Filmkritik zu Deadpool

  

Um heutzutage noch etwas wirklich „krasses“ abzuliefern, dazu muss ein Filmstudio schon sehr tief in die Trickkiste greifen. „Es ist schwer, ein Gott zu sein“, die zweite Verfilmung des Kult-Sci-Fi-Dramas „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ über 6 Jahre abzuwickeln wäre sicherlich ein guter Ansatz, aber selbst derartige Arbeitsschritte wurden durch den oscarprämierten „Boyhood“ in den Schatten gestellt. „Deadpool“ nun schickt sich an durch kontroverse Sprüche, zügellose Gewalt und keinem Blatt vor dem Mund sich ganz an die Spitze der Krassheiten zu stellen. Genau da aber scheitert der Söldner mit der großen Klappe.

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Ab morgen, 11.02.2016 läuft Deadpool überall in den Kinos. Previews steigen schon heute.

Kontroverser „Deadpool“?

Zugegebenermaßen ist es aber auch wirklich unmöglich mit herkömmlichen Mitteln noch eine breite Masse zu schockieren. Nicht einmal Robert DeNiro als die Rentnerversion von Johnny Knoxvilles fiesem Großvater in „Dirty Grandpa“ will das gelingen. Für derartige Ambitionen müssten die Investoren ihre fetten Renditen nach einem erfolgreichen Filmstart schon in Konfetti verwandeln, einen 120 Minüter komplett in Urgisch abliefern oder sich andere Ausgefallenheiten einfallen lassen, auf die bisher noch niemand anderes irgendwo gekommen ist. Eine denkbar schwere, bis hin zu unmögliche Aufgabe. Unter seiner Oberfläche nun versucht „Deadpool“ auch gar nicht wirklich heftig zu sein. Eigentlich ist die Essenz des Streifens eine deutlich weniger glänzende Version von Disneys Avengern, was sich immerhin in Angesicht der Tatsache, dass sich „Deadpool“ als Teil von Fox „X-Men“ Franchise präsentiert, doch schon wieder ironisch anlässt. Wie wenig „Deadpool“ mit der unmittelbaren Nachbarschaft zu tun haben möchte, macht sein Protagonist Wade Wilson, aka Deadpool, sehr deutlich. So bezeichnet er Professor Xavier als Pädophilen und hat ein gesteigertes Interesse an Wolverines Familienjuwelen. Wen wundert es, wurde Ryan Reynolds erster Auftritt als Deadpool 2009 in „X-Men Origins: Wolverine“ doch alles mögliche, nur nicht dem Comicvorbild gerecht.

Reynolds, der nach „Green Latern“ gefühlt zwei Comichelden und einen nicht unwesentlichen Teil seiner Karriere auf dem Gewissen hatte, setze lange Zeit alles nur erdenkliche daran, „Deadpool“ zu dem Film zu machen, den die Fans von Fabien Niciezas Und Rob Liefelds monströser Kreation im Sinn hatten. Ähnlich wie in den Comics präsentiert sich der namensgebende Antiheld als einer, der sich seiner Existenz als Comicwesen durchaus bewusst ist. Immer wieder sucht er, in kurzen, matrixhaften Pausen die Kommunikation mit seinen Zuschauern.

