Filmkritik zu Joy

  

Leicht angelegt an das wahre Leben von Joy Mangano, Erfinderin des selbst-auswringenden Miracle Mops, versucht David O. Russell jüngstes Werk „Joy“ den Dauerlauf seiner Filme über Träumer und Tatmenschen, die eigentlich nur von ihren idiotischen Beziehungen zurückgehalten werden, fortzusetzen, weiß aber mit seiner willensstarken Heldin nicht so wirklich umzugehen.

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Joy - ab dem 31.12.2015 im Kino zu sehen.

Alles ist und bleibt in Bewegung

David O. Russells Werke der Vergangenheit haben nie sonderlich viel Wert auf einen gleichmäßigen Plot gelegt. Einzige Ausnahme bildet „Three Kings“ mit George Clooney und Mark Wahlberg, der auf Grund der räumlichen Handlung eines Roadmovies und der schnellen Erzählung einem sichtbaren Pfad folgt. Seine Filme scheinen immer selber eine gewisse Zeit zu brauchen, um sich selber zu finden. Die Art und Weise, wie Russell seine Drehbücher während des Drehs ändert, ist für sich genommen schon ein starkes Symbol für seine Beziehung für geistige Krankheiten und Therapie.

Leider fehlt „Joy“ im Gegensatz zu „Silver Linings Playbook“ und „American Hustle“ der entscheidende Punkt der Epiphanie und fühlt sich dadurch erstaunlich unvollständig an. Das liegt gar nicht einmal daran, dass Russells Film keine Nähe zulässt. Aber selbst für Russells eigene Standards ist „Joy“ sehr grob, eine wirre Sammlung an fallengelassenen Plot Punkten, visuellen Metaphern und theatralischen Signalen, die alles in allem wie die Unterzeichnung eines komischen Dramas wirkt, die von ihrem Maler nur zur Hälfte mit hellen und farbigen Strichen bedeckt wurde. Russell legte schon in der Vergangenheit extrem viel Wert auf Ecken und Kanten. Besonders in seinen letzten Filmen hat es sehr viel Freude bereitet, seiner ausgebreiteten Unordnung zu zusehen und sich von ihr in den Bann ziehen zu lassen. Der Sog seiner Erzählungen setzt aber immer dann ein, wenn sich der Off-Beat und die dezentrale Ausrichtung plötzlich, wie ein Gezeitenwechsel, drehen und Klarheit eintritt. Von diesen Momenten hat „Joy“ nur einen und den auch etwa zur Handlungsmitte.

Wenig Erkenntnisse im Chaos von „Joy“

An dieser Stelle reist Titelheldin Joy (Jennifer Lawrence) zu einem Pitch zum Hauptquartier des Home-Shopping-Senders QVC. Unterstützung bietet ihr dabei ihr Ex-Mann Tony (Édgar Ramírez), ein gescheiterter Clubsänger, der in ihrem Keller wohnt und dennoch das verlässlichste und klarste Mitglied ihrer comichaften Familie ist. Ihr Weg zum TV-Sender ist für sich genommen schon eine surreale Reise durch die Americana: Das hochmoderne Filmstudio des Verkaufssenders liegt in Mitten von Amish Country, hinter Lobby um Lobby verbirgt sich im Herzen ein Glaskasten, in dem Meetings abgehalten werden und in dessen Nachbarschaft in einem rotierenden Studio voller Verkaufssets aus künstlichen Küchen und Wohnzimmern mental instabile Moderatoren vor einem Publikum aus Call-Center Agenten ihr tägliches Programm abreißen.

In diesem Teil des Films kommen kurz alle gewesenen und kommenden Motive von „Joy“ zusammen. „Joy“ beginnt mit einem Ausschnitt aus einer schlecht gespielten und völlig überfrachteten, schwarz-weißen Soapopera, die wiederum im Verlauf von „Joy“ immer wieder zitiert wird und deren Optik sich in Joys Familie fest verankert hat. Davon seit Kindertagen beeinflusst überlädt sich Joy selber mit Bildern und Entwürfen von Wohnungen und Unternehmungen, die alle selber wieder nur ein Kommentar zu dem chaotischen Leben der Titelheldin sind: Papierhäuser, Konzepte, Modellstädte, Theaterstücke, eben jenes QVC Studio, Traumsequenzen, angesiedelt in der Soapopera. Dahinter ist Joy das einzige Mitglied ihrer Familie, die diese zusammenhält. Während sie am Ticketschalter einer Fluglinie arbeitet um zwei Kinder zu versorgen hängt ihre TV-süchtige Mutter Terry (Virginia Madsen) vor ihrer Soap, wird ihr Vater Rudy (Robert De Niro) von seiner Geliebten als Mängelexemplar wieder bei Joys Familie abgegeben und alles bleibt an der Protagonistin hängen: Rechnungen zu zahlen, Rohre zu flicken. Dabei scheint ihre eigene Familie sie mit aller Macht von jedem Weg abbringen zu wollen. Ein wenig erinnert Joy an Aschenputtel in einem Haus voller übel gesinnter Stiefschwestern.

