Die Insel der besonderen Kinder Filmkritik — Auf jeden Fall besonders

  

Tim Burton war einst der Querschläger unter all denn Wetteiferern auf dem Feld. Ein grau-schwarzer Pfau auf einer Wiese voll bunt geschmücktem Federvieh. Doch in den letzten Jahren wurden seine melodischen Welten klanglos und seine Inspiration schien flöten gegangen zu sein. Was er brauchte war vielleicht nur die richtige Vorlage. Eine besondere Masse, mit der er arbeiten kann und die sich seinen Vorstellungen hingibt. Mit Ramson Riggs Roman "Die Insel der besonderen Kinder" hat er genau das bekommen und man sieht, wie der Funke in seinem Geist erneut entfacht wurde.

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Bild oben: Szene aus "Die Insel der besonderen Kinder" (06. Oktober 2016 im Kino)

Unfertige X-Men?

Die Geschichte handelt von dem Teenager Jake (Asa Butterfield), der gerade davon Zeuge wurde, wie sein geliebter, aber etwas schrulliger Großvater (Terence Stamp), von einem Monster getötet wird. Er nimmt sich seinen letzten Wunsch zu Herzen und sucht auf einer abgelegenen Insel nach einem Waisenhaus, in welchem angeblich Kinder leben, die über ganz besondere Kräfte verfügen. Der Titel des Films würde sich selbst nicht gerecht werden, wenn er nicht auch tatsächlich fündig würde. Und so befindet er sich schon bald auf einer Reise in die Vergangenheit seines Großvater und im Kampf gegen finstere Mächte … und natürlich auf der Suche nach der ersten großen Liebe.

Was auf den ersten Blick wie eine Marvel-Verfilmung für junge Erwachsene wirkt, ist in Wirklichkeit ein Märchen aus dem Finsterwald. Die Zielgruppe sind Jungs und Mädels, die zu jung für echten Horror sind, aber bei den Monstern in "Harry Potter" und Co. staunende Augen machen, statt diese ängstlich hinter den Händen zu verstecken. Was hier geboten wird ist fantastisch, im eigentlichen Sinne des Wortes und düster zugleich. Keine Frage, dass Erwachsene genauso ihren Spaß damit haben können, aber sie sind nur Begleiter, auf einer abenteuerlichen Reise für Kinder.

So haben die Kräfte der Begabten auch wenig mit den Superhelden unserer Zeit zu tun, so nahe die Vermutung vielleicht liegen mag. Ähnlich sind ihre Talente in der Tat, doch sie werden mit einem Gespür für Magie und der Vorstellungskraft von jungen Geistern gemalt. Ihre Welt, die Figuren und deren Fähigkeiten sind ein farbenfroher Ausflug in die Fantasie und haben mit dem üblichen Rambazamba der "X-Men" wenig zu tun. Damit schwimmt "Die Insel der besonderen Kinder" (Kinostart am 06.10.2016) eher im Gewässer von "Die unendliche Geschichte" oder "Die Reise ins Labyrinth", jedoch mit einem schauerhaften Unterton, der selbst "Edward mit den Scherenhänden" blass und harmlos erscheinen lässt. Zumindest, wenn man noch zwölf ist.

Beim zweiten Stern links …

Was Burton hier präsentiert ist wahrlich wunderbar und visuell erfrischend. Gerade weil der kultige Regisseur sein früheres Talent wiederentdeckt hat und sich darauf besinnt, fantasievolle Welten zu zeichnen. Doch gleichzeitig ist es kein besonders guter Film. Paradox? Mitnichten. Zwar gelingt es ihm, Kinder auf eine Entdeckungstour in bezaubernde Welten mitzunehmen, doch vergisst er dabei scheinbar, auf die wirklich wichtigen Details zu achten. Wo das junge Gemüse keine Fragen stellt und mit einem Glitzern in den Pupillen nach den Sternen greift, kratzt sich der nörgelnde Kritiker am Kopf.

