Filmkritik zu The Walk

  

1974 machte sich Phillippe Petits unsterblich. Der damals 23jährige Akrobat balancierte zwischen den Türmen des World Trade Centers in New York auf einem Drahtseil. Das alles natürlich ohne Genehmigung. Schon allein das Spannen seines Hochseils ist Stoff für einen Heist-Film. In den letzten Jahren widmeten sich seiner Geschichte zwei preisgekrönte Dokumentationen. Niemand anders als Robert Zemeckis hat nun seine Autobiografie „To Reach the Clouds: My High Wire Walk Between the Twin Towers“ unter dem deutlich kürzeren und kinoplakattauglicheren Titel „The Walk“ verfilmt.

035_118_450_01_v033_1133_700

The Walk startet am 22. Oktober in den Kinos. Noch mehr zum Film gibt es hier.

Ein Vogel auf dem Drahtseil

Robert Zemeckis mit irgendeiner Arbeit zu betrauen ist nie eine schlechte Idee. „The Walk“ bildet dazu keine Ausnahme. Nach allen Maßstäben, die man an die Arbeit eines Regisseurs stellen kann ist der Film eine meisterhafte Arbeit. Aus erzählerischer Sicht jedoch kommt der Drahtseilakt fast einer Katastrophe gleich.

In diesem Fall eine wirklich sehr unglückliche Kombination in einem Film, der auch trotz dieses Missgriffs noch immer sehr ansehnlich ist. Grade Zemeckis, als Meister der viszeralen Momente, erscheint für ein luftiges Arkrobatenstück ohne Netz und doppelten Boden der ideale Erzähler zu sein. Selbst in seinen schwächeren Filmen finden sich ein bis zwei Stellen, die jeden Zuschauer in den Bann ziehen. Oftmals indem er Ansicht und Geräuschkulisse zu einem einzigartigen Momentum verbindet, welches dem Betrachter im Kinosessel den Eindruck vermittelt nicht nur nahe am Geschehen, sondern mitten darin zu sein. „The Walk“ scheint also nach allem Dafürhalten sich in einer Liga mit dem der Absturzsequenz und anderen dramatischen Szenen aus „Cast Away“ einreihen zu müssen. Oder auf Augenhöhe mit dem Über-Kopf-Flug aus „Flight“, dem Trip durch ein Wurmloch in „Contact“, ja wenigstens in direkter Nachbarschaft der fesselnden Situationen des völlig unterbewerteten „What Lies Beneath“ zu sein. Nun, in der letzten halben Stunden schafft es sich „The Walk“ tatsächlich bis in diese Höhen empor zu arbeiten. Es dürfte schwer bis unmöglich sein, sich noch tiefer in alle physikalischen Details der heldenhaften und unerreichten Leistung von Phillippe Petit zu versetzen. Im Anschluss an die Premiere auf dem New York Film Festival übergaben sich Zuschauer auf den Toiletten auf Grund von Panikattacken. Einziger Auslöser: Der auf einem Drahtseil balancierende, sich auf diesem niederliegende, drehende und wendende Petit (Joseph Gordon-Levitt). Hier enttäuscht „The Walk“ in keinster Weise.

Meister der Details

Von Zemeckis aber erwartet der Zuschauer dann doch immer mehr. Zusammen mit Hitchcock und Spielberg findet sich der 63jährige auf eine kurzen Liste von Regie-Meistern wieder, die es schaffen Wagemut mit Einfachheit zu verbinden. Der emotionale Bezug zum Geschehen auf der Leinwand ist dadurch umso größer und wächst von Moment zu Moment. Sei es in „Forest Gump“ oder in der in Bälde zu Ehren von Marty McFlys Heimkehr wieder im Kino erscheinenden „Zurück in die Zukunft“ Reihe. Auch in „The Walk“ geht Zemeckis sicher, dass wir nicht nur verstehen, was Petit tut und wie er es anstellt, sondern welche Emotionen ihn auf seiner kurzen Reise gegen die Naturgesetze bewegt haben dürften, was er hörte und was er sah. Das metallische Kreischen des 1 Zoll dünnen Drahts unter seinen Füßen und zwischen den Türmen des World Trade Centers. Das Rauschen und Fauchen des Windes an seiner Kleidung und in seinen Haaren. Die gedämpften Geräusche des dichten Verkehrs 110 Stockwerke unter ihm. All dies wird in „The Walk“ dem Zuschauer zu Teil, zusammen mit Petits Freude, Trotz, Zweifeln und Ängsten.

