Filmkritik zu X-Men: Apocalypse

  

Kennst du eine, kennst du alle. Das gilt für Kneipen mit mallorquinischem Thema und für filmische Apokalypsen. „X-Men: Apocalypse“ bildet hier leider keine Ausnahme. Der jüngste Beitrag zur eigentlich beachtlich verlässlichen Comic-Franchise ergibt sich schnell einem ermüdenden Fall von Kenn-ich-alles-war-schonmal-hier. Statt Platz für die Stärken der letzten Teile und den hervorragenden Cast zu bieten wird der Geist von „x-Men: Days of the Future Past“ und „X-Men: First Class“ in einer Flut von Charakteren ertränkt und mit einer Achterbahnfahrt aus der CGI-Abteilung erschlagen.

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X-Men: Apocalypse könnt ihr ab dem 19.05.2016 in den Kinos sehen!

X-Men: Apocalypse: Viel Glanz, wenig Tiefe

Regisseur Bryan Singer trat 2000 die schier nicht abbrechende Welle an zeitgenössischen Superheldenfilmen mit „X-Men“ los und bereicherte die Franchise vor zwei Jahren mit dem durch die Zeiten springenden und hervorragenden „Days of the Future Past“. Eventuell hätte er sich danach wieder zurückziehen sollen. Zwar erinnert „X-Men: Apocalypse“ kaum an den Tiefpunkt der Reihe, Brett Ratners „X-Men: The Last Stand“, macht sich sogar kurz mit der Mitte des Films in doppelter Hinsicht beim Verlassen von „Return of the Jedi“ zu Recht über „The Last Stand“ lustig, aber in Anbetracht des nur mäßig fesselnden, kaum überraschenden und recht unbefriedigendem Ergebnis (im Vergleich zu den beiden anderen Singer-Beiträgen) erscheint diese Aussagen über den Fluch von Trilogien wie unangemessene Arroganz.

Die besten „X-Men“ Filme zeichnen sich durch Scharfsinnigkeit, lässigen Witz und tiefgehenden Emotion aus. Wichtig erscheint ebenfalls im Zusammenhang von Vorurteil, Stolz und anderen menschlichen Eigenschaften immer ein Blick auf die jüngste und jüngere Geschichte unserer menschlichen Rasse. „X-Men: Apocalypse“ jedoch hält sich dahingehend mit den Dosierungen sehr zurück. Stattdessen baut der Streifen auf extravagante visuelle Effekte, die 2000 kaum denkbar gewesen wären. Und genau das dürfte dem jüngsten Mitglied in der „X-Men“ Film-Familie einiges an Erfolg kosten.

Die potentiellen Zuschauern angedeutete Abwesenheit von Publikumsliebling Wolverine könnte sich ebenfalls negativ auswirken. Schon in Matthew Vaughns „First Class“ wurde der genetisch modifizierte Australier mit den Klingenhänden so schmerzlich vermisst, dass seine Nichtteilnahme für die bescheidenen Einspielergebnisse verantwortlich gemacht wurde.

Nachdem dann „Future Past“ Darsteller sowohl aus „First Class“ als auch aus der ursprünglichen Trilogie, darunter eben Hugh Jackman als Wolverine, mischte, wendet sich „Apocalypse“ wieder dem erstklassischen Cast bestehend aus James McAvoy (als Professor Charles Xavier), Michael Fassbender (als sein bester Feind Erik Lensherr, a.k.a. Magneto), Jennifer Lawrence (als Gestaltenwandlerin Raven/Mystique), Nicholas Hoult (als kluger und bärenstarker Hank McCoy) und Rose Byrne (als CIA agent Moira MacTaggert) zu.

Diesem Lineup mangelt es weder an Talent, noch an Charisma. Das Gegenteil ist der Fall. Und Neuzugänge Oscar Isaacs (als Titelschurke mit apokalyptischen Nom de guerre), Tye Sheridan, Game-of-Thrones Leihgabe Sophie Turner und Kodi Smit-McPhee (allesamt die jüngeren Ausgaben von Cyclops, Jean Grey und Nightcrawler) stehen hier in nichts nach. Nur leider geben Singer und sein Schreiberling Simon Kinberg diesem großartigen einfach kaum Anspielpunkte.

Teambuidling

Ab dem Prolog, angesiedelt im altägyptischen Niltal des Jahres 3600 vor Christus, ist klar, was Singer will. Anstatt sich auf die Stärken vergangener Tage zu verlassen, setzt er auf Augenschmaus. Doch an diesem sieht man sich allzu schnell satt, wenn dafür auf jeglichen Ansatz einer kohärenten Geschichte und Entwicklung von Charakteren verzichtet wird. Und wie Apocalypse mit Hilfe seiner vier Reiter des Untergangs beim Versuch in einen schicken, neuen Körper zu schlüpfen von seiner Pyramide begraben wird, erstickt „X-Men: Apocalypse“ den Geist der letzten beiden Teile. Apocalypse darf ein paar Minuten später, respektive tausende Jahre später wieder auferstehen, aber vom Witz zeigt sich nur wenig.