Zu viele Fragen, die mit einem Nebensatz Geschichte gewesen wären, bleiben bis zum Ende offen. Als Stilmittel funktionieren sie beinahe makellos, doch ihre eigene Existenzberechtigung überschreitet diesen Punkt nur selten. Sobald man sich ein/zwei Gedanken zu einer bestimmten Szene macht, wirft sie mehr Fragen auf, als dass sie diese beantworten könnte. Ich muss zugeben, dass diese Negativkritik dem Großen und Ganzen nicht sonderlich schadet, jedoch im Detail für Risse in der sauberen Fassade sorgt.

Gleichzeitig bin ich mir unschlüssig, ob die hinkende Tricktechnik, die sich immer wieder in das Gezeigte einschleicht, versehentlich im starken Kontrast zu den sonst gelungen CGI-Effekten steht oder absichtlich so umgesetzt wurde. Man kann vielleicht darüber streiten, gut einfügen tut sie sich jedoch so oder so nicht. Solche Fehler — beabsichtigt oder nicht — kommen zwar recht selten vor, mindern aber den Gesamteindruck. Erneut ist jedoch das Märchen im Gesamten davon relativ unangetastet.

Noch ein bisschen meckern

Ebenfalls schwierig sind die Leistungen vereinzelter Schauspieler. Wo Eva Green als Miss Peregrine eisern aber beinahe makellos spielt und Samuel L. Jackson als Antagonisten förmlich anzusehen ist, wie viel Spaß er mit seiner Figur hatte, bewegen sich einige ihrer Kollegen im Minimalbereich. Protagonist Jake wirkt in der neuen Welt genauso verloren wie sein Darsteller in der verantwortlichen Rolle. Nur selten kommt er aus seinem langweiligen Trott heraus und schafft er es denn doch, übersteigt sein Aufgebot niemals die Mittelmäßigkeit. Das Talent ist vorhanden, aber in "Die Insel der besonderen Kinder" macht er kaum Gebrauch davon.

Nebendarsteller wie Terence Stamp wirken fast durchgehend gelangweilt und monoton, andere — vor allem unter den Kindern — schwanken in ihrer Leistung oftmals stark. Was zu einer schwierigen Situation führt, denn die Rollen sind größtenteils Archetypen, die man schon tausendmal gesehen hat. Ihre Umsetzung, rein auf dem Papier, ist jedoch frisch und verspielt. Erweitert man die Rechnung um die die schauspielerischen Leistungen, bleibt ein Querschnitt im akzeptablen Bereich. Abermals mag dies für die angepeilte Zielgruppe genug sein, ältere Semester haben dadurch aber erneut das Nachsehen.

Fazit

"Die Insel der besonderen Kinder" ist der notwendige Schritt in die richtige Richtung. Tim Burton findet endlich wieder zu dem zurück, was ihn einst groß gemacht hat, schafft es aber leider nicht, die Stärke einstiger Tage erneut zu erreichen. Dafür hat er sich zu sehr auf zauberhafte Welt und deren Bewohner konzentriert und diese voll Feingefühl, ja, fast schon liebevoll gezeichnet, dabei aber viele Eckpunkte in Sachen Sinn und Verstand übersehen. Der Zielgruppe — welche irgendwo zwischen 10 und 16 liegen dürfte — kann das egal sein, da solch filigrane Denkarbeit sowieso keinen Wert auf ihrer Reise des Staunens hat.

Wer bereits älter und vielleicht auch etwas anspruchsvoller ist, kommt nicht umhin, all die kleinen Dellen im Lack zu bemerken. Das ist aber quasi sowieso die Geißel der älteren Generation. Wir könnten uns von dem Film tragen lassen, wie ein Baumstamm auf dem Wasser und am Ende unserer Reise wären wir zufrieden und glücklich. Doch hinterfragt man nur eine Szene und denkt zu lange über das Gezeigte nach, verfliegt der Traum wie Nebel im Sturm. Dadurch ist dieses Märchen kaum weniger zauberhaft, aber um einiges trostloser und enttäuschender.

Bewertung: 3/5***

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 28.09.2016