Einen kleinen Mann im Ohr

Zemeckis aber scheint in „The Walk“ nicht das Vertrauen in seine Erzählung zu haben, das Petit in sein dünnes Stahlseil hatte. Leider geht seinem neusten Film völlig die Fähigkeit ab zu erkennen, wann Mysterien und Dichtung ausreichen und nur noch Luft zum Atmen brauchen. Wir haben es mit einem Film zu tun, der von einem Mann berichtet, dessen Leben durch einen waghalsigen, unübertroffenen und seit 2001 auch nie wiederholbaren Akt definiert wird. Allein der Akt die unfassbare Luft zwischen zwei Wolkenkratzern in eine Bühne zu verwandeln trägt schon unglaubliche Magie in sich. Es ist ein Film über einen Mann, der sein Meisterwerk ausschließlich durch sein Vertrauen in sein Training, seinen Mut und seinen Willen erreichte. Zemeckis und sein Co-Autor Christopher Browne haben dann aber nichts besseres zu tun als bis zur finalen halben Stunde mit ihrem unnötigen Geschwätz zu stören. Symptomatisch ist hier bereits die Eröffnung. In einer für Zemeckis schwachen CGI-Sequenz steht Petit in der Fackel der Freiheitstatue, die Twin Towers hinter ihm. Und er redet und redet und redet auf den Zuschauer ein. Mal statuenhaft, mal mit Emotion über die Größe seiner Tat, die der Zuschauer bald zu sehen bekommen wird. Ganz so, als wolle er uns das Ticket für den Film verkaufen, in dem wir ja eh schon sitzen. Petits Mentor Papa Rudy (Sir Ben Kingsley) warnt den Helden nicht zu viel zu tun, einfach nichts zu tun und sich mitnehmen zu lassen. Hätte Zemeckis doch mal nur auf ihn gehört. Aber anstatt sich auf die eigene Zauberei zu verlassen, versucht der Film sich unablässig selbst zu verkaufen. Mit Gordon-Levitts Stimme aus dem Off oder direkt in die Kamera. Oftmals sind die Worte Petits nicht halb so eloquent wie die Bilder, die dazu vorgeführt werden ansehnlich sind. Denn visuell arbeitet Zemeckis fast die gesamte Zeit auf höchstem Niveau. Mehr und mehr kommt man sich vor, als hätte man einen kleinen Gordon-Levitt im Ohr, der den Film schon längst gesehen hat und einfach nicht aufhören kann über diese Erfahrung zu plappern - während man mit ihm zum ersten Mal im Kino sitzt.

Fazit

Trotz dieses lange bleibenden Mankos ist „The Walk“ ein Film, der auf der großen Leinwand gesehen werden will. Allein der finale Akt, der tatsächliche „Walk“ macht alles vorherige wieder wett. Aber auch während der schwachen Momente kann der Film sich immer wieder aufwerten. Durch einmalige Bilder von einer vergangenen architektonischen Leistung, durch klasse Schauspieler (besonders Kingsley und James Badge Dale) und trockenen Humor. Gordon-Levitt ist in der Originalversion leider ein völliger Missgriff für die Ohren. Ein französischer Darsteller wäre sicher der bessere Griff gewesen. Optisch jedoch sitzt auch bei ihm jeder Muskel, jede Faser und jeder Schritt. Nichts für Zuschauer mit Höhenangst.

Bewertung: 4 von 5 Sternen

Filmkritik von Julius, 08.10.2015