"Der Fall Collini" Filmkritik - Elyas M`Barek kann auch Drama

Marco Kreuzpainter, der Regisseur von "Krabat (2008)", "Coming In" und "Beat", nimmt sich des Romans "Der Fall Collini" an und macht aus dem Buch von Ferdinand von Schirach ("Verbrechen", "Schuld", "Tabu") ein packendes Drama mit, dem Original entsprechendem, anklagenden Unterton. Genau wie in der Vorlage steht dabei ein deutsches Gesetz im Vordergrund, das in der Vergangenheit für allerlei Empörung und Verständnislosigkeit gesorgt hat. Einige Abänderungen im Detail wirken sich mal positiv, mal negativ auf das Ergebnis aus.

Wer das Buch bereits kennt, wird in der cineastischen Umsetzung nur wenig Neues entdecken, dafür jedoch an manch anderer Stelle für seinen Besuch im Kino entlohnt. Entgegen der allgemeinen Annahme, deutsche Filmproduktionen könnten niemals mit US-amerikanischen Produktionen mithalten, zeigt sich "Der Fall Collini" nämlich als hochwertiger Film, mit erstklassiger schauspielerischer Leistung von Seiten der Hauptfiguren. Doch vor allen Dingen die Tiefe in der Ausarbeitung des Stoffs kann vielerseits überzeugen.

Die richtigen Fragen

Hans Meyer (Manfred Zapatka), ein in Deutschland hoch angesehener Industrieller, wird in seiner Hotelsuite von dem Gastarbeiter Fabrizio Collini ermordet. Auf den ersten und auch zweiten Blick scheint es keinen Grund für die Tat zu geben und der Täter schweigt sich zu den Beweggründen aus. Ein Fall, der bereits im Vorfeld entschieden sein dürfte und den selbst ein erfahrener Jurist kaum gewinnen könnte. Collinis Anwalt hat jedoch gerade erst die Zulassung erhalten ...

Casper Leinen, verkörpert von Elyas M`Barek ("Fack ju Göhte", "Who Am I", "Der Medicus"), wird als Pflichtverteidiger bestellt und ist mit dem Fall hoffnungslos überfordert. Sein Mandant will nicht mit ihm sprechen, und obwohl er sich für befangen hält, weil Meyer in Caspers Kindheit beinahe wie ein Ziehvater für ihn war, lassen Oberstaatsanwalt Reimers (Rainer Bock) und Strafverteidiger Mattinger (Heiner Lauterbach) seinen Rücktritt nicht zu. Zusätzlich zeigt sich Jugendliebe Johanna (Alexandra Maria Lara), die Enkelin des Opfers, verständnislos dafür, dass Leinen den Mörder ihres Großvaters verteidigt.

Der Umschwung in dem Fall kommt erst, als Casper beginnt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen und in der Vergangenheit von Meyer nach Antworten zu suchen. Dies führt zu einer spektakulären Wendung, die Irrtümer der deutschen Justiz aufdeckt und ein neues Licht auf Täter sowie Opfer wirft.

FallCollini

Buch und Film

"Der Fall Collini" ist einer dieser Filme, die eine gehörige Portion Zeit benötigen, um endlich in Gang zu kommen. Gerade die erste halbe Stunde des Werks zieht sich scheinbar endlos in die Länge, konfrontiert den geneigten Zuschauer mit allerlei Fragen, macht jedoch zeitgleich keine Anstalten, auch nur eine davon zu beantworten. Die Figuren wirken etwas verloren, vor allen Dingen M`Barek, der zwar charismatisch schauspielert und dem Drama des Films gewachsen ist, anfangs aber kaum Möglichkeiten hat, dies auch zu zeigen.

Wer jedoch am Ball bleibt und dem Streifen von Kreuzpainter die Chance gibt, sich zu entfalten, soll dafür entsprechend belohnt werden. Mit Fortlauf der Geschichte wird diese immer spannender und passend in Szene gesetzt. Untermalt von erstklassiger schauspielerischer Leistung beinahe aller Beteiligten und einem emotionalen Unterton, welcher der Buchvorlage gefehlt hat, entsteht ein packendes Drama, welches zum Denken und Mitfühlen anregt, beziehungsweise anregen kann.

