Filmkritik zu Dark Places

  

Thriller-Autorin Gillian Flynn gilt als hervorragende Erzählerin düsterer, verwobener Geschichten. Abgrund-Koriphäe Stephen King lobt ihre Werke in den höchsten Tönen. Nach dem Erfolg von „Gone Girl“ (zu dem sie auch das Drehbuch schrieb) erscheint in Bälde „Dark Places“ (zu dem sie nicht das Drehbuch beisteuerte) auf den deutschen Leinwänden.

„Gone Girl“ vs „Dark Places“

Gillian Flynns Vorlage und Drehbuch für David Fichers hervorragende Adaption von „Gone Girl“ sind echte Meisterstücke des Thriller-Genres. Trotz eines unmöglich erscheinenden Plots, einer sich andauernd drehenden und wendenden Narrative ließ „Gone Girl“ alle seine, teilweise nicht einmal kleinen, Plotlöcher durch geballten Unterhaltungswert vergessen. So erstaunt wenig, dass ein weiterer Roman aus Flynns Feder es auf die Leinwand schafft. „Dark Places“ ist erneut eine finstere Geschichte, die filmische Umsetzung erscheint jedoch auf andere Weise unterbelichtet. Im direkten Vergleich mit „Gone Girl“ entpuppt sich „Dark Places“ leider als Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, wenn man einen Roman auf die Leinwand bringen möchte.

dark places szeneWo das Team Fincher und Flynn in „Gone Girl“ Stil und Flair um die Erschafferin von Amazing Amy und ihr Verschwinden stricken, präsentiert Regisseur und Drehbuchautor Gilles Paquet-Brenner (zuletzt für das sehr bewegenden Drama „Sarahs Schlüssel“ gepriesen) eine eintönige, stumpfe und absolute uninspiriert wirkende Angelegenheit. Einzig der talentierte Cast haucht der leblosen Geschichte so etwas wie Farbe ein. Das Scheitern von „Dark Places“ geht leider so weit, dass der Film nicht einmal einen erkennbaren visuellen Stil hat — von dem eines klassischen Lifetime oder öden TV Dramas einmal abgesehen. Der Stoff der Vorlage ist obendrein auf eine Art verwertet worden, die die Protagonistin des Films zu einer größtenteils inaktiven Gestalt in ihrer eigenen Geschichte werden lässt. Das einzig wirklich gute, was sich über „Dark Places“ sagen lässt ist, dass durch diesen Film der leider völlig unterbewertete „Gone Girl“ noch besser erscheint.

Kaltblütig

Dabei bietet die Vorlage nicht einmal schlechtes Material — wenn auch nicht das einfallsreichste. Im Alter von sieben Jahren muss Libby Day (als Kind von Sterling Jerins gespielt) das Unaussprechliche durchleiden. Ihre komplette Familie wird in einem Blutbad à la Truman Capotes „Kaltblütig“ mit Schrotflintenschüssen niedergemetzelt. Die Morde machen die junge Libby zu einer Art internationaler Berühmtheit, besonders durch den Umstand, dass Libbys Bruder Ben (Tye Sheridan) wegen der Morde festgenommen und überführt wurde. Durch den Verdacht satanistischen Praktiken nachgegangen zu sein beschleunigt wurde Ted auf der Basis von nur wenigen, tatsächlich stichhaltigen Beweisen verurteilt. True Crime Junkies glauben seit diesem Tag, dass hinter den Morden deutlich mehr steckt als es scheint. Nun, es fällt nicht schwer zu erraten, dass dem auch so ist, sonst gäbe es wohl weder Film noch Roman.