Allgegenwärtig: Reynolds

Dabei sind zu viele Erklärungen, abseits des Metaheldenstils von „Deadpool“, eigentlich gar nicht nötig und Reynolds kluger Voiceover fungiert schlussendlich mehr wie Kit über einem etwas rissigen Konstrukt an Superheldenfilm, dass in allen Belangen dennoch weit über „Green Lantern“ und eben „X-Men Origins: Wolverine“ liegt und in Fragen der Demontage des Genres auch „Kick-Ass“ hinter sich zu lassen weiß. Das alles beginnt konsequent beim Ursprung dieser Ursprungsgeschichte. Bevor Reynolds Charakter zu einem hässlichen und zynischen Söldner wird, ist er nämlich ein zynischer und stattlicher Söldner. Die meiste Zeit hängt der tödliche Beau in Sister Margaret’s Home for Wayward Girls ab, einem heruntergekommenen Laden, in dem sein bester Freunde Weasel (T.J. Miller, „Silicon Valley”) der Barmann mimt und mit Waffen handelt. Hier trifft der zukünftige Deadpool, der zu diesen besser aussehenden Tagen noch auf den Namen Wade Wilson hört, auf die wunderschöne und gutherzige Prostituierte Vanessa Carlysle (Morena Baccarin, bekannt aus „Homeland” und „Gotham”). In einander erkennen die beiden ähnlich beschädigte Seelen und in bodenständiger Zügellosigkeit vögeln sich die zwei kurz darauf durch eine ausgedehnte Sexmontage, die ein Jahr angemessen schmutziger Wochenende zusammenfasst. Wenn dabei Vanessa sich einen Strap-on umgürtet und einen fröhlichen internationalen Weltfrauentag wünscht, dann ist dies zum einen einen Andeutung auf Deadpools Pansexualität und zum anderen nichts, dass wirklich noch jemanden schockieren dürfte — zumindest nicht, sofern diese Person im 21. Jahrhundert (und eben einem Kinosaal) angekommen ist.

Jeder wisse wo er steht

Aber nichts hält für die Ewigkeit und alles vergnügliche Vögeln endet abrupt, wenn Wade Krebs im Endstadium diagnostiziert wird. Aus Mangel an Möglichkeiten begibt er sich in die Hände von Ajax (Ed Skrein, „The Transporter Refueled“), einem sadistischen Wissenschaftler, der verspricht Wade zwar zu heilen, ihn aber nebenbei auch Folterexperimente an ihm zu testen scheint. Der Krebs wird besiegt, Wade verliert dabei jedoch sein Gesicht und ähnelt von nun ab einer Mischung aus Trockenrosine und Skinhead. Ausgestattet mit annähender Unsterblichkeit legt sich Wade ein schwarz-rotes Ganzkörperkondom zu und zieht aus um sein vergangenes Sexappeal zurückzuerhalten. Dabei schimpft er sich eben Deadpool (übrigens ist Wade Wilson/Deadpool tatsächlich eine Verballhornung von Slade Wilson/Deathstroke aus dem DC Universum). Die sich von nun ab entspinnende Handlung ist, auf dem Papier ein genretypischer Rachefilm mit kistenweise popkulturellen Anspielungen irgendwo zwischen „Taken“ und Sinead O'Connor. Dabei benimmt sich „Deadpool“ eben wie sich Deadpool benimmt: alles ist ganz furchtbar kindisch. Allerdings erweist sich Ryan Reynolds mal wieder als ein wirklich witziger Typ, dem über die komplette Laufzeit immer wieder das Editing von Julian Clarke („Elysium“) zu Hilfe kommt. Dass sich in „Deadpool“ noch ein ganze Reihe weiterer Charaktere tümmeln, die dem Helden das Leben leichter und schwerer machen, spielt irgendwie wenig Rolle. Weder Colossus (Stefan Kapicic) noch das Goth Girl Ellie Phimister, aka Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand), machen wirklich einen Unterschied auf Seiten der Guten. Gleiches lässt sich über Angel Dust (Gina Carano) auf der Gegenseite sagen. Regisseur Tim Miller sorgte dafür, dass im Drehbuch von Rhett Reese und Paul Wernick möglichst wenig Reynolds im Weg steht und das ist auch gut so.

Fazit

„Deadpool“ ist laut und schmutzig, kann aber, erwartungsgemäß, auf Seiten der Kontroverse nicht punkten. Dafür überzeugt er schlussendlich in fast allen anderen Belangen, liefert ein lautes und pöbelndes Abendprogramm auf, für diejenigen, die mit Humor irgendwo zwischen SNL und Jackass etwas anfangen können. Für Freunde der humorvollen und respektlosen Unterhaltung absolut sehenswert.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.****

Filmkritik von Julius, 10.02.2016