Filmkritik zu Im Herzen der See

  

Wer heute sich Moby Dick zur Brust nimmt, der muss höllisch aufpassen, auf wessen Seite er sich schlägt. Walfänger kann, außer einigen Nordlichtern und japanischen Gourmets so ziemlich niemand ausstehen. Ron Howard hat sich dennoch die Jagd auf den wohl berühmtesten Wal der Literaturgeschichte zu Brust und Kamera genommen.

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Im Herzen der See läuft jetzt (03.12.2015) überall in den Kinos. Mehr Bilder, Trailer etc. hier

K(l)eine Fische

Auch als reiner Kinogänger und Verweigerer von Klassikern der Literatur dürfte es schwer fallen an Herman Melvilles „Moby Dick“ vorbeigekommen zu sein. Wen immer man fragt, der und die sich mit der Jagd auf den berühmten weißen Wal auseinandergesetzt hat wird wahrscheinlich antworten, dass es sich in der Erzählung um Rache, Besessenheit und Hass dreht. Diese Antwort ist richtig, aber sie ist nur eine Teilantwort, denn „Moby Dick“ umfasst noch viele weitere Themen. So wurde das Werk erst zu dem, was es ist: historische Erzählung, Jagdgeschichte, Parabel, Zeitbild. Ron Howards „Im Herzen der See“ nun macht aus einem Giganten des literarischen Weltmeeres einen weißen Zwergwal. Für einen Film eventuell nicht der schlechteste Ansatz, sofern man mit kein großes Ziel vor der Harpune hat. Oder man eben ein großartiger Erzähler wie Ron Howard ist.

Denn dieser nimmt gar nicht Melvilles „Moby Dick“ zur Vorlage, sondern beschäftigt sich mit den Geschichten hinter der Geschichte. So zumindest hat es den Anschein. Denn tatsächlich vermischt auch Howard, ähnlich wie vor ihm Melville, in „Im Herzen der See“ mehr als nur einen Tatsachenbericht zu einem epischen Ganzen. Die Hintergründe sind zum einen der realen Untergang des Walfangschiffes Essex. Dieses wurde 1820 bei dem Versuch einen Pottwal zu harpunieren von jenem auf den Grund des Meeres geschickt. Nur 8 Männer überlebten den Untergang und ihre Berichte wurden, wenn auch 1821 bereits aufgezeichnet, lange Zeit für nicht ganz der Wahrheit entsprechend abgehandelt. Zum anderen in die Erzählung geflossen ist die in den späten 1830ern stattgefundene Jagd auf den Albino-Pottwal Mocha Dick. Dieser konnte immer wieder seinen Jägern, trotz vieler Verletzungen entkommen und stand im Ruf Walfänger mit aller Kraft zu attackieren.

Eine Seefahrt, die ist....

Anstatt nun diese beiden Tatsachenberichte noch zusätzlich zu bereichern, hält sich Ron Howard einfach an das, was ihm diese und die literarisch aufbereitete Version des ersten Vorfalls, Nathaniel Philbricks „In the Heart of the Sea: The Tragedy of the Whaleship Essex“, zu bieten hat. So kommt es dann auch, dass Owen Chase (Chris Hemsworth) um das versprochene Kommando seines eignen Schiffes betrogen wird und sich als First Mate unter dem noch völlig unerfahrenen, aber mit besten Verbindungen ausgestatteten Captain George Pollard Jr. (Benjamin Walker) an Bord des Walfängers Essex wiederfindet. Ihre Fahrt und der Kampf gegen einen dämonischen weißen Wal, der Untergang und die sich anschließende menschliche Katastrophe wurde von allen als Seemannsgarn angesehen. Zumindest bis ein überlebendes Mitglied der Crew (Brendan Gleeson) das Schweigen und die Geheimhaltung weiterer Hintergründe bricht, da ihm ein Mann (Ben Whishaw) verspricht ihn berühmt zu machen.

Auf seine Art bietet sich „Im Herzen der See“ dann auch förmlich als Teil eines Double-Features mit Peter Weirs „Master & Commander — Bis ans Ende der Welt“ an. Wobei sich „Im Herzen der See“, trotz einiger Momente der Action, noch deutlich mehr zurücknimmt und auf den Planken bleibt als das aus dem Jahre 2003 stammende Seefahrerepos. Was aber im Angesicht der Tatsachenberichte im Hintergrund auch wenig verwundern dürfte, so dies dem Zuschauer klar ist.

Denn der wirklich beeindruckende Aspekt von „Im Herzen der See“ sind weder Handlung, deren Dramatik oder die Effekte. Es ist der Cast, den Ron Howard versammelt hat um sein Garn zu spinnen. Zum zweiten Mal ist es Chris Hemsworth, dem Ron Howard nach „Rush“ eine gewichte Rolle zukommen lässt. Sein Name ist sicherlich der größte in der Crew und er geht auch mit dem härtesten körperlichen Einsatz in die Wanten. Für seine Rolle hat Thor im Zuge der Dreharbeiten 15 Kilo abgenommen.

Aber auf selber Höhe bewegen sich Benjamin Walker und Tom Holland. Beide stehen an Würde und Gewichtigkeit in ihren Darstellung Hemsworth um nichts nach. Besonders Holland als die jüngere Ausgabe zu Brendan Gleesons Thomas Nickerson bietet ein hervorragendes Zusammenspiel mit dem Hauptdarsteller von „Im Herzen der See“.

Eine Film für den richtigen Augenblick

Wenn „Im Herzen der See“ eine Schwäche hat, dann ist es der Umstand, dass er einer der Filme ist, für die man in der richtigen Stimmung sein muss um ihn wertzuschätzen. Er ist von hochwertigstem Kaliber, die Geschichte um menschliche Abgründe im Angesicht ihres Todes in Kombination mit den epischen Ereignissen auf hoher See wissen zu unterhalten, aber, im Kontrast zu Trailern und Werbung, ist Ron Howards Film nicht der Film als der er verkauft wird. Er ist kein vor Action strotzender Brecher, es ist eher ein sich langsam durch die Wogen schlängender Streifen, wie gemacht für ein aufmerksames und geduldiges Publikum, das einer Geschichte lauschen möchte und nicht mit Effekten weggeschwemmt werden will.

Fazit

In Zeiten von Junkfood noch und nöcher an den Kinokassen und auf den Leinwänden sind Filme wie „Im Herzen der See“ ein gelungene Abwechslung für die Zuschauer, die sich nach einer solchen sehnen. „Im Herzen der See“ präsentiert lebendige Geschichte, bereichert diese und wertet sie optisch auf. Howard als Regisseur ist so gut wie eh und je und Hemsworth weiß seinen Job mehr als nur zu erfüllen. Schön wäre es, wenn „Im Herzen der See“ nicht an den Kassen Schiffbruch erleidet und diese beiden Filmschaffenden noch häufiger zusammenarbeitet. Ach und ja, Ron Howard ist definitiv auf Seiten des Wals.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.****

Filmkritik von Julius, 03.12.2015