Filmkritik zu Victor Frankenstein — Genie und Wahnsinn

  

Wenn Mary Shelleys „Frankenstein“ aus dem Grab gehoben wird, im Stile eines Comics (oder einer Grafic Novel, für die richtig coolen Kids da draußen) umgebaut und mit diversen Popkultürlichkeiten zusammen genäht wird, dann könnte man rufen wollen: „Ihr habt ein Monster erschaffen!“ Doof nur, wenn einfach nicht das Gewitter mit dem dringend benötigten Blitz aufziehen will, geschweige denn der Funken überspringt um das ganze Konstrukt länger als ein paar dürftige Momente am Leben zu erhalten. Leider alles Dinge, die zu Paul McGuigans „Victor Frankenstein” passen, wie Fackel und Mistgabel zum aufgebrachten Dorfbewohner.

vctor frankenstein header

Victor Frankenstein läuft ab dem 12. Mai in unseren Kinos.

„Du hast mir Kraft und Gefühle gegeben...

Wie es sich für einen guten Untoten der Marken Übergroß und Eigenbau gehört, ist auch Paul McGuigans „Victor Frankenstein” ein Flickenteppich an Ideen. Manche davon gut und neu, andere befinden sich im Stadium der Zersetzung und sind mehr als nur altersmüde. Ein lebendiges Abbild kommt als Ergebnis leider nicht zustande und die Wiederbelebung eines 200 Jahre alten Klassikers erscheint alles andere als gerechtfertigt. „Victor Frankenstein“ erzählt „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ aus der Sicht des wohl berühmtesten Laborassistenten neben Frau Doktor Best und Timmy: Igor. Um alles ordentlich aufzupeppen werden zur Unterstützung der Erzählung ein teilweise wirklich feines Produktion Design bemüht und zwei amtliche Charakterdarsteller um den Labortisch drapiert: James McAvoy als blasser Student unheiliger Wissenschaften und Daniel Radcliffe als Buckelträger außer Dienst. Leider werden die beiden Erfolgsgaranten unablässig von einem Drehbuch torpediert, welchem schon lange vor dem dünnen Finale der Saft ausgeht.

Verantwortlich für dieses Skript zeigt sich Max Landis. Der hat bereits im Fall von „American Ultra“ trotz sehr gut vergleichbarer Voraussetzungen ähnliche Probleme gehabt. Wo es „Victor Frankenstein“ am elektrisierenden Einschlag mangelte, vermisste der Kristen Steward / Jesse Eisenberg Streifen eben die nötigen chemischen Zusätze um richtig fein drauf zu kommen. In der Causa „Victor Frankenstein“ beginnt dies schon mit dem ersten Satz, aus dem Off gesprochen durch den eigentlich unbenannten Buckligen. Denn der weist lakonisch darauf hin, dass jedem Zuschauer die Geschichte bekannt ist. Radcliffes Charakter nun verbrachte die Jahre vorm Beginn der Handlung als Attraktion im Zirkus. Seine Mitartisten haben ihn misshandelt, seine einzigen Freuden sind das amateurhafte Studium der menschlichen Anatomie und das noch amateurhaftere Anschmachten der schönen Trapezkünstlerin Lorelei (Jessica Brown Findlay). Als diese während der Show einen Absturz in die Mitte der Manege hinlegt, rettet der letzte unter den Gauklern samt seines Buckels und einem Zuschauer (McAvoy) der Schönheit geschickt das Leben.

Frankenstein Junior ist durch das Talent, die Fingerfertigkeit und das medizinische Wissen des buckligen Zirkusclowns schwer angetan und offeriert postwendend einen Job. Doch aus nicht so ganz klaren Gründen entscheiden sich die anderen Zirkusangestellten dafür, die beiden Protagonisten zu einer dramatischen Flucht zu nötigen. An dieser Stelle lässt sich noch die archetypische Gemeinheit von fahrendem Volk hinnehmen. Ende der Strophe: Ein ehemaliger Arbeitskollege des verwachsenen Artisten scheidet dahin. Dafür landen die zwei unterschiedlichen Helden in Victors Junggesellenbude. Hier hat Bühnenbildnerin Eve Stewart (oscarnominiert zuletzt für „Les Misérables“) ganze Arbeit geleistet und ein vollgestopftes Labyrinth voller surrender Konstruktionen und Falltüren erschaffen. Frankensteins erste Amtshandlung ist es den Namenlosen um seinen Buckel zu bringen, das schiefe Rückgrat einzurenken und ihm den Namen Igor zu geben. So heißt eigentlich sein ehemaliger Mitbewohner, aber der ist unter ungeklärten Umständen verschwunden.

