Hell Or High Water Filmkritik — Ein moderner Western

  

In der heutigen Zeit ist es nur allzu leicht von eben auf jetzt alles zu verlieren. Schwer vorzustellen, wenn es einem gut geht und sicher nichts, was man zu lange in seinem Kopf kreisen lassen sollte, da diese Gedanken wahnsinnig und paranoid machen können. Doch was tun, wenn der schlimmste Fall eintritt und man plötzlich vor dem großen Nichts steht? Der durchschnittliche Bürger wird vielleicht zusammenbrechen. Starke Herzen kämpfen um ihr Eigentum. Und Leute mit moralisch fragwürdigen Einstellungen zum Leben? Die kämpfen vielleicht auch — jedoch mit allen Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen.

Hell-or-High-Water

Ein Glück für Protagonist Toby Howard (Chris Pine), dass er in Texas lebt. Dem Bundesstaat, in welchem es jedem Bürger erlaubt ist, eine Waffe zu besitzen und diese offen in den Straßen mit sich zu führen. Der heißblütige Mann vom Land nutzt diesen Umstand für sein Dilemma aus und findet einen ganz eigenen Weg, die Schulden, welche auf der Farm seiner jüngst verstorbenen Mama lasten, zu tilgen. Zusammen mit seinem Bruder Tanner (Ben Foster) raubt er eine Bank nach der anderen aus. Was natürlich nicht unbemerkt bleibt und so klebt ihnen schon bald der zynische Gesetzeshüter Hamilton (Jeff Bridges) an den Fersen…

Melancholisch

Der Film von Regisseur David Mackenzie spielt in der Gegenwart, hat jedoch alle Eigenschaften eines klassischen Western. Die Figuren — wenn auch manchmal recht eindimensional -, die Landschaft, das Flair ... Ja, sogar die Kameraarbeit und der Plot könnten genauso gut zur Kolonialzeit spielen. Aber gerade der Mix aus diesem Stilmittel und der doch sehr vertrauten Umgebung und Situation, macht den Reiz dieses dramatischen Thrillers aus.

Was unter anderem auch daran liegen dürfte, wie geschickt Mackenzie mit Gesellschaftskritik und Andeutungen von sozialer Ungerechtigkeit spielt. Fein in den Plot verwoben, nie zu aufdringlich und stets mit einem gewissen, sarkastischen Grinsen. Man kann es zwar nicht sehen, aber immer wieder spüren, wie es sich in den Nacken und die Eingeweide bohrt und den Zuschauer regelrecht dazu zwingt, Empathie zu zeigen und ein wenig über das Gesehene nachzudenken.

Nicht jeder Griff in „Hell or High Water“ sitzt an der richtigen Stelle und es wäre gelogen zu behaupten, der Film hätte nicht seine Schwächen. Nichtsdestotrotz verstehen es alle Beteiligten sehr gut, das Beste aus dem Stoff herauszuholen und die Geschichte so glaubhaft wie nur denkbar vorzutragen. Das Drama bleibt bodenständig und sachlich, auch wenn die Vorgehensweise der Brüder extrem und von geringer Erfolgschance zu sein scheint.

Das Werk beginnt dabei recht rau, fast schon ruppig, singt aber auch ab der ersten Minute ein Lied der Melancholie. Dieser Ton verstärkt sich über die erste Hälfte hinweg, bis er im letzten Drittel den ganzen Film für sich vereinnimmt. Schwingt man im Rhythmus der Erzählung mit und öffnet sich für diese Mär, so wird man schlussendlich mit einem höchst eleganten Ende belohnt, welches schon für sich ein Grund für einen Kinobesuch darstellt.

Professionell

Die gesamte Riege an Schauspielern leistet einen hervorragenden Job. Manche mehr, manche weniger. Chris Pine beispielsweise schafft es, seiner Figur ordentlich Farbe und Tiefe zu verleihen, auch wenn sein Charakter per se nicht unbedingt der originellste ist. Ben Foster hingegen hat ein echtes Unikat zum Spielen bekommen, kann daraus jedoch nicht viel machen, da Tanner einen recht einfach gestrickten Charakter besitzt und entsprechend wenig zu bieten hat. Trotz allem tadellos gespielt.

Was Jeff Bridges angeht, so kann man ihm auf keinen Fall vorwerfen, seinen Job schlecht gemacht zu haben. Es ist nur traurig zu sehen, wie er mittlerweile wieder und wieder seine alte Paraderolle zum Besten gibt, ohne dieser auch nur einen kleinen Tick Neuartigkeit zu verleihen. Die Figur des Texas Rangers, der sich kurz vor der Rente befindet, wird zwar souverän umgesetzt, lässt jedoch Eigenständigkeit vermissen — irgend etwas, dass einem an seiner Darbietung in Erinnerung bleibt.

Aber was soll´s. Die Rollen der Akteure mögen nicht dem Geist eines Genies entsprungen sein, dafür sind Bühnenbild, Text und Leinwand beinahe fehlerlos. Der Gegenwartsfilm verströmt eine archaische Traurigkeit und gleichzeitig herzzerreißende Ruhe, die bisher nur selten in cineastischer Form umgesetzt wurde. Damit geht er mit großen Titeln der Vergangenheit Hand in Hand und lässt sich wohl am Besten mit Werken der Coen-Brüder vergleichen.

Fazit

Mit „Hell or High Water“ hat David Mackenzie einen modernen Western geschaffen, der sich nur vorwerfen lassen muss, dass es seinen Figuren an Eigenständigkeit und Überzeugungskraft mangelt. Abseits davon ist dieser Film genau das, was er verspricht zu sein: ein Thriller/Drama. Er lebt von seinem Aufbau, von seiner Erzählkunst und vor allem von der traurigen Melancholie, die im krassen Kontrast zu den Taten der Brüder steht. Wem die meisten Thriller zu schnell und brutal und Dramen zu langgezogen und schwerfällig sind, hat mit „Hell or High Water“ eine perfekte Alternative, die beide Welten in sich vereint und sich fast nur ihrer Stärken bemächtigt.

Stimmig und voller Emotionen, so könnte man dieses Werk wohl beschreiben. „Blood Simple“ und „No Country For Old Men“ sind die ersten Filme, die einem einfallen, wenn man Mackenzies neuestes Werk beschreiben sollte. Und doch steht es für sich alleine, hat mehr als nur Daseinsberechtigung und braucht sich hinter großen Titeln dieses Jahres nicht zu verstecken. Vielleicht kein Film für die breite Masse, Kinoliebhaber sollten jedoch einen Blick riskieren.

Hell or High Water ist ab dem 12.01.2017 in den deutschen Kinos zu sehen.

Bewertung: 4/5****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 11.01.2017