Libby als Erwachsene (Lichtblick Charlize Theron) ist hart und verbittert. Mit ihren Bruder (Zweitlichtblick Corey Stoll) hat sie seit der blutigen Tat keinen Kontakt mehr gehabt. Wie es der Zufall so will nimmt zu Libby ein Freizeitermittler genau dann Verbindung auf, als Libby kurz vor dem Ende ihrer Barschaft steht. Lyle Wirth („Skins“ Alumnus und „Mad Max — Fury Road“ Co-Star Nicholas Hoult) ist Mitglied eines Clubs, der sich mit wahren Verbrechen beschäftigt, Devotionalien und Informationen zu diversen Bluttaten sammelt. Er überzeugt die abgebrannte Libby ihre Geschichte den anderen Mitgliedern seines Clubs zu erzählen. Da sie wirklich dringend Geld braucht willigt sie widerstrebend ein. Lyle ist (natürlich) nicht nur für den Spaß an der Freude hinter Libbys Geschichte her, er ist von Bens Unschuld überzeugt und bringt Libby schlussendlich dazu sich tiefer mit den Vorkommnissen dieser finsteren und blutigen Nacht zu beschäftigen, in der Libby Familie ausgelöscht wurde.

Aktenzeichen XY (un)gelöst

Beide Erzählungen — die in der Gegenwart spielenden Ermittlungen und die Tage, die zum eigentlichen Verbrechen hinführen — sind in „Dark Places“ zusammengeschnitten. Gemeinsam ergeben sie eine trübe, wenig raffinierte Narrative in der sich Wendung um Wendung anhäuft ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie wenig Charaktere sich in dieser für Spannung tödlichen Mischung tummeln. Charlize Theron gibt ihr brütendes Bestes um Libby drei Dimensionen zu verleihen, aber, und dies ist leider auch in der Vorlage von „Dark Places“ nur geringfügig anders, ihre Rolle ist hauptsächlich Zuhörerin. Ihr werden mehr und mehr Details durch Erzählung, Ermittlung und Vergangenheit vorgeführt. Somit stellt sich „Dark Places“ schnell als ein Film ohne Protagonistin heraus und erreicht das Format einer Folge „Aktenzeichen XY“. Es fehlt nur noch Eduard Zimmermann. Die verkochte Geschichte erhält durch jede Rückblende ein weiteres Puzzleteil. Ob das irgendjemanden nach 30 Minuten aber noch interessiert, scheint vergessen worden zu sein. Die arme Charlize taumelt über knappe 2 Stunden durch ein Drehbuch, in dem sie sich entweder an Dinge erinnert, die sie eigentlich nie hat wissen können oder Schlüsse zieht, die sie schon hätte vor Jahren ziehen müssen. Corey Stoll („Black Mass“ und „Ant-Man“) als erwachsener Ben hat, wie so oft in der letzten Zeit, holt aus seinen wenigen Szenen eine Menge heraus. Nicolas Hoult ist trotz seiner flachen Rolle ebenfalls bemüht, scheitert aber schlussendlich daran, dass sein Charakter einfach nur eine billige Plot Device ist.

Fazit

Die grausame Mischung des Films führt, wenn die eigentliche Handlung beginnt, zu einem schmerzlichen Mangel an Daseinsberechtigung. „Dark Places“ ist, bestärkt durch sein finsteres und depressives Thema, eine echte Belastung. Irgendwann erscheint es wie eine Liste an Grausamkeiten, die einer Familie widerfahren kann. Die Mutter (Christina Hendricks) hat Sorge die Farm zu verlieren, der Vater ist verschwunden. Ben droht in die Fänge des Satanismus abzurutschen, steht im Verdacht des Kindesmissbrauchs, Drogen, Schwangerschaft im Teenageralter, das volle Programm. Mehr und mehr wird „Dark Places“ zu purem Poverty Porn, vergisst Paquet-Brenner doch völlig den genretypischen Eskapismus, der einen Film zum Film macht. Es braucht einen Grund für uns Zuschauer sich mit den düsteren Abgründen von „Dark Places“ zu beschäftigen. Da dieser jedoch nicht geliefert wird, bleibt nur die Frage: Wen soll das bitte interessieren. Übrigens ist zu Gillian Flynns erstem Werk „Sharp Objects“ eine Verfilmung in Planung. Zum Glück steuert Flynn dazu wieder höchstselbst das Drehbuch bei.

Dark Places ist ab dem 10. Dezember 2015 in den deutschen Kinos zu sehen.

Bewertung: Einer von fünf Sternen.*

Filmkritik von Julius, 05.11.2015