Im Vergleich zu der Vorlage wurden einige Handlungsstränge entschlackt und eine der vier Zeitebenen des Originals entfällt komplett. Im Fall dieses Films war das jedoch die richtige Entscheidung, gibt es dem Werk doch die Chance, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Außerdem wurde so vermieden, dass die komplexe Geschichte sich unnötig in die Länge und die Langatmigkeit des zähflüssigen Anfangs sich durch das gesamte Projekt zieht.

Was Neuerungen angeht, stellt sich lediglich die Frage, warum die Hintergrundgeschichte des Protagonisten abgeändert wurde, welcher im Buch noch aus elitären Kreisen kommt. In der Filmversion handelt es sich bei Casper Leinen um einen Halbtürken, der sich für seine Herkunft hin und wieder zu rechtfertigen hat. Dies mag an sich eine clever erscheinende Idee gewesen sein, die Anspielungen in "Der Fall Collini" wirken jedoch eher übertrieben gewollt als wirklich durchdacht.

Hier ist es Elyas M`Barek, der diesen Umstand, diesen Fehlgriff in der Ausarbeitung, gekonnt ausgleicht. Er überzeugt in der Rolle des jungen Anwalts auf vielen Ebenen und schafft es mit einer erstaunlichen Leichtigkeit, das Publikum für sich zu gewinnen.

Das gilt übrigens für weitgehend alle beteiligten Akteure. Neben M`Barek aber vor allen Dingen für Franco Nero, der den Fabrizio Collini verkörpert. Seine ruhige, verhaltene Art birgt eine beunruhigende Kraft im Schauspiel, die der Kinogänger beinahe spüren kann. Alexandra Maria Lara ("Rush - Alles für den Sieg", "Der Untergang", "Control") als Johanna wird jedoch in einer überwiegend irrelevanten Nebenrolle verheizt.

Düster, packend, emotional

Kreuzpainters Werk untermalt in den richtigen Momenten die Handlung mit einem feinen Gespür für Dramaturgie und technischer Raffinesse. Nicht nur sieht der Film überraschend gut aus und überzeugt durch gelungene Kameraarbeit und einem wirklich cleveren Schnitt, sondern ebenfalls dank der Wechselwirkung aus subtilen Aussagen und den dazu passenden Bildern.

Es wird darauf verzichtet, jede Anspielung ins Gesicht des Zuschauers zu drücken; stattdessen sorgen die Schöpfer dieses Films dafür, dass das Gesehene und das, was gesagt werden soll/will, Hand in Hand über die Leinwand spazieren. Wer aufmerksam ist, wird viele versteckte Bemerkungen und Aussagen entdecken. Wer sich jedoch lediglich von der Geschichte treiben lässt, wird unterschwellig trotzdem mit allerlei Andeutungen konfrontiert.

Um dem Ganzen noch die sprichwörtliche Krone aufzusetzen, zeigen die Filmmacher in "Der Fall Collini" ein gutes Gespür für den richtigen Einsatz der passenden Musikuntermalung. Zwar übertreiben sie es an einer Stelle ein wenig und erwecken den Anschein, auf Gedeih und Verderb die entsprechenden Gefühlsregungen bei den Zuschauern auslösen zu wollen, doch unterm Strich arbeiten Bild und Ton überaus gut miteinander zusammen.

Fazit

Der Fall Collini benötigt etwas Zeit, um sich zu entfalten und Interesse beim Zuschauer zu wecken, doch ist dies erst einmal passiert, fällt es schwer, sich dem Gezeigten zu entziehen. Das Werk überzeugt durch atmosphärische Bilder, einem überragenden Elyas M`Barek und einer spannenden, emotional packend erzählten Geschichte.

Bewertung: 4/5****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 17.04.2019