Filmkritik zu The Witch

  

„The Witch“ ist zu gleichen Teilen historisches Drama und Horrorfilm. Regisseur und Drehbuchautor Robert Eggers selber bewirbt sein Werk klug als Volkserzählung in New England, anstatt von einem Märchen zu sprechen. Denn Märchen sind immer auch Parabeln, die bestimmte moralische Werte anpreisen. „The Witch“ aber ist eine weibliche, bisweilen feministische Geschichte mit dem Fokus auf eine Familie, die in der frühen nordamerikanischen Kolonisierung etwas überstehen muss, das nach allen Belangen ein Fluch zu sein scheint.

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Auf seine Art ist „The Witch“, mit seinem Bezug auf das Buch Hiob, auch eine Art Predigt. Wie jede Predigt ist er eine Frage, nutzt allegorische Symbole, die uns unser Leben überdenken lassen sollen. Genau wie eben einer der Charaktere in „The Witch“ Hiob benutzt um ihre Rolle in ihrer Familie zu verstehen. Dennoch ist „The Witch“ keine Moralität im traditionellen Sinn. Es ist ein Drama (mit vielen Horrorelementen) über eine Familie in einer schwer gläubigen Welt, die ihren Glauben verloren hat und sich am Rande der Selbstzerstörung befindet. Und es ist ein Film über Frauen, ausgesetzt dem Druck eine patriarchalischen Welt, auf ihrem sicheren Weg zur Entrechtung.

Alle Wege führen aus dem Wald - irgendwann

Aus dieser Mischung heraus und dem damit einhergehenden Aufbau von „The Witch“ ist zunächst nicht auszumachen, auf welchem der Charaktere überhaupt der Fokus liegt. Ziemlich sicher ist es nicht die trauernde Mutter Katherine (Kate Dickie). Eggers widmet ihr und ihrer Trauer um den jungen Sohn Samuel, der unter mehr merkwürdigen Umständen verschwand, dennoch viel Raum. Es sind definitiv nicht Katherines boshafte Zwillinge Jonas und Mercy (Lucas Dawson und Ellie Grainger), auch wenn Mercy eine Art Sprachrohr für ihr und ihres Bruder Unverständnis über die Verbannung der Familie in den Wald durch andere Kolonisten ist. Der Protagonist scheint einige Zeit William (Ralph Ineson), Katherines Mann, zu sein. Oder aber ihr ältester Sohn Caleb (Harvey Scrimshaw), der seinen Vater verzweifelt versucht vor der Frustration seiner Mutter zu verteidigen.

Meist (und dies deutlich öfter denn nicht) dreht sich „The Witch“ um Thomasin (Anya Taylor-Joy), das älteste der fünf Kinder von Katherine und William. Thomasin durchlebt unter den argwöhnischen Auge ihrer Familie gerade die Pubertät. Im Angesicht von Missernte, Armut und dem verschwundenen Samuel haben alle anderen allerdings wenig Zeit für sie. Dennoch bekommt Thomasin die volle Wucht der Ängste ihrer Familie ab: Ihre jüngeren Geschwister suchen in ihr Ermunterung, sie aber schreckt vor der zusätzlichen Belastung zurück, besonders, da ihre Mutter sie stets mit mehr Hausarbeiten belastet, als alle anderen Familienmitglieder.

In „The Witch“ sind noch eine ganze Reihe weiterer Subplots zu finden, aber alles scheint früher oder später zu Thomasin zu finden. Genau das ist die Schönheit in Eggers weit umfassender Geschichte: Es ist nicht alles über die marginalisierte Präsenz von Frauen in einem von Männern beherrschten Mikrokosmos, aber die harten Bedingungen können, sogar in einem extrem isolierten Umfeld, in Frauen Feindlichkeit und tiefe Selbstzweifel drängen. Und dies ist ein immer wiederkehrendes Thema.

Ein irdisches Jammertal in The Witch

So gesehen ist „The Witch“ eine Anti-Parabel. Eggers führt Thomasin zwar irgendwann aus den Wäldern (im doppelten Sinne), nimmt sich aber viel Zeit ihr den Weg zu bereiten. Das Resultat ist ein historisch sehr genaues in der Beobachtung. Es zeigt Menschen, die ihr Leben als eines in einem irdischen Jammertal ansehen. Denn so sind sie erzogen worden. Es sind einsame Seelen, die alles tun, möglichst viele Arbeiten verrichten, Fallen stellen, Ziegen melken, Felder bestellen, Wäsche waschen, nur um Ablenkung davon zu finden, was sie wirklich belastet. Durch den Verlust des eignen Glaubens (in Form eines Kindes) schwindet für diese Menschen auch die Erlösung, ist die doch nur im Jenseits zu finden. Ohne Glauben aber kein Jenseits, ohne himmlisches Paradies keine Erlösung. Und irgendwann meint Thomasins Familie einen Schuldigen für all die Misere und Merkwürdigkeiten ausgemacht zu haben. Dieser muss eine Hexe sein, die alle einer dämonischen Verzauberung ausgesetzt hat. Schon vorher häufen sich die Zeichen und Omen, meist bösartig erscheinende Tiere: eine reizbare Ziege, ein nervöser Hahn und ein paar erstaunlich gesprächige Krähen. Die Ängste von Thomasins Familie vor der sie umgebenden Natur sind erst unspezifisch aber werden schnell weiblich personifiziert: Die Natur, die Hexe, die Angst, die Verfluchung. Und von jetzt auf gleich nehmen die Alltagssorgen der Familie, die sich alle leicht damit begründen lassen, dass das Land auf dem sie leben und das sie umgibt verflucht ist, die Form einer Hexe an. Angst ist nicht mehr unspezifisch, sondern hat ein Ziel.

Und hier greift dann wieder Hiob. Hiob wird von Gott gequält, um seinen Glaube auf die Probe zu stellen. Der Leser geht davon aus, dass Gott existiert und das jener einen Grund für seine Handlungen hat (sei es nur eine Wette mit dem Teufel). Hiob aber stellt, bis Gott sich seine körperliche Gesundheit vornimmt, den Grund seines Leides nicht in Frage. Gott wird schon wissen, was er da macht. Dies trifft auch auf William, Katherine und die anderen Familienmitglieder zu. Bis zu dem Punkt, an dem die Ereignisse alle sich gegenseitig an die Kehlen gehen lassen, versuchen die meisten ihren Aufgaben so gut es geht nachzugehen. Das mag dazu führen, dass man sich immer wieder im Unklaren darüber befindet, worum es in „The Witch“ eigentlich geht. Dabei verraten Titel und Poster es doch eigentlich deutlich: Es ist eine phantastische Erzählung über die eigene Ermächtigung von Frauen, wenn auch mit unorthodoxen Methoden.

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Kinostart am 19. Mai 2016: The Witch (Bild oben: Szene aus dem Film)

Fesselnd durch die „Craft“

Nach diesem eventuell anders anmutenden Review soll nun auch noch ein Wort darüber verloren werden, wie gut „The Witch“ ist. Denn er ist sehr gut und völlig zurecht Internet auf und Internet ab gelobt. Dies liegt zu weiten Teilen daran, dass alles einen einfach von Beginn an fesselt. Eggerts beziehungsweise Jarin Blaschkes Kameraführung ist extrem manieriert und erinnert an ein Porträt von Vermeer und Landschaftsgemälde von klassischen Volksmalern. Zwar finden sich nebenbei auch noch viele Verweise auf eines von Francisco Goyas berühmtesten Werken, den Titel aber zu verraten, könnte Spannung rauben.

Dies trifft auf eine komplexe Soundstruktur und einen hochwertigen Schnitt, die beide die Stimmung in „The Witch“ in jedem Augenblick unterstützen. Diese ist, paradoxer Weise, einladend und düster zugleich. „The Witch“ zieht einen in seinen (ihren) Bann und verdreht den Kopf. So sehr, dass man es gar nicht mitbekommt, dass einen die Macher einfach nur dahin führen, wohin sie es schon vor Beginn des Films ankündigten.

Fazit

„The Witch“ wird völlig zu Recht seit letztem Jahr von Kritikern gefeiert. Allerdings könnte ihm an den Kinokassen ein etwas anderer Wind entgegenwehen. Der Film richtet sich an Zuschauer, die Atmosphäre haben möchte und nicht Blutvergießen und Schock. Was keine Wertung sein soll, nur eine Warnung. Wer Filme wie „It Follows“ langweilig fand, wird in „The Witch“ vermutlich nicht glücklich werden.

Bewertung: 5 von 5 Sternen*****

Filmkritik von Julius, 25.02.2016