, mannshohen Maschine auf Rädern, in der man durch eine Glasscheibe das Popcorn bereits sehen und riechen konnte. Dann ging es ins pompöse Kino: Rote, schwere Samtvorhänge verhüllten die Leinwand und ließen die Vorfreude steigen. Auch die Kinositze waren mit rotem, zum Teil schon fleckigem und schorfigem Samt überzogen und mit Kaugummi unter den Sitzen gespickt. Zudem waren die einzelnen Sessel miteinander verhakt, so dass eine Bewegung des Kinobesuchers am äußersten anderen Ende der Reihe noch sehr gut spürbar war. Auf dem Parket waren die Sitze alle auf einer Ebene diagonal verschoben angeordnet, was für Kinder bedeutete, dass sie Glück brauchten, damit niemand vor einem Platz nahm, dessen Kopf die Leinwand verbarg. Wenige Logenplätze gab es auf einem riesigen Balkon, der dann aber zu weit weg von der Leinwand war. Zumindest im großen Saal. Es gab noch weitere, weitaus kleinere Säle, in denen die Leinwand so groß war, wie der Fernseher, der jetzt in meinem Wohnzimmer steht. Das war Kinovergnügen im heimeligen Schuhkarton. Naja. Soweit meine Erinnerungen an die Lichtburg in Herne. Alles in allem nicht schön, aber urig. Als das Kino geschlossen wurde, durfte man sich als Erinnerung an viele schöne Stunden immerhin einen der schönen roten schorfigen Sitze mitnehmen.

1991 die Revolution: Die Eröffnung der UCI Kinowelt im Ruhrpark. Da gab es plötzlich nicht nur viel größere sondern vor allen Dingen auch viel mehr Kinosäle. Ganze 14 Stück mit mehr als 3.000 Kinositzen. Unvorstellbar. Außerdem gab es Nachos mit Käsesoße, die 1991 noch nicht an jedem der Sitze im UCI klebten. Das zog uns in die Nachbarstadt Bochum und war dann sicherlich auch ein Grund für die Schließung des kleinen Kinos in einem Ruhrgebietsstadtteil, nämlich die Lichtburg in Herne, im Jahr 1999. Aber das nur am Rande…

Wie bei uns im Ruhrgebiet, hat sich die Kinolandschaft in ganz Deutschland im Laufe der letzten Dekaden verändert. Gefühlt wurden viele Kinos geschlossen und an anderer Stelle riesige neue eröffnet. Sehr beeindruckend auch der Zoo Palast in Berlin, der Besucher des großen Kinosaals immer mit einer Laserlichtshow lockte. Für Schuhkartonkinobesucher ein absolutes Highlight!

Wir versuchen, die Entwicklung der Kinolandschaft an dieser Stelle etwas zu beleuchten:

abbildung 1-v2

Zählte man vor 20 Jahren noch 3630 ortsfeste Leinwände in Deutschland, waren es zehn Jahre später 4712. Bis 2010 fiel die Anzahl der Leinwände wieder leicht auf 4550.* Tatsächlich haben Daten der Filmförderungsanstalt Berlin ergeben, dass es in den vergangenen Jahren mehr Kinosaalschließungen als Eröffnungen gab.**

abbildung 2

Wurden 2007 noch 118 Kinosäle neu bzw. wiedereröffnet, sind doch ganze 134 Kinosäle geschlossen worden. Damit hat sich der Kinosaalbestand um 16 Kinos deutschlandweit verringert. Im Jahr 2009 betrug die Differenz zwischen Neueröffnung und Schließung sogar 76 und im vergangenen Jahr hat sich der Bestand an Kinosälen um 59 verringert.** Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob eine bestimmte Kinoart von der Bestandsabnahme in besonderem Maße betroffen ist, die Multiplexe andere Kinoarten sogar verdrängen. Die nachfolgende Abbildung zeigt den Anteil an Multiplexen und herkömmlichen Kinoarten an allen Kinos in Deutschland. Zu Multiplexen zählen „Kinos mit wenigstens 8 Leinwänden bzw. wenigstens 1.500 Sitzplätzen, auch bei nur 7 Sälen.“*** Zu den herkömmlichen Kinos zählen dann unter anderem sowohl die kleineren Innenstadtkinos, die Programmkinos als auch Sonderformen wie Auto- und Open- Air- Kinos. 

abbildung 3

Die Grafik macht deutlich, dass der Anteil der Multiplexe an allen Kinos in Deutschland sich in den letzten zehn Jahren um wenige Prozentpunkte erhöht hat. Lag der Anteil im Jahr 2001 noch bei 26,1%, waren es 2011 28%. In ganzen Zahlen bedeutet das einen Anstieg von 1250 auf 1297 Multiplexen in Deutschland. Und damit fahren sie mehr als 50% der Umsätze deutscher Kinos ein. ****

Deutlich ist wohl, dass man weit davon entfernt ist, von Verdrängung durch die Multiplexe in der deutschen Kinolandschaft zu sprechen, da der Anteil dieser großen Kinos in den letzten zehn Jahren um lediglich zwei Prozentpunkte gestiegen ist. Der Zoo Palast in Berlin samt Lasershow ist übrigens Ende 2010 geschlossen worden. Zudem sind Filmtheater ein Stück Kultur, die nicht durch Quantität sondern Qualität bestechen und der ausgewählte Film im kleinen, feinen Programmkinos einen gänzlich anderen Charme erzeugt als der neue Hollywoodblockbuster im riesigen Multiplex. 

Quellen:

*Filmförderungsanstalt, Berlin / Kulturstatistik des Statistischen Bundesamts, Wiesbaden 2012 . Stand: 09.05.2012

**Filmförderungsanstalt Berlin: Kinosaalbestand 2007 bis 2011, www.ffa.de, Stand: 07. Mai 2012.

***AG Kino Gilde deutscher Filmkunsttheater e.V.: Wie gründe ich ein Kino?Ein Leitfaden. S.17. http://www.ffa.de/downloads/publikationen/Kinoleitfaden.pdf, Stand: 07. Mai 2011.

****Filmförderungsanstalt Berlin: Kinojahr 2001-2011 in absoluten und prozentualen Zahlen, www.ffa.de, Stand: 07. Mai 2012.

Redaktion: Mel