Cinderella, Zitate und (fast) völlige Unvollständigkeit

So hat Joy dann auch immer einen Fleck auf ihrer Bluse, schläft andauernd an den merkwürdigsten Orten ein, was in einem Film, in dem häusliches und inneres Leben für einander einstehen zu schrägen Träumen führt. Eigentlich möchte Joy etwas mit ihren Händen erschaffen, eine ihrer Erfindungen patentieren und einen selbst-auswringenden Mop mit entfernbarem Kopf aus zig dicken Fäden verkaufen. Joy wirkt so genauso chaotische wie „Joy“: Eine Sammlung aus mehreren Filmideen, die alle die selbe Prämisse teilen. Die eine eine Komödie um eine dysfunktionale Familie, bestehend aus Versagern, die sich gegen das einzige Mitglied der Familie wenden, das den Laden am Laufen hält, der nächste ein auf den untersten Ebenen angesiedelter Wirtschaftsthriller um Betrug und geistiges Eigentum, eine halbherzige Mediensatire um Verkauf, Erfolg und fehlgeleiteten Glauben und schlussendlich ein Drama um eine Frau aus der unteren Mittelschicht, gefangen in einem Alptraum aus den 80er Jahren. Über diese Ideensammlung gießt Russell noch einen Eimer aus Close-Ups, aus Verlangsamungen, aus wirren Zitaten sowohl optischer als auch musikalischer Art (unter anderem ein Snippet aus Dario Argentos „Trauma“), gepaart mit hörbaren Kamerageräuschen, die sich mit den Hintergrundgeräuschen zu etwas völlig Neuem und Absurden verbinden.

In anderen Worten lässt sich „Joy“ wie ein baufälliger Haushalt aus Versagen und aufgeschobener Versprechen an, als koheränter Film fehlt ihm allerdings die Figur, die alles zusammenhält. Eigentlich würde diese Position Joy zukommen. Jennifer Lawarence erscheint dafür auch die ideale Darstellerin zu sein. Nicht einmal spielt es eine Rolle, dass sie offensichtlich eine Dekade zu jung ist, um Joy zu spielen. Aber das ihr zur Verfügung stehende Material scheint einfach nur die grobe Vorlage für die tatsächliche Rolle zu sein. Vielleicht ist das bei Russell eine Geschlechterproblematik: Er schreibt gerne über sture und unabhängige Frauen, aber all seine Werke, bis auf „Joy“ konzentrieren sich schlussendlich auf neurotische Männer (einzige Ausnahme würde „Nailed“ bilden, aber dieses Projekt hat Russell nie beendet). „Joy“ jedoch wird nicht müde, von der ersten Titelkarte über die Erzählung durch Joys Großmutter (Diane Ladd), zu betonen, dass „Joy“ ein Film über Frauen ist, die Männer nicht brauchen um ihre Ziele zu erreichen. Es wirkt fast zynisch, dass Joy als Charakter aber immer nur dann am scharf wahrnehmbar ist, wenn sie mit Männern wie Neil Walker (Bradley Cooper) interagiert. Es sind diese wenigen Momente, wenn Walker und Joy aufeinander treffen, im QVC Studio und in einer Handvoll weiterer Momente, in den Joy nicht alleine zu sein scheint. Er gibt allem, was die Heldin erreichen will, eine Stimme. Diesem heftigen Bedürfnis zu verkaufen und Erfolg zu haben — und sei es mit nicht ganz sauberen Mitteln von inszenierten Call-ins in Verkaufssendungen. „Joy“ könnte nur davon handeln und würde den Zuschauer völlig zufrieden stellen.

Fazit

Aber vielleicht wollen „Joy“ und Russell einfach auf eine poetische Art unvollständig sein. Die letzte Einstellung mit falschem Schnee auf einem Bürgersteig in Texas, die direkt wieder zum Beginn des Films zurückführt, könnte ein Hinweis dafür sein. Es macht Freude, sich über „Joy“ den Kopf zu zerbrechen, aber als Film, der verstanden werden will um befriedigend zu sein, bereitet er zu viel Kopfschmerzen.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.***

Filmkritik von Julius, 22.12.2015