Vom Niltal geht es dann ins Ohio der frühen 80er. Der junge Scott Summers, besser bekannt als Cyclops durchleidet hier die Plagen der Pubertät, die sich irgendwann durch wutgeladene Laserstrahlen aus seinen Augen ihren Weg bahnen. Alex Summers alias Havok schnappt sich den jungen Mann mit dem scharfen Blick, schafft in das wohl häufigst planierte und immer wieder gleich aufgebaute Schulgebäude der Comic-Geschichte und steckt ihn unter die Fittiche von Professor Xavier. Durch ihn erfährt er eine Welt, in der er er sein kann (was zu dreist an Anna Paquins Rogue aus “X-Men” erinnert). Obendrein lernt er nicht nur Jean Grey kennen, sondern auch Raven, Nightcrawler, MacTaggert und Evan Peters als Szenen klauender Quicksilver.

Zeitgleich sucht Apocalypses jüngste Wiedergeburt nach neuen Gefolgsleuten und wird fündig in der Waise Ororo (Alexandra Shipp), der grimmigen Psylocke (Olivia Munn), dem geflügelten Außenseiter Angel (Ben Hardy) und Magneto. Letzterer hat sich still und heimlich in seiner alten Heimat Polen nach dem gescheiterten Attentat auf Richard Nixon versteckt.

Been there, done that

Einer Handvoll Referenzen in Sachen Reagan und dem Kalten Krieg zum Trotz hält sich fein „Apocalypse“ aus der Politik der 80er raus und setzt statt dessen lieber auf familienfreundliche Popkultur zwischen „Knight Rider“, „Star Wars“ und „Pac-Man“. Klug wird der Sound der 1980er im Soundtrack integriert. Metallicas „The Four Horseman“ begleitet Angels Wiedergeburt und Eurythmics „Sweet Dreams (Are Made of This)” begleiten eine elaborierte Sequenz in Sachen Zeitverlangsamung in der Quicksilver Mitschüler rettet. Letztere versucht leider mit aller Gewalt diese wunderschöne Szene aus „Future Past“ zu toppen, was einfach nicht gelingen will.

Professor Xaviers Schule für hochbegabte Halbwüchsige ist nicht die einzige Immobilie, die in der abrissfreudigen „Apocalypse“ in einen Feuerball verwandelt wird, der zündende Funke will in der Handlung jedoch nie überspringen. Oscar Isaacs Apocalypse bleibt ein eintöniger Schurke. Isaacs versucht zwar den göttergleichen Gegner mit Gravitas und autoritärer Bedrohung zu transportieren, die Tonne prosthetisches Makup jedoch steht ihm im gleichen Maße im Weg, wie sie seinen Fans ein Erkennen dieses hervorragenden Schauspielers verwehrt.

Zwischen Professor X und Magneto gibt es das übliche Hin und Her zwischen ihren ausgelutschten Axiomen. Die Mitte ihrer Diskussion ist auch zum sechsten Mal nicht spannender geworden. Raven wird durch ihre Position als Vorzeigemutant und Präsidentenretterin geplagt, das angebotene Material liegt allerdings einige Stufen unter Jennifer Lawrence Niveau.

Auch wenn in der Vergangenheit die „X-Men“ Ensembles relativ groß waren, sind in „Apocalypse“ einfach zu viele Charaktere vorhanden, als das der actionfreudige Weltenbrand diese Menge tragen könnte. Sogar McAvoy oder Fassbender fallen aus der Wahrnehmung des Gesamtrahmens, wenn sie zu lange nicht auf der Leinwand erscheinen. Der Film funktioniert immer dann am besten, wenn er seinem jungen Trio Sheridan, Turner und Smit-McPhee Platz schafft. Und selbst dann ist es immer wieder Peters Quicksilver, der hervorsticht. Am Ende ist es immer wieder ihm zu verdanken, dass es kleine Ausbrüche von Leben in einer Produktion gibt, die albernes Material viel zu ernst auslegt.

Fazit

Ohne Frage repräsentiert „X-Men: Apocalypse” in einigen Belangen ein hohes Niveau an Handwerk. Grant Major Production Designs sind imponierend, Louise Mingenbachs Kostüme facettenreich und teils wie aus den Seiten der Vorlage gerissen. Kamermann Newton Thomas Sigel leistet gewohnt gute Arbeit, die durch John Dykstras visuelle Effekte in nahezu jeder Einstellung erweitert wird, aber es ist die messerscharfe Arbeit von der Editoren John Ottman und Michael Louis Hill die alles in „Apocalypse“ in den Schatten stellt. Leider fehlt dem Endergebnis dann zwischen Schnitt, Sound, Effekten und Score die Seele der letzten drei und des ersten Teils.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.***

Filmkritik von Julius, 11.05.2016