Filmkritik zu Brooklyn

  

Colm Tóibíns Roman „Brooklyn“ ist eines jener Bücher, das wie ein Wunder daherkommt. Ein Buch, das seine Leser daran erinnert, wie viel Kraft nur in Sprache liegen kann. Der Roman des irischen Autors erzählt die Geschichte von Eilis Lacey, einer jungen Frau aus einer Arbeiterfamilie der 50er Jahre. Sie ist klug, offenherzig und fleißig, aber in ihrer Heimat, einer kleinen irischen Stadt, gibt es wenig Zukunft für sie. Ein Priester, zu Besuch aus den USA, organisiert ihr eine Anstellung im titelgebenden Viertel New Yorks. Tóibín beschreibt wunderbar die Unangenehmlichkeiten ihrer Reise, ihre Einsamkeit und die Fremde der neuen Heimat, wie sie ihren eigenen Weg und Liebe findet und was schließlich geschieht, als sie zurück in die alte Heimat gerufen wird, weg von all dem, wofür sie hart gearbeitet hat.

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Brooklyn ist ab heute (21.01.2016) im Kino zu sehen.

Leise Noten geben den Ton an in „Brooklyn“

Ihre Geschichte ist eine einfache und in ruhigen, unaufgeregten Noten erzählt. Tóibín kombiniert in „Brooklyn“, wie in seinen anderen Werken, eines Romanciers Liebe zum Detail mit poetischer Leichtigkeit durch einfach, linguistische Mittel. Jedes seiner Worte ist mit Bedacht gewählt und jeder Satz hat Gewicht. Er belastet sich nicht mit einem verbalen Sperrfeuer, verzichtet auf getrennte Adjektive um Geschwindigkeit im Satz zu erzeugen, schafft Gewöhnlichkeit in direkter Nachbarschaft zu ehrlicher Metaphysik. Seine kurze Beschreibungen zum Eilis erstem Winter in New York sind eindringlich genug, um die Kälte zu fühlen, die der Protagonistin am Morgen durch die Knochen schießt und die Heimat missen lässt. Glücklicherweise wurde an das Drehbuch zu John Crowleys „Brooklyn“ mit Nick Hornby ebenfalls ein Romanautor und kein reiner Drehbuchautor gelassen. Und so gelingt es oft (nicht immer) in diesem verzaubernden Film die Tonalität der Vorlage 1:1 auf die Leinwand zu übertragen.

Drehbuchautor und Regisseur wurden allerdings in „Brooklyn“ auch mit einer außergewöhnlichen Hauptdarstellerin gesegnet. In ihrer Rolle als Eilis ist Saoirse Ronan so aufmerksam, so klug und so emotional lebendig als wäre sie tatsächlich der durch sie gespielte Charakter. Ronan, ihres Zeichens selber gebürtige Irin, spielt auf den ersten Blick mit romantischen Klischees des irischen Mädchens: offen, mit klaren Augen, eine sanfte Kinnpartie, dennoch mit Zielstrebigkeit, jemand, der eindeutig ernst genommen werden will.

Große und kleine Gefühle

Eilis ist aber auch sehr verwundbar. Im Film hat sie nur ihre geliebte Mutter und ältere Schwester (die Adaption verzichtet auf die Brüder aus der Vorlage) und sobald sie sich endlich in New York ein wenig in ihrer neuen Heimat eingerichtet hat, vermisst sie diese schrecklich. „Brooklyn“ hat besonders in diesem Bezug ein ausgezeichnetes Gefühl für Ort und Zeit, ohne dies zu sehr und zu offensichtlich nach außen zu tragen. Eilis Lebensumstände in New York wirken gemütlich, auf Grund ihrer Mitbewohnerinnen ein kleines bisschen stutenbissig und leicht erstickend. Aber sobald sie einen sehr netten Italo-Amerikaner namens Tony (Emory Cohen) kennen lernt, blüht sie in New York wirklich auf. Hier addiert Hornby zu Tóibíns Buch ein paar nette Szenen hinzu und baut die Rolle von Tonys witzigem kleinen Bruder (Szenendieb James DiGiacomo) sinnvoll aus.

Die Zeit verfliegt förmlich, wie sie es eben immer tut, wenn alles gut läuft. Grade, als es zwischen Tony und Eilis Ernst wird, muss sie aber zurück nach Irland, um sich mit den Auswirkungen einer familiären Tragödie auseinander zu setzen. Die Zeit in „Brooklyn“ scheint plötzlich langsamer zu laufen. So sehr sie ihr neues Leben liebt, Heimweh und Schuldgefühle in Wechselwirkung mit dem sanftmütigen und gutaussehenden Iren Jim Farrell (der allgegenwärtige und immer gute Domhnall Gleeson, Welten entfernt von seine Rollen aus „Ex Machina“ und „Star Wars: Das Erwachen der Macht“) werfen in Eilis mehr als nur eine leichte Konfusion auf — und der Fluss der Zeit nimmt wieder Fahrt auf. Diesen inneren Konflikt spielt Ronan mit noch zusätzlichem Gefühl und diesem passenden „Understatement“, aber zugleich gelingt es Cowley und seiner Hauptdarstellerin den finalen Punkt der Handlung mit emotionaler Wucht einschlagen zu lassen. Wie vieles in „Brooklyn“ reift dieser Moment noch lange nach dem Ende des Films im Zuschauer weiter.

Historische Genauigkeit gegen innere Verklärung

„Brooklyn“ mag nicht unbedingt das historisch genauste Bild seiner Zeit zu zeichnen. Einiges wirkt eher wie eine romantische Sicht, verklärt durch die Rückschau einer Erzählerin, die sich lange Jahre später an eine selbstverklärte Phase ihres Lebens erinnert. Tennessee Williams würde dies als „Memory Play“ bezeichnen, Tóibíns selber wohl als „Zoo“. Manche Stellen wirken so mehr wie die Hollywood Version der 50er, lassen Orte in mehr Glanz erstrahlen und romantischer wirken, als sie zu den Tagen von „Brooklyn“ waren. Allerdings sind grade diese Momente des Films auch die mit den stärksten Emotionen. Und so ist es aber auch keine Schande während des Films die ein oder andere Träne zu vergießen, zumal es nicht nur Tränen der Trauer sein werden, versprochen.

Fazit

„Brooklyn“ kreiert auf wunderschöne Art und Weise das Gefühl, dass die Welt, auch wenn sie uns mit schönen Momenten bedenkt, in ihrem Grund noch immer ein sehr trauriger Ort ist. Der Schlüssel, irischer könnte es kaum sein, zu einer emotional gesunden Existenz ist es eben dies zu akzeptieren. Eilis erkennt dies und kann sich so immer weiter entwickeln, mit zielstrebigem Kinn voraus. „Brooklyn“ mag deswegen etwas altbacken wirken, aber dieser traumhafte Film ist in keiner Weise zahnlos. Er ist ist großherzig, romantisch und bezaubernd.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.*****

Filmkritik von Julius, 21.01.2016