...aber ich weiß nicht wie man damit umgeht.“

Victor Frankenstein stellt sich schnell als gar kein wirklicher Arzt heraus. Viel mehr steht er mit anderthalb Beinen in der unfreiwilligen Exmatrikulation. Im Labor sprüht er nur so vor Energie, jenseits der heimischen Mauern jedoch bestimmt soziales Ungeschick sein Handeln. Völlig besessen ist er vom Wunsch den Tod zu besiegen und lebloses Gewebe wieder mit neuem Leben zu beseelen. Mit Igors bereitwilliger Hilfe erschaffen die beiden ein fieses Affenmonster aus den Überresten toter Zoobewohner. Dieses verhilft Victor Frankenstein zwar zu den nötigen, finanziellen Mitteln für den nächsten Schritt, voller Eigennutz zur Verfügung gestellt durch den schmierigen Aristokraten Finnegan (Freddie Fox), erweist sich aber als zutiefst böse und lenkt Scotland Yard, vertreten durch den unnachgiebigen Bluthund Inspector Roderick Turpin (Andrew Scott), auf ihre Fährten. Der ist dummerweise bereits mit den Ermittlungen im Fall toter Zirkusartist betraut und die Verwüstungen durch den untoten Affen sorgen endgültig für Victors Rauswurf aus der Uni.

Von hier an versucht sich Landis Drehbuch darin ein buntes Mischmasch aus Subplots zu installieren. Davon sind ein paar ganz nett (aber ablenkend), wie Referenzen zu Mel Brooks, andere interessant (aber völlig vernachlässigt), wie Victors Darstellung als eine Art Tech-Disruptor. Konstant jedoch baut sich zwischen Igor und Victor homoerotische Spannung auf. Mehrfach kommen sich die beiden so nahe, dass eine Sexszene sich förmlich aufzudrängen scheint. Der Verdacht, dass das Drehbuch einst genau eine solche enthielt, ist ein sehr starker — eventuell hätte dies „Victor Frankenstein“ sehr geholfen.

Denn anstatt einer saftigen Szene zwischen McAvoy und Radcliffe muss nun der arme Igor mit Lorelei anbändeln. Sie taucht nämlich als Showgirl der gehobenen Gesellschaft wieder auf und zwischen ihr und Igor entwickelt sich ein absolut langweiliger, lieb- und lebloser Subplot der romantischen Natur. Am Angesicht von sich hoch auftürmenden Nebenschauplätzen ertrinkt „Victor Frankenstein“ einfach im letzten Drittel. Kein Gewitter, kein Paukenschlag. Nur noch ein optisch hektisches, aber emotional unspektakuläres Finale in einer schottischen Burg und dann ist Schluss.

Ein Hauch von Leben

Dem eher TV-erfahrenen Regisseur Paul McGuigan muss man bei allem Gemecker zu Gute halten, dass es ihm gelingt eine Art phantastisches, dennoch nie zu steampunkendes London des 19. Jahrhunderts als Hauptschauplatz zu erschaffen — und dies mit recht kleinen Mitteln. Ebenfalls sehr schön sind die immer wieder in die Optik integrierten anatomischen Zeichnungen, die viel über Igors und Victors Weltsicht aussagen. Leider aber geht es ihm letztlich völlig ab, die modernen Ansätze des Films mit dem historischen Setting zu verbinden. Gleichfalls fehlt die Fusion zwischen ironischer Selbstwahrnehmung des Films und der Tragik seiner Charaktere. Auch den wenigen Actionszenen fehlt der nötige Druck. Viel besser läuft es für „Victor Frankenstein“, wenn McGuigan dem folgsamen Radcliffe und dem wahnsinnigen McAvoy das Ruder überlässt. Die beiden spielen die Schrägheit eines alten wissenschaftlichen WG-Teams im Stile einer finsteren „Big Bang Theory“ so viktorianisch aus, dass ihr erschaffenes Monster nur wie eine von vielen Ausreden wirkt, um nicht endgültig sesshaft zu werden. Genau der Funke eben, der Guy Ritchies „Sherlock Holmes“ immer wieder zu Höchstleistungen trieb.

Fazit

Auf dem US-Markt hat „Victor Frankenstein — Genie und Wahnsinn“ schon eine Bauchlandung hingelegt, in Deutschland wird es sicher nicht anders laufen. Zu Recht muss man sagen, denn die wenigen Highlights machen „Victor Frankenstein“ allenfalls für echte Radcliffe und McAvoy Fans interessant.

Bewertung: 2 von 5 Sternen.**

Filmkritik von Julius, 18.04.2016