Be Natural – Sie inszenierte mehr als 1.000 Filme

  

von Peter Osteried | 11.03.2021

Der Dokumentarfilm „Be Natural – Sei Du selbst“ über Alice Guy-Blaché, eine Pionierin des Kinos, ist ab dem 6. Mai im Kino zu sehen.

be1

Alice Guy-Blaché ist weitestgehend vergessen, dabei ist ihr knapp 20 Jahre umspannendes Werk mit mehr als 1.000 Filmen, die sie geschrieben, inszeniert und produziert hat, umfangreicher als das der Brüder Lumiere, Thomas Edison und Georges Melies. Dass sie lange Zeit dennoch niemandem ein Begriff war, lag zum einen daran, dass ihr Werk kaum noch zugänglich war, zum anderen, dass die Geschichte von Männern geschrieben wird.

Be Natural – Zur Handlung

Alice Guy-Blaché arbeitete als Sekretärin für Gaumont und erhielt 1896 die Chance, ihren ersten eigenen Film zu drehen. Weil Leon Gaumont der Meinung war, dass dies eine Profession für junge Menschen ist. Sie wurde zum wichtigen Bestandteil von Gaumont, aus deren offizieller Historie später aber fast völlig getilgt.

Die Regisseurin ging in die USA, hatte dort sogar ihr eigenes Studio und drehte zudem wohl den ersten Film, in dem nur People of Color die Hauptrolle spielten. Aber nach einer Karriere, die knapp 20 Jahre umfasste, verschwand sie aus dem Fokus. Sie ging wieder nach Frankreich, fand als Regisseurin aber nirgends Arbeit. Obwohl Regisseure wie Sergei Eisenstein oder Alfred Hitchcock sich auf ihr Werk als Inspiration beriefen, war sie lange Zeit weitestgehend vergessen. BE NATURAL – SEI DU SELBST ist das Ergebnis einer achtjährigen Arbeit, die versucht, Film-Historie geradezustellen und die Geschichte einer Pionierin zu erzählen.

be2

Be Natural – Eine Kritik

Acht Jahre recherchierte Pamela B. Green für ihre Dokumentation, um die wahre Geschichte von Alice Guy-Blaché nicht nur selbst entdecken, sondern auch erzählen zu können. Sie sprach dabei auch mit vielen Filmemachern und Filmemacherinnen, die oftmals nie von Guy-Blaché gehört hatten. Bei ihrer Suche entdeckte sie aber auch seltenes Audio- und Bildmaterial, in dem Guy-Blaché selbst zu Wort kommt und ihre eigene Geschichte in Kontext setzen kann.

Beeindruckend ist an diesem frühen Blick in die Filmgeschichte, als noch hauptsächlich in New York, später in Fort Lee in New Jersey, gearbeitet wurde, auch der Umstand, wie umtriebig die Macher in diesem neuen Medium noch waren – und in den frühen Jahren gerne jeder bei jedem klaute. Sei es, indem ein Film einfach nachgedreht wurde oder man gleich Drehbücher stahl. Doch das ist nur ein Nebenaspekt dieses Films, dessen erzählerischer Kommentar von Jodie Foster (in der deutschen Fassung ihre Synchronstimme Hansi Jochmann) gesprochen wird.

Es geht ebenso sehr darum, wie Frauen in diesen wilden Jahren nicht nur vor der Kamera, sondern auch als Autorinnen und Regisseurinnen Erfolg haben konnten, und dennoch nach dem Ende ihrer Karriere so weit marginalisiert wurden, dass ihre Namen heute kaum noch bekannt sind.

Faszinierend ist die Schnitzeljagd, auf die sich Pamela B. Green gegeben hat. Sie hat Nachkommen von Guy-Blanché, aber auch eines Kameramanns, mit dem sie gearbeitet hat, aufgespürt, und auch Licht in das Leben der Künstlerin gebracht, als diese nicht mehr hinter einer Kamera stand.

Es werden auch Ausschnitte aus einigen ihrer Filme gezeigt, die Lust auf mehr machen. Aber sie außerhalb von Filmarchiven zu sehen, ist praktisch unmöglich. Zu Lebzeiten konnte Guy-Blanché nur zwei ihrer Filme wieder auftreiben – nach Schätzungen hat sie über tausend geschrieben und/oder inszeniert. Da sie nicht verfügbar waren, fehlte Historikern vergangener Zeit auch die Möglichkeit, ihr Werk wirklich zu bewerten und einzuordnen, wie wichtig die Französin für die Geburt des modernen Kinos war.

Fazit

Während Schauspieler zu Stummfilmzeiten vor allem posierten und übertrieben, war Guy-Blanchés Ansatz ein anderer: „Be Natural – seid natürlich.“ Pamela B. Greens Film über die Pionierin des Kinos ist ein wichtiger Beitrag zur Filmgeschichte, weil er mit einer Frau bekannt macht, die zu lange vergessen war – und das nicht ihres Werkes wegen, sondern weil ihr Anteil an der Historie des Kinos marginalisiert und getilgt wurde. Filmgeschichte muss neu geschrieben und neu entdeckt werden, zumal Guy-Blanché nicht die einzige Regisseurin, wohl aber die erste war.

Bewertung: 5/5*****

be3

Bildmaterial: (c) Filmperlen