Filmkritik zu Martin Scorseses "Silence"

  

Die menschliche Rasse ist so paradox wie ein brauner Schimmel und geistig so zerbrechlich wie Ming-Porzellan. Wer die Abgründe der menschlichen Seele erkunden möchte, braucht eine Menge Empathie, darf auf seinen Standpunkten nur vorübergehende Lager errichten und sollte sich niemals voreilig eine eigene Meinung bilden. Dazu gehört auch zu erkennen, ob diese Phrase zutreffend oder bereits genügend Zeit verstrichen ist. Im Fall von Scorseses Werk „Silence“ waren es 25 Jahre. Ein Traumprojekt. Eine Leidenschaft. Wer diese nicht teilt und gleichzeitig die oben genannten Voraussetzungen nur schwerlich erfüllen kann, wird in diesem Historiendrama einen zermürbenden Gegner finden.

silence header DE

Eine Frage des Glaubens

Es gibt wenige Filme die es einem Kinogänger schwerer machen, sich in die Situation, in die Figuren einer Geschichte hinein zu versetzen, als es in „Silence“ der Fall ist ... 1638. Zwei junge, portugiesische Jesuiten reisen nach Japan. Okay. Bereits ab diesem Punkt bekam ich es mit folgendem Problem zu tun: keines dieser Details trifft sonderlich auf mein Leben zu. Aber weiter im Text. Sie suchen einen berühmten Pater, der vom Glauben abgefallen sein soll und werden gleichzeitig mit den Gräueltaten konfrontiert, mit denen die japanischen Machthaber die Christen im Land bestrafen.

Regisseur Scorsese ist es an dieser Stelle vor allem wichtig, eine vorurteilsfreie Geschichte zu erzählen, die sich dem heutigen Publikum in keiner Weise anbiedert und die Vergangenheit nicht verdreht. Weder um von uns besser aufgenommen zu werden, noch um sich vor den prophetischen Urteilen zu schützen, die dem Werk die verschiedensten Ausgangspunkte und Vorgehensweisen unterstellen würden und werden. Eine schwer verdauliche Geschichte, welche zudem noch eine Menge Konzentration und Vorstellungskraft voraussetzt ist die Folge.

Schön, wenn Produzenten ausnahmsweise diesen Weg wählen und sich mehr auf ihr Werk konzentrieren als auf die potenziellen Geldscheine in der hypothetischen Kaufmannskasse. Doof nur, wenn dabei eine Menge Kinogänger mit dem Gesicht vor der Wand stehen bleiben und die Geschichte vor lauter Liebe zur Realität nicht erkennen können. Es ist schwer zu erklären, doch „Silence“ macht nicht alles richtig, wenn es um die Art der Geschichtsstunde geht. Die Perfektion schlummert in Scorseses Kopf, ist beim Ansehen zum Greifen nah, doch immer eine handbreit entfernt.

Eine Frage der Perspektive

Beinahe drei Stunden Laufzeit. Dazu eine Geschichte, die viele Reibungspunkte bietet. Obendrauf ein Erzählstil, der dem geschätzten Publikum einiges abverlangt. Und weil all diese Punkte einen Film ja noch nicht speziell genug machen, wird der gesamte Kunsteintopf noch kräftig mit der Frage nach Religion gewürzt. Das dampfende Ergebnis schmeckt nicht jedem. Muss es ja auch gar nicht. Doch selbst Wertschätzer dieser feinen Küche könnten an ihre Grenzen geraten.

Mit langen Einstellungen fängt Scorsese die nötige Bildkraft ein, um seinen Epos visuell zu untermalen. Entsprechende Filter über dem Bild und die säuberlich ausgesuchten Landschaften harmonieren und sprühen vor Leidenschaft und Liebe zum Detail. Optisch stark, beinahe für sich selbst eine Geschichte innerhalb eines Films, angelehnt an ein Buch. Worte in Bild. Zu diesem filigranen Gemälde gesellt sich noch ein anderer Kniff des Altmeisters.

Für den Protagonisten wählt er eine Form, die bei vielen Kritikern Magenkrämpfe auslöst und vom geneigten Publikum nur selten freudig aufgenommen wird. Mit einem Voice-Over geht der Künstler eine Menge Risiken ein und läuft Gefahr, dass sich der Zuschauer nicht mehr mit den Charakteren identifizieren kann. Ähnliches geschieht auch in „Silence“. Durch die gewählte Methode fällt es schwerer und schwerer den Beweggründen der Figur zu folgen. Zum Ende hin droht allgemeine Verwirrung.

Woran liegt das? Nun, unter anderem an der Rücksichtslosigkeit von Scorsese. Was er uns zeigen will, entwickelt sich in seinem Kopf schon seit vielen Jahren und immer mehr Lücken und Logikfehler dürften sich geschlossen haben. Die Buchvorlage wurde in fortlaufend filigraneren Zügen der cineastischen Kunst angepasst. Da dieser Regisseur selten schlampt und in der Regel nach Perfektion strebt, war es auszumachen, dass er dazu bereit sein dürfte, euch Kinogänger härter als gewollt ranzunehmen.

Das macht es erforderlich, dass ihr zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten gebannt auf die Leinwand starren dürft und jede Geste, jede Veränderung in der Mimik erfasst. Es ist erforderlich Bild, Ton und Feinheiten der menschlichen Psyche miteinander zu verbinden und zu versuchen das zu sehen, was Martin Scorsese mit seinem Verstand konstruieren wollte. Anders ist es — behaupte ich zumindest dreist — unmöglich, das Werk „Silence“ in seiner vollendeten Komplexität zu erfassen.

Um der Sache die sprichwörtliche Krone aufzusetzen, sollten weder Religion noch Politik eine zu große Rolle im Leben des Ticketkäufers spielen. Vorurteile und Missgunst verwässern das Profil, beschmutzen die Geschichte - verdrehen sie auf abnormalem Weg. Es gibt tausend Möglichkeiten diesen Film zu gucken, aber nur wenige davon sind gewollt. Wer sich nicht in das Leben, Denken und Glauben der gegensätzlichsten Menschen hineinversetzen kann, wird bei Sichtung dieses Stücks schwer enttäuscht werden.

Fazit

Technisch brillant und von höchster schauspielerischer Leistung durchzogen. „Silence“ ist ein Meisterwerk, in vielerlei Hinsicht. Aber es ist auch ein schwer verdaulicher Eintopf, dessen Rezept nicht darauf ausgelegt wurde, jedermann zu gefallen, sondern die richtigen Inhaltsstoffe zu liefern. Scorseses Historiendrama ist lang — manchmal zu lang, schwerfällig und kontrovers. Wie ein harter, kantiger Stein im sonst so öden Meer aus immer gleichen Sandkörnern. Wunderschön und von beneidenswerter Faszination. Aber in gewisser Weise auch störend, schmerzhaft, fast schon unnatürlich.

Es ist vergleichbar mit dem Wolkenhimmel in vielen Videospielen. Sieht dieser mal realistisch aus, fühlt es sich falsch an. Jahrelang haben wir den unnatürlichen Pixelhimmel gesehen und als echt empfunden, ohne in dieser Welt jemals den Kopf zu heben und richtig zu sehen, unsere Umgebung wahrzunehmen. Die Realität fühlt sich kalt und falsch an, lässt sich nur schwer greifen. Man sehnt sich nach einfachen Erklärungen und dem schönen, mulmigen Gefühl beim Abspann. Doch all dies bleibt aus. Natürlich macht dies den Film nicht schlecht. Ganz im Gegenteil.

Bewertung: 4/5****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 27.02.2017