Filmkritik zu Mr. Holmes

  

Prof. Moriarty gilt als der gefährlichste und unnachgiebigste Gegner, mit dem es Sherlock Holmes je aufnehmen musste. Aber in „Mr. Holmes“, der jüngsten filmischen Wiedergeburt von Arthur Conan Doyles literarischer Kreation, hat es der beste Detektiv der Welt mit ein noch viel hartnäckigeren Widersacher zu tun. Sein Name? Das Alter. Sein Plan? Unausweichlichkeit. Und sein Plan ist 1947 schon dem Ziel sehr nahe, als der gealterte Meisterdetektiv versucht einige Mysterien seiner eigenen Vergangenheit aufzuklären, die ihm im hohen Alter keine Ruhe mehr lassen.

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Mr. Holmes gegen das Zahn der Zeit

Wirft man mit ein wenig Abstand und einem Auge für Kalkül einen Blick auf „Mr. Holmes“, so verdichten sich die Beweise, dass Regisseur Bill Condon mit diesem leider nur teilweise wirklich befriedigendem Ausflug in das Holmsianische Universum gerne versuchen möchte, den schlechten Nachgeschmack, den sein Film „The Fifth Estate“ hinterlassen hat. In diesem gescheiterten Versuch das Enigma Julian Assange, den WikiLeaks Erschaffer, einzufangen, spielte übrigens ein anderer Mr. Holmes, nämlich Benedict Cumberbatch die Hauptrolle.

Zum einen bietet „Mr. Holmes“ die perfekte Gelegenheit zu einer Wiedervereinigung mit Ian McKellen, der für die Position des besten Hauptdarstellers zuletzt 1998 dank seiner klugen und gerissenen Arbeit mit „Frankenstein“ Regisseur James Whale in „Gods and Monsters“ nominiert wurde. Schlussendlich war es hier zumindest Whale vergönnt einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch einzuheimsen. Zusätzlich findet sich in der Liste der Darsteller ein weiterer Condon-Star, nämlich Laura Linney. Für ihre Arbeit in „Kinsey“, als Ehefrau des gleichnamigen Sexualwissenschaftlers, wurde sie für den Oscar der besten weiblichen Nebendarstellerin nominiert. In „Mr. Holmes“ liefert sie eine überzeugende Darstellung als Sherlock Holmes oftmals widersprechende Haushälterin.

Mit beiden Darstellern liegt Condon in „Mr. Holmes“ auch sehr richtig, obwohl sich der Film natürlich eher als Vorzeigeprojekt für den einzigartigen und immer fesselnden Sir Ian eignet, der nun zu den Ikonen der Popkultur, nach Gandalf dem Grauen und der X-Men Nemesis Magneto, nun einen weiteren Stern als Sherlock Holmes hinzufügen kann.

Ähnlich wie Helen Mirren in „Woman in Gold“ ist es Sir Ian zu verdanken, dass das eher löchrige Drehbuch von „Mr. Holmes“ mit einem Exzess an Rückblenden wirklich ertragbar wird. Der 76 Jahre alte Schauspieler überwältigt trotz falscher Nase und mehreren Kilos an zusätzlichen Falten einfach das Skript und liefert einen überzeugenden Holmes im Kampf mit der eigenen Altersschwäche ab.

Auf der Suche nach dem Geheimnis der Jugend

Natürlich gibt sich ein Sherlock Holmes, den wir in der ersten Einstellung als 93 Jahre alten Rentner, der seine letzten Jahre in einem malerischen Cottage am Meer in den südlichen Gefilden des noch immer von den Spuren des 2. Weltkriegs gezeichneten England verbringt, erleben, nicht einfach so den Widrigkeiten des Alters geschlagen. Er hat sich wieder dem Bienenzüchten zugewandt, teils als Passion, teils aber um Gelée (im Original „royal jelly“) royale zu sammeln, welches ihm gegen die fortschreitenden Vergesslichkeit helfen soll.

In dieser ersten Szene kehrt Mr. Holmes gerade erst aus Japan zurück. Auch Japan hat sich noch nicht von den Auswirkungen des zweiten großen Krieges erholt. Nur sind es im fernen Osten keine Flugzeugwracks in Feldern, sondern die beiden Atombombenangriffe der USA. In Japan hat sich Holmes mit einer legendenumwobenen Pflanze, der Herkuleskeule (im Original „prickly ash“) versorgt.

In seinem Altersruhesitz trifft Mr. Holmes dann auch ziemlich direkt auf einen echten Jungbrunnen. Dieser kommt in Gestalt des Sohns der verwitweten Haushälterin. Grade die Verbindung des alten Holmes und des jungen Rogers, als ein Art jungem Dr. Watson, ist Herz und Seele von „Mr. Holmes“. Obendrein spielt Milo Parker Roger so voller jungenhafter Ausdauer und unschuldiger Neugierde, dass man sich als Zuschauer irgendwie an den einstigen Disney-Kinderstar Bobby Driscoll (unter anderem „Die Schatzinsel“ aus dem Jahr 1950) erinnert fühlt.

Die letzten Fälle des großen Detektivs

Es hat etwas trauriges und ungemütliches das Genie Mr. Holmes während seines fortschreitenden Verfalls zu beobachten. Die scharfen blauen Augen werden immer wieder stumpf in den Szenen, in denen das Alter die Oberhand gewinnt. Die Stimme beginnt zu versagen, wenn das Bedauern über zurückliegende Ereignisse den Meisterdetektiv überwindet. Sein stetes Beharren auf Logik über Emotion erscheint dem gealterten Holmes nun nicht mehr als die klügste Wahl. Aber um Roger für seine Dienste zu bezahlen und um das eigene Gedächtnis wieder zu schärfen, setzt sich der ehemalige Privatdetektiv daran die Details seines letzten und wenig erfolgreichen Falls niederzuschreiben. Roger verschlingt natürlich jede der Seiten mit Heißhunger. Und mit jeder dieser Seiten werden wir zurück in das Jahr 1917 versetzt, wenn der Ehemann einer Frau namens Ann Kelmot (Hattie Morahan) Holmes engagiert um das merkwürdige Verhalten seiner Frau nach zwei Fehlgeburten zu durchleuchten.

Dieser Fall entpuppt sich mehr und mehr weniger als ein Puzzle für das Publikum und Roger, denn als eine Lehrstunde in Sachen Demut für Holmes, eine Seite des Meisterdetektivs, die höchstens einmal in Basil Rathbones Kinodarstellung in den 30er und 40er oder in Jeremy Bretts unübertroffener TV-Präsentation der 80er und 90er Jahre vor der breiten Öffentlichkeit zu Tage getreten ist.

Als kleiner Augenzwinkerer an die eigene filmische Vergangenheit der Figur Holmes lässt Condon Mr. Holmes einen der überzogenen B-Filme, basierend auf Dr. Watsons Geschichten im Kino ansehen. Der kurze Blick auf die Leinwand zeigt uns übrigens Nicholas Rowe (der Sherlock Holmes in 1985 in „Young Sherlock Holmes“ spielte) erneut als Sherlock Holmes, mit wenig Begeisterung betrachtet durch Sherlock Holmes.

Aber in den schwächsten Episoden des Films werden wir und Mr. Holmes immer wieder auf dessen Reise nach Japan zurückversetzt. Hier hilft ein lokaler Führer (Hiroyuki Sanada) Holmes bei der Suche nach jener Jugend versprechenden Pflanze namens Herkuleskeule. Zwar läutet diese Episode schlussendlich die erlösenden Auflösung von „Mr. Holmes“ ein, langweilt aber ansonsten massivst.

Fazit

Wie es im Alter so geht, wenn die Müdigkeit einmal den Fuß in der Tür hat, dann ist sie nicht mehr aufzuhalten. So geht es leider auch „Mr. Holmes“ einige Szenen suggerieren Spannung und Anziehung, das eigentliche Herz des Films, die Beziehung zwischen Roger und Holmes ist herzerwärmend, aber irgendwie hat „Mr. Holmes“ im Großen und Ganzen etwas von einer Tür, die sich sehr langsam schließt.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.***

Filmkritik von Julius, 